Karlín nach Flutkatastrophe

Karlin

Während der Flutkatastrophe im August dieses Jahres wurden 8% der Fläche der tschechischen Hauptstadt von der Moldau überschwemmt. Zu den vom Hochwasser am schlimmsten betroffenen Prager Stadtteilen gehört Karlín, das allmählich wiederbelebt wird. Nach Karlín laden Sie im Spaziergang durch Prag Martina Schneibergova und Katrin Sliva ein.

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Während der Flutkatastrophe im August dieses Jahres verwandelten sich die Stadtviertel, die am Stadtrand von Prag liegen - wie Zbraslav, Radotín, Chuchle und Lipence in einen großen See. Am linken Moldauufer wurden vom Hochwasser die Stadtteile Smíchov, die Kleinseite und Holesovice am stärksten betroffen und am rechten Ufer der Stadtteil Liben, teilweise die Altstadt und vor allem Karlín. Überflutet wurde auch der untere Teil des Stadtviertels Podbaba, das Tal von Lysolaje und Sedlec sowie der Großteil des Stadtteils Trója einschließlich des dortigen Schlosses und des Tierparks.

Im Stadtteil Karlín sind nach der Hochwasserkatastrophe bislang drei Häuser eingestürzt und ein weiteres Haus musste abgerissen werden, weil seine Statik beschädigt war. Ob es notwendig sein wird, weitere Gebäude abzureißen - trauen sich im Augenblick nicht einmal Experten vorauszusagen. Der Zustand der Gebäude verschlechtert sich zunehmend während des Trocknungsprozesses. Mit Befürchtungen erwartet man den ersten Frost, der weitere Schäden an den überfluteten Objekten verursachen könnte. Die Unsicherheit, was mit den Häusern im Winter passiert, ist nach Aussagen der Bewohner, aber auch der Kommunalpolitiker des achten Stadtbezirks am schlimmsten.

Karlin
Die Bewohner Karlins, die während der Flutkatastrophe ihre Wohnung verloren haben, wohnten bis zur vergangenen Woche provisorisch in Sporthallen. Vorige Woche konnten sie in ein Wohnheim umziehen, wo sie aller Wahrscheinlichkeit nach ein Jahr lang bleiben werden.

Viele Karlin-Bewohner, die theoretisch in ihre stark beschädigten Wohnungen zurückkehren könnten, haben kaum Lust, dies jetzt schon zu tun. Zur Wiederbelebung des Stadtteils soll eine vor ca. sechs Wochen gestartete Kampagne beitragen, die den Titel"Karlin lebt weiter" trägt.

Dieser einfache Satz aufgedruckt auf T-Shirts oder einem Aufkleber soll nach Worten des Organisators Miroslav Svoboda das Gefühl der Zugehörigkeit mit dem stark betroffenen Teil des achten Stadtbezirks wecken und zur Erneuerung Karlins anregen. Die Organisatoren ließen sich durch ähnliche Kampagnen inspirieren, die z. B. voriges Jahr in New York Erfolg feierten. Mit dem Verkauf der "Solidaritäts-T-Shirts und Aufkleber" bemühen sie sich auch darum, den Stolz der Bewohner Karlins auf ihren Stadtteil zu fördern.

Die weiße Farbe des T-Shirts wurde absichtlich nach Vereinbarung mit dem Rathaus gewählt, denn sie ist ein Symbol der Hoffnung. Das rote Wort Karlin ist aus Ziegeln zusammengestellt, die jedoch hie und da fehlen. Die Lücken nach den Ziegeln erinnern an die Flutkatastrophe. Die Ziegel werden durch eine Figur ergänzt, die die Wiederbelebung des Stadtviertel symbolisiert. In wieweit es gelingt, diesen Stadtteil - der einst die erste große Prager Vorstadt darstellte, wirklich wieder zu beleben, wird sich höchstwahrscheinlich erst nächstes Jahr zeigen.

Ein "persönlicher Bericht" über das Leben in Karlins"Zone A" dem Stadtteil in Prag, den die Flut im August wohl am Schwersten getroffen hat. Von einem Leben im ganz normalen Chaos erzählt unsere Mitarbeiterin Indra Hildebrandt-Sochor.

Zwei Monate ist es nun her, daß ich mit meinem Mann und unserem zweijährigen Sohn unsere Wohnung im Prager Stadtteil Karlin fluchtartig verlassen mußte. Mit einer Mischung aus Verwunderung und Fassungslosigkeit beobachteten wir mehrere Tage im Fernsehen, wie Hilfsmanschaften durch "unsere" Straßen mit dem Schlauchboot fuhren und wie die ersten Häuser in Karlin in sich zusammenstürzten, da sie den Wassermassen nicht gewachsen waren. Unser Haus blieb stehen und seit 3 Wochen nun wohnen wir wieder zuhause und das Leben schwankt noch immer zwischen Normalität und Chaos. Unser Teil Karlins wurde zur sogenannten Zone A erklärt und noch immer gilt der Notstand.

Laut dem Bürgermeister für Prag 8, Josef Nosek, gibt es gute Gründe, den Notstand bis Ende Oktober beizubehalten. Das gesamte Straßenbahnnetz muß zum Beispiel repariert werden und immer noch fahren täglich Militär- und Räumfahrzeuge durch die teilweise engen Straßen.

Notstand bedeutet auch, daß man mit dem Auto nur in den Abendstunden in Zone A hineinfahren darf, wenn man nicht eine Sonderlaubnis "ergattert" hat, was uns leider nicht geglückt ist. Das hatte zum Bespiel zur Folge, daß wir mit unserem kranken Sohn zwar zum Arzt fahren konnten, jedoch nicht wieder zurück durften und dann 10 Minuten durch den Regen laufen mußten.

Aber wir dürfen uns eigentlich nicht beschweren, denn unsere Wohnung im 3.Stock blieb von der Flut unbeschadet und immerhin haben wir wieder Strom und Gas. Die Sache mit den Telefonleitungen scheint da irgendwie schwieriger zu sein, was auch von den leicht entnervten Mitarbeitern der tschechischen Telekom bestätigt wird.Wann die Telefone wieder funktionieren? Wer weiß....die zuständige Auskunft der Telekom jedenfalls nicht.

Vielleicht stehen die Leitungen wieder bis Mitte Oktober, aber Hundertprozentig kann man es wirklich nicht sagen.

Rätsel geben auch die Löcher in Bürgersteig und Straße auf, die sich jeden Tag lautstark ungefähr verdreifachen.

Karlin
Mein Sohn ist noch immer begeistert von all den großen und kleinen Baggern und von den Arbeitern mit den tollen Vorschlaghämmern. Bei einer sechs Tage Woche und Arbeitszeiten von 7.00 - 17.00 hält sich meine Begeisterung allmählich etwas in Grenzen, obwohl sich erste erfreuliche Resultate zeigen: Karlin hat seit zwei Tagen wieder ein kleines Lebensmittelgeschäft und weitere Wiedereröffnungen sollen Anfang November folgen.

In dem einzigen Geschäft hat die Verkäuferin natürlich allerhand zu tun. Menschen brauchen nun einmal Lebensmittel und so kehrte diese Branche zuerst nach Karlin zurück.

Somit rücken wir der Normalität wieder ein Stück näher. Vielleicht funktioniert in unserem Haus sogar bald wieder der Aufzug. Dann blieben mir schweißtreibende Überlegungen, wie ich meinen Sohn samt Buggy und Einkauftüten in den dritten Stock befördere erspart.

Obwohl es eigentlich ein voller Ersatz ist für mein Fitnessstudio, das gleich um die Ecke war und noch lange nicht wieder aufmachen kann. So hat alles im Moment irgendwie 2 Seiten, in Karlins Zone A ...