Kaukasus-Krise belastet innenpolitisches Klima in Tschechien
Der Konflikt im Kaukasus belastet bereits seit einigen Wochen das innenpolitische Klima. Allerdings verläuft die Trennlinie nicht zwischen Regierung und Opposition, wie man annehmen könnte. Sondern sie spaltet den Parteichef der Bürgerdemokraten ODS, Premier Mirek Topolánek und den ODS-Ehrenvorsitzenden, Staatspräsident Václav Klaus.
„Setzten wir nicht neue Unwahrheiten in die Welt. Wir hatten davon in der Vergangenheit schon genug. Ich bitte sehr darum, dass unsere Politiker diese Angelegenheit ernst nehmen und verantwortungsvoll damit umgehen. Ob in der heutigen sehr komplexen Welt ausgerechnet Georgien die 150 Millionen Kronen von uns am dringendsten braucht, das kann ich nicht beurteilen. Ich will auch nicht darüber diskutieren, ob das Geld vielleicht in Darfur oder anderswo besser angelegt wäre. Auf jeden Fall bin ich mir sicher, dass sich die Regierung das gut überlegt hat.“
Premierminister Topolánek hatte am Vormittag desselben Tages nicht nur finanzielle Soforthilfe für Georgien versprochen. Er erläuterte auch die Position der tschechischen Regierung zur Krise im Kaukasus:
„Die Tschechische Republik unterstützt die Souveränität und die territoriale Eigenständigkeit Georgiens inklusive Südossetien und Abchasien. Die andauernde Invasion durch russisches Militär verletzt internationales Recht und ist inakzeptabel. Die Regierung der Tschechischen Republik hat die Entschließung des Rates der Europäischen Union vom 13.8. unterstützt. In Übereinstimmung mit der vom EU-Ratsvorsitzenden Nicolas Sarkozy vorgegebenen Linie fordern wir Russland zum sofortigen Rückzug seiner Truppen aus Georgien auf.“Die diametral unterschiedlichen Positionen von Präsident und Regierung in der Frage des Kaukasus-Konfliktes stießen und stoßen auf Kritik der Opposition. Der sozialdemokratische Abgeordnete Jan Hamáček forderte beide Seiten zum Dialog auf:
„Der wäre dringend notwendig. Ein solches Treffen zwischen Präsident und Premier hätte schon längst stattfinden müssen. Bevor eine derartige öffentliche Meinungsverschiedenheit über den Konflikt im Kaukasus ausbricht. Der Präsident hat natürlich ein Recht auf seine eigene Meinung. Es ist notwendig, dass die Regierung mit ihm kommuniziert und versucht, die Dissonanzen in der tschechischen Außenpolitik zu minimieren.“
Ab dem 21.August flauten die innenpolitischen Turbulenzen rund um die Georgien-Krise vorerst ab. Die unzähligen Gedenkveranstaltungen rund um den vierzigsten Jahrestag der Niederschlagung des Prager Frühlings stellten die meisten übrigen politischen Ereignisse in den Schatten. Präsident und Regierungschef kamen ihren staatstragenden Pflichten nach. Sie trafen unter anderem mit ihren jeweiligen slowakischen Amtskollegen zusammen. Zum gemeinsamen Erinnern an die Ereignisse im August 1968.Für einige Tage schien der innertschechische Streit um die Rolle Russlands im Kaukasus-Konflikt und das Ausmaß der georgischen Mitschuld am Ausbruch der Kämpfe vergessen. Doch dies änderte sich am vergangenen Dienstag schlagartig. Für viele politische Beobachter überraschend erkannte der russische Präsident Dimitri Medwedew die Unabhängigkeit Südossetiens und Abchasiens an. Dies gab auch der innenpolitischen Auseinandersetzung in Tschechien neuen Auftrieb. Auch ein Gipfeltreffen zwischen Präsident Klaus und den Regierungsspitzen Dienstagabend auf der Prager Burg brachte keinerlei Bewegung in die festgefahrene Debatte. Beide Seiten beharrten auf ihren Positionen.
Die meisten europäischen Staats- und Regierungschefs bezeichneten den russischen Schritt als falsch. Der tschechische Staatspräsident Václav Klaus hingegen wollte von einer Verurteilung Russlands nichts wissen:
„Ich habe kein scharfes Kommuniqué heraus gegeben. Ganz einfach deshalb, weil ich mich mit der Mode ‚goldenes Georgien und böses Russland’ nicht identifizieren kann.“
Die Reaktion von Premierminister Mirek Topolánek ließ nicht lange auf sich warten. Und sie fiel deutlich aus.
„Die Exekutive in ist sich in dieser Frage einig. Für die Außenpolitik in diesem Land ist der Außenminister verantwortlich. An den Äußerungen von Václav Klaus fehlt mir natürlich der russische Anteil am Ausbruch des Konflikts. Ich bin nicht seiner Meinung. Ich habe aber nicht den Eindruck, dass dies die Position Tschechiens in der Weltpolitik beeinträchtigen würde. Denn gemäß der Verfassung ist der Präsident nicht zuständig für die Außenpolitik. Die Regierung hat jedenfalls einen anderen Standpunkt als ihn der Herr Präsident vertritt.“Doch der außenpolitische Sprecher der oppositionellen Sozialdemokraten, Lubomír Zaorálek, sieht Tschechiens Stellung in der europäischen Außenpolitik sehr wohl geschwächt:
„Der Standpunkt Tschechiens bei der Lösung dieses Konfliktes hätte die Durchsetzung des Internationalen Rechts und die Einschaltung der Internationalen Organisationen sein müssen. Heute stehen wir bei der Suche nach Auswegen aus der Krise de facto neben den Ereignissen. Einerseits deswegen, weil es uns nicht gelungen ist, von Anfang an in das Verhandlungsteam unter der Leitung von Nicolas Sarkozy zu kommen, das nach Moskau gereist ist. Das war meiner Meinung nach ein Fehler. Wir als das Land, das als nächstes den EU-Vorsitz übernimmt, hätten dabei sein müssen. Andererseits sind das auch die Folgen dessen, dass wir uns nicht gemeldet als wir uns melden hätten sollen – in der Kosovo-Frage.“
Der tschechische Außenminister Karel Schwarzenberg vermied es, klar Position für eine der beiden Streitparteien zu beziehen. Zumindest, was den Konflikt im Kaukasus betrifft:„Ich akzeptiere den georgischen Angriff auf Südossetien nicht. Im Gegenteil, ich halte ihn für einen politischen Fehler mit sehr schwerwiegenden Auswirkungen. Allerdings übersieht der Präsident die Verantwortung Russlands beim Ausbruch dieses Konflikts, die zahlreichen Provokationen von russischer Seite.“
Der Politikwissenschaftler Robert Schuster zeigt sich im Radio-Prag-Gespräch überzeugt, dass die Regierung in der Außenpolitik die stärkere Position innehat:
„Als Sieger würde ich das vielleicht nicht bezeichnen. Da ist kein Zweikampf. Es gilt, was die Regierung beschließt. Die Regierung wird auf ihrem Treffen eine Position beschließen, die der Position der EU entgegen kommt. Es wird auch im Ausland so gesehen, dass die Position des Premierministers und des Außenministers maßgeblich ist. Was der Präsident meint ist zwar wichtig, aber letztendlich haben wir in Tschechien kein präsidentielles System sondern ein parlamentarisches. Das heißt, dass die Regierung die erste Geige spielt. Auch in der Außenpolitik.“
Vergangenen Mittwoch beriet das Kabinett auf seiner Sitzung über die weitere Vorgehensweise den Kaukasus-Konflikt betreffend. Explizit eingeladen zur Regierungssitzung war auch Präsident Václav Klaus. Gekommen ist er nicht. Laut Premier Topolánek nichts Ungewöhnliches:„Der Staatspräsident kann an der Regierungssitzung teilnehmen, wann immer er möchte. In 99 Prozent der Fälle nützt der diese Gelegenheit aber nicht und entsendet einen seiner Berater oder einen anderen Mitarbeiter der Präsidentschaftskanzlei. Ich hätte es für sinnvoll gehalten, dass der Präsident an der Regierungssitzung teilnimmt. Aber natürlich respektiere seine Entscheidung. Und ich verstehe den Herrn Präsidenten auch, dass er nicht teilnimmt. Denn das Verhandlungsmandat wurde ohne Probleme einstimmig beschlossen, wenn auch nach einer langen Diskussion. Ob es mir persönlich Leid tut oder nicht? Das gehört nicht in die Politik. Natürlich hätte der Präsident eine gute Gelegenheit gehabt, seinen Standpunkt darzulegen.“
Außenminister Karel Schwarzenberg erläuterte nach der Kabinettssitzung die Position, die Tschechien auf dem EU-Sondergipfel am Montag einnimt:
„Das Mandat, das dem Delegationsleiter, also dem Premierminister erteilt wurde, ist relativ unverbindlich. Wir werden sehen, wie sich die Diskussion auf dem Gipfeltreffen entwickelt. Im Moment das wichtigste ist die Hilfe für den Wiederaufbau in Georgien. Die Regierung hat das tschechische Hilfsprogramm beschlossen. Erstens geht es um Soforthilfe wie zum Beispiel Medikamenten-Lieferungen. Und zweitens ein langfristiges Hilfsprogramm in der Höhe von rund 150 Millionen Kronen (6 Millionen Euro). Auf dem Gipfel werden wir auch darauf drängen, dass die EU bei der Hilfe für Georgien einheitlich vorgeht. Wir brauchen einen klaren Rekonstruktions-Plan für das gesamte Staatsgebiet Georgiens. Also mit Abchasien und Ossetien.“
Der Vizepremier für Europäische Angelegenheiten, Alexandr Vondra hält nichts von einer weiteren Diskussion um die Schuld am Kaukasus-Konflikt. Er sieht in der Georgien-Frage ein längerfristiges weltpolitisches Problem, das auch den tschechischen EU-Vorsitz 2009 beeinflussen wird.
„Für uns ist es wichtig, sich von den Diskussionen darüber, wer genau was verursacht hat zu befreien. Wir müssen uns darauf konzentrieren, was in den kommenden Wochen und Monaten passiert. Es ist klar, dass dies nicht nur die derzeitige französische Ratspräsidentschaft betrifft. Wir werden weitermachen: Ob wir wollen oder nicht, das Problem wird auch von Jänner bis Juni 2009 auf der Tagesordnung stehen. Und auch die Beziehungen zwischen Europa und Russland werden weiter ein Thema sein. Das ist kein ‚Business as usual’. Die Beziehungen sind belastet. Aber wir sind darauf vorbereitet und ich bin überzeugt, dass die Tschechische Republik diese Frage erfolgreich lösen kann.“