„Keine Eintagsfliegen“ – Politologe Schuster über Umfragehochs für Grüne und Christdemokraten

Foto: Archiv der Grünen

Viele tschechische Wähler sind von der aktuellen politischen Lage im Land frustriert. Das zeigt sich verstärkt in den Zustimmungswerten für Regierung, Parlament und die meisten Parteien: Sie sinken stetig. Doch der Unmut der Bürger führt nicht automatisch zur Unterstützung von neuen Bewegungen wie etwa den Piraten – auch das zeigen diese Umfragen. Viel mehr profitieren Christdemokraten und Grüne. Während die Grünen mit zuletzt 4,5 Prozent bei den meisten Meinungsforschungsinstituten noch unter der Fünfprozenthürde gehandelt wurden, würden die Christdemokraten den Sprung ins Abgeordnetenhaus derzeit wieder schaffen. Über die Chancen dieser neuen alten Parteien mehr im Interview mit Radio-Prag-Mitarbeiter und Politologe Robert Schuster.

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Robert, die Christdemokraten und die Grünen sind im Jahr 2010 aus dem Abgeordnetenhaus gewählt worden. Nun sind sie wieder im Kommen. Ist es aber nicht irgendwie paradox, dass von der Politikverdrossenheit Parteien profitieren, die eigentlich nicht unbedingt als neu gelten?

„Ja, das mag paradox sein. Auf der anderen Seite darf man aber nicht vergessen, dass beide Parteien - Grüne und Christdemokraten - aus der Sicht vieler tschechischer Wähler berechenbar sind. Man kann das ein wenig damit vergleichen, dass man sich in einem Geschäft zunächst für neue Produkte oder neue Waren entscheidet, und auf einmal zu den alten zurückkehrt, die man zuvor gekauft hat. Ähnlich ist das mit den Grünen und den Christdemokraten. Zudem sind beide Parteien, die mit ihren Niederlagen bei den letzten Parlamentswahlen, nachdem sie die Fünf-Prozent-Hürde nicht geschafft haben, ja nicht von der Welt verschwunden sind. Beide Parteien haben auf kommunaler Ebene weiterhin ihre Politik betrieben und ihre Themen verfochten. Und gerade das ist ein Beweis für viel Wähler, dass sie keine Eintagsfliegen sind, wie zum Beispiel die Partei der öffentlichen Angelegenheit. Die Wege dieser Parteien sind auf längere Frist angelegt.“

Ondřej Liška
Was können Grüne und Christdemokraten ihren potentiellen Wählern bieten? Haben sich beide Parteien zum Beispiel in den letzten Jahren runderneuert?

„Da muss man unterscheiden. Bei den Christdemokraten hat tatsächlich eine sehr radikale Erneuerung stattgefunden. Im engsten Führungszirkel sind nur junge Politiker, von der alten Politikergarde ist da kaum einer mehr vertreten. Bei den Grünen ist das alte Team um Ondřej Liška an der Parteispitze geblieben. Aber wichtig ist, dass beide Parteien einen gewissen Mittelweg propagieren. Es sind keine Parteien, die behaupten würden, nur links oder nur rechts zu sein. Ebenso wenig würden sie sagen, sie seien nur fürs Sparen oder für weitere Ausgaben, um die Wirtschaft anzukurbeln. Ein Mittelweg fehlt der aktuellen tschechischen Regierung eigentlich in der heutigen Diskussion um das Sparen und um ihre Reformen. Aus dem Grund ist vielleicht ausgerechnet für diese beiden Parteien die Unterstützung durch die Wähler relativ hoch. Auf der anderen Seite wenden sie sich weiter an ihre traditionellen Wählerschichten. Die Christdemokraten konzentriert sich auf die ländlichen Gegenden, während sie es in großen Städten schwer hat. Die Grünen wiederum im Gegenzug sind eher im städtischen Milieu verankert und haben es auf dem flachen Land schwerer.“

Diese beiden Parteien hätten den Vorteil, dass sie den politischen Betrieb in Tschechien sehr gut kennen und ihnen wohl keine Anfangsfehler unterlaufen dürften. Worauf werden sie dennoch achten müssen?

„Das Wichtigste wäre für beide Parteien, vorausgesetzt sie würden den Einzug ins Parlament schaffen, nicht gleich in die Regierung einzutreten. Das hat sich in der letzten Zeit oft als sehr großes Handicap erwiesen. Bei den Christdemokraten könnte sich das alte Image oder alte Bild der Partei wiederbeleben: dass die Partei prinzipienlos sei und praktisch in jede Regierung eintrete, unabhängig davon, ob sie von den Bürgerlichen oder von den Sozialdemokraten geführt wird. Und das nur aus dem Grund, sich Posten und einen gewissen Einfluss zu sichern. Bei den Grünen würde das größte Risiko wiederum darin bestehen, dass das alte Flügeldenken wie „linke Grüne“ und „rechte Grüne“ wieder auftauchen könnte. Meiner Meinung nach sind das die größten Risiken dieser beiden Parteien. Natürlich haben sie sich personell und programmatisch erneuert. Aber die Basis kann man eben nicht austauschen. Die Basis trägt man gerade als traditionsreiche Partei, wie die Christdemokraten es sind, immer mit sich.“