Kinder dokumentieren Geschichte – für eine Wanderausstellung durch Tschechien
Dieses Jahr ist das der „schicksalhaften Achten“. Doch wie vermittelt man Kindern, was sich 1918, 1938, 1948 oder 1968 in der Tschechoslowakei abgespielt hat? Natürlich senden Funk und Fernsehen gerade in diesem Jahr verstärkt historische Beiträge und manche sind auch für jüngeres Publikum verständlich. Am besten wissen aber Kinder oder Jugendliche selbst, was sie interessiert. Und darauf zielt das Projekt „Bojovnici proti totalitě – Kämpfer gegen den Totalitarismus“. Dort hat der Nachwuchs selbst Dokumentarbeiträge über jene Helden angefertigt, die sich gegen Nazismus und Kommunismus gestemmt haben. Die Filme werden derzeit auf einer Wanderausstellung gezeigt, die unter anderem im ostböhmischen Svitavy Station gemacht hat.
Eines der Dokumente ist ein Film, den Gymnasiasten im ostböhmischen Polička gedreht haben. Der Film schildert Erfahrungen des ehemaligen Schülers Jaroslav Petr, der an diesem Gymnasium die Besatzung der Tschechoslowakei im Jahre 1938 erlebt hat. Das 20 Minuten lange Dokument beschreibt unter anderem, wie Herr Petr Verhöre der Gestapo über sich ergehen lassen musste.
„Hallo, hier sind Monika, Aneta, Honza und Honza, Denisa, Lenka, Kuba, Sváťa und Klára. Wir alle grüßen Euch und wünschen schön verbrachte Zeit beim Zuhören unserer gemeinsamen Arbeit. Unser Projekt schildert das Schicksal von Herr Rudolf Macek, der in den 50er Jahren aus politischen Gründen in einem kommunistischen Lager war“ - so fängt ein weiteres Dokument an.
In diesem Fall handelt es sich nicht um einen Film sondern um einen Radiobeitrag. Diesen haben Schüler aus der Grundschule im ostböhmischen Ort Deštné v Orlických horách vorbereitet. Insgesamt acht Schüler aus der achten und neunten Klasse haben mitgemacht. Eine der Autorinnen ist auch die 14-jährige Aneta Šritrová:
„Eines Tages kam unsere Lehrerin. Und sie fragte uns, ob wir mitmachen wollen. Sie sagte uns, worum es geht und wir haben uns dann angeschlossen. Und wir haben das Dokument über Herrn Macek gemacht. Wir hatten eine Diskussionsrunde mit ihm in der Schule. Er erzählte uns und das sprach uns an. Wir haben ihn dann angerufen und haben uns verabredet.“
Das sind nur zwei Beispiele der dokumentarischen Beiträge, die Kinder aus der ganzen Tschechischen Republik im Rahmen des Projektes “Bojovníci proti totalitě – Kämpfer gegen den Totalitarismus“ angefertigt haben. Insgesamt entstanden 33 Filme oder Radiobeiträge. Dazu kommen viele Fotos und Texte, auch diese stammen von den Kindern. Ihre Werke werden nun in einer Ausstellung der Öffentlichkeit vorgestellt. Es ist eine Wanderausstellung, die am 3. Juni in Zlín ihre Reise durch die Republik gestartet hat. Sie war mittlerweile schon in Nordböhmen, Südmähren, aber auch im ostböhmischen Svitavy zu sehen. Der Bürgermeister von Svitavy, Jiří Brýdl, zeigte sich von dieser Art des Kennenlernens tschechischer Geschichte begeistert.
„Ich begrüßte das aus zwei Gründen. Allgemein wird Geschichte eher als Zusammenfassung von Daten gelehrt. Aber eigentlich geht es doch um die Geschichten der Menschen. Dass insgesamt 170.000 Menschen die Tschechoslowakei nach dem Jahre 1948 verlassen haben, das sagt den Schülern und der Jugend nicht viel. Aber wenn sie das Schicksal eines Menschen kennen lernen, dann kommt das bei ihnen an. Das zweite Problem ist, dass der Geschichtsunterricht an unseren Schulen oft mit dem 19. Jahrhundert endet“, lobt Bürgermeister Brýdl die Wanderausstellung.
In Svitavy war die Ausstellung im August auf dem Platz Náměstí Míru zu sehen. Die Ausstellung fand in einem Militärzelt statt, das ist das Konzept. Das Projekt wird schließlich vom Verteidigungsministerium unterstützt. An der Ausstellung haben insgesamt mehrere Dutzend Kinder von tschechischen Schulen gearbeitet. Sie haben auf diese Weise nicht nur die Geschichte ihres Landes kennen gelernt, sondern dazu noch eine Lektion in Medienkunde erhalten. Der Koordinator der Ausstellung, Petr Ducháček aus dem tschechischen Verteidigungsministerium:
„Es war sehr interessant. Die Schulen haben das Projekt als Medienkunde betrachtet. Die Lehrer selbst haben erst einmal alles Nötige gelernt, Und danach haben sie Kinder angeleitet. Vom Ministerium haben sie die technische Unterstützung erhalten. Wir haben dazu mit einem Drehbuchautor sowie einer Drehbuchautorin und einem Regisseur vom Tschechischen Fernsehen zusammengearbeitet, die Vorträge an den Schulen gehalten und auf diese Weise eine Anleitung ausgearbeitet haben.“
Die Kinder sind nämlich technisch sehr begabt und haben die Beiträge beispielsweise auch selbst geschnitten, bestätigt Schülerin Aneta Šritrová.
„Ein Junge aus der achten Klasse hat das gemacht und unsere Lehrerin hat ihm geholfen. Wir haben ihm nur gesagt, was wir herausschneiden wollen.“
Dabei war das Schneiden bestimmt keine leichte Aufgabe, denn die Schüler haben nicht nur Interviews geführt, sonder auch Meinungsumfragen gemacht und sogar kurze Szenen selbst gespielt. Mit den Meinungsumfragen oder den Bildern in den Filmen machen die Schüler darauf aufmerksam, dass viele der Opfer der Regime damals noch so jung waren wie sie. Trotzdem wurden sie Opfer der Politik.
Ideengeberin für das Projekt war Verteidigungsministerin Vlasta Parkanová. Petr Ducháček aus dem Ministerium erläutert:
„Eines der Ziele der Ministerin ist die Bereitstellung von Pflege für Weltkriegs-Veteranen. Und wir haben darüber nachgedacht, wie wir diese Idee bereichern könnten. Uns fiel dann dieses Projekt ein und Parkanová hat es maximal unterstützt. Sie hat sich alle dokumentarischen Beiträge angesehen und angehört und hat ihre Qualität bewertet. Anfangs hatten wir keine großen Pläne. Als wir aber sahen, was man alles mit diesem Projekt machen kann, haben wir auch die Ausstellung aufgebaut. Wir reisen jetzt seit zwei Monaten mit der Ausstellung durchs Land und werden noch etwa zwei Monate weitermachen.“
Die Wanderausstellung wird also bis Ende September durch Tschechien kreuzen. Alle Filme, Audiobeiträge und weitere Infos über das Projekt sind auch im Internet unter www.bojovniciprotitotalite.cz zu finden. An tschechischen Schulen wurden in den letzten Jahren bereits mehrere ähnliche Projekte durchgeführt. Beispielsweise „Verschwundene Nachbarn“ – ein Projekt, das die Schicksale jüdischer Familien aus tschechischen Städten und Dörfern dokumentiert hat. Was aber bringt die Arbeit den Kindern? Aneta Šritrová aus Deštné v Orlických horách findet:
„Wir haben mehr interessante Dinge erfahren, zum Beispiel wie es in dem Lager aussah. Und diejenigen die aufs Gymnasium gehen, für die ist das bestimmt gut.“