Koloss im Umbruch: Die Nationalgalerie im Jahr 2016

Foto: Miroslav Krupička

Alles neu oder zumindest fast – mit diesem Ansatz ist Jiří Fajt im vergangenen Jahr als neuer Chef der Nationalgalerie angetreten. Allerdings: Die altehrwürdige Gemäldesammlung mit ihren sechs Häusern in Prag ist ein Koloss, der sich nicht von heute auf morgen revolutionieren lässt. Im kommenden Jahr feiert die Institution ihren 220. Geburtstag. Mit seinem Kuratorenteam will Fajt die Galerie weiter öffnen und endlich die baulichen und konzeptuellen Voraussetzungen für große Kunst schaffen.

„Die Nationalgalerie war aus dem Bewusstsein verschwunden – in Tschechien und Europa. Wir sind dabei, das zu ändern.“

Internationaler, jünger und vor allem näher am Puls der Zeit: Das waren die selbsterklärten Ziele, mit denen Jiří Fajt das Ruder der Nationalgalerie übernommen hat. Die Situation war trist, als er 2014 sein Amt angetreten hat, sagt der Kunsthistoriker:

„Wenn man sich die öffentliche Wahrnehmung ansieht: Während der letzten 15, 20 Jahre bedeutete die Galerie für die Menschen hier fast nichts. Sie war verschwunden aus dem Bewusstsein in Tschechien und Europa. Das wollen wir ändern, und ich denke, wir sind auf dem richtigen Weg.“

Ausstellung „Künstler und Propheten“  (Foto: Miroslav Krupička)
Wir – das ist ein Kuratorenteam, das Fajt nach dem Vorbild internationaler Häuser zusammengestellt hat. Über 20 frühere Angestellte sind gegangen oder mussten gehen, ein teils schmerzlicher Prozess, sagt Fajt. Kooperationen mit dem Ausland haben in diesem Jahr gezeigt, in welche Richtung es gehen soll. Eine Kokoschka-Ausstellung aus Regensburg wurde gefeiert. Zur Eröffnung der Ausstellung „Künstler und Propheten“ kamen über Tausend Besucher, um eine Performance von Jonathan Meese zu sehen:

Messepalast  | Foto: Packa,  Wikimedia Commons,  CC BY-SA 2.5
„Wir haben vor allem die jüngere Generation angesprochen und angezogen. Wenn wir uns die Veranstaltungen hier im Messepalast ansehen: Die Mehrheit der Besucher ist zwischen 20 und 40 Jahre alt. Das freut uns besonders.“

Der Messepalast, ein funktionalistischer Bau aus den 1920er Jahren, beherbergt bislang die Sammlung moderner Kunst. In Zukunft soll er als „Headquarter“ der Nationalgalerie fungieren. Im nächsten Jahr beginnt die Ausschreibung für einen Architektenwettbewerb. In einigen Jahren sollen Ausstellungen, Sammlungen, das Archiv, die Bibliothek und vor allem: die 260 Mitarbeiter der Nationalgalerie dann hier ihren Platz finden.

„Ich muss den Laden an einem Ort haben. Es ist kaum zu managen, wenn ich verschiedene Mitarbeiter und Abteilungen verstreut in sechs verschiedenen Gebäuden im historischen Zentrum von Prag habe. Das verlangsamt alles und macht alles sehr kompliziert.“

Kinsky-Palais  (Foto: Archiv des Tschechischen Rundfunks - Radio Prag)
Neben dem Messepalast sind die Mitarbeiter bisher an folgenden Orten verstreut: in den Palais Schwarzenberg, Sternberg und Salm auf dem Hradschin, außerdem im Agnes-Kloster und im Kinsky-Palais in der Altstadt. Dort eröffnet im kommenden Jahr ein neues Besucherzentrum:

„Der Kinsky-Palais steht so zentral, dass es nicht mehr zentraler geht: am Altstädter Ring. Daran geht jeder vorbei, der Prag besucht, egal ob Tscheche oder Tourist. Das Problem ist, dass keiner oder nur sehr wenige in die Nationalgalerie gehen. Ihnen wollen wir zeigen, dass die Nationalgalerie eine ganz starke kulturelle Einrichtung in Prag ist. Wir wollen diese Besucher nun an diesem Ort einladen und ihnen mitteilen, wo sich unsere Sammlungen befinden. Der Kinsky-Palais soll die Galerie bekannt machen.“

“Wir wollen endlich einmal diese Trennung zwischen dem Böhmischen, Tschechischen und dem Europäischen aufgeben.“

Ein weiterer wichtiger Anlaufpunkt ist der Schwarzenberg-Palais auf dem Hradschin. Neuer Leiter der Sammlung alter Kunst wird ab Januar 2016 Marius Winzeler. Der Schweizer Kunsthistoriker kommt vom Stadtmuseum Zittau nach Prag und soll die Sammlung neu konzipieren. Jiří Fajt:

„Wir haben uns schnell geeinigt, was die Galerie braucht. Wir wollen endlich einmal diese Trennung zwischen dem Böhmischen, Tschechischen und dem Europäischen aufgeben und nicht länger den Eindruck vermitteln, dass Tschechien kein Teil Europas sei. Darum soll die geographische Aufteilung der Sammlung von einer chronologischen abgelöst werden. Das heißt, im Schwarzenberg-Palais wollen wir europäischen Manierismus und Barock zeigen – und das heißt eben auch tschechischen.“

Sammlung für sakrale Kunst aus dem Mittelalter im Agnes-Kloster  (Foto: Kristýna Maková,  Archiv des Tschechischen Rundfunks - Radio Prag)
2017 könnte die Neukonzeption im Schwarzenberg-Palais abgeschlossen und sichtbar in der Dauerausstellung sein. Ein völlig neues Gesicht bekommt auch das ehemalige Agnes-Kloster, die bisherige Sammlung für sakrale Kunst aus dem Mittelalter.

„Dort wollen wir auch die Außenanlagen revitalisieren. Gerade entsteht dort eine Parkanlage mit einem Skulpturengarten, eröffnet wird im Juni nächsten Jahres. Wir sind den zeitgenössischen Künstlern sehr dankbar, die uns dafür ihre Werke ausgeliehen haben. Ich denke, das Agnes-Kloster hat großes Potential. Wir werden bisher unzugängliche Teile öffnen, und wollen dort auch ein Kulturprogramm veranstalten, zum Beispiel ein Sommerkino und Theateraufführungen.“

Adam Budak  (Foto: Kristýna Maková,  Archiv des Tschechischen Rundfunks - Radio Prag)
Großes Potential sieht Fajt inzwischen auch darin, dass die Nationalgalerie eben nicht über ein zentrales Gebäude verfügt, sondern über sechs Häuser. Dass sie zusammengehören, will die erste große Ausstellung im kommenden Jahr deutlich machen. Sie trägt den Titel „Velkorysost“ – Großzügigkeit. Adam Budak ist seit einem Jahr Chefkurator der Nationalgalerie:

„Diese Hauptausstellung findet im Kinsky-Palais statt. Sie versammelt Arbeiten aus allen Sammlungen der Nationalgalerie: von den Alten Meistern über asiatische Kunst, afrikanische Kunst bis zur zeitgenössischen Kunst. In erster Linie sind es Arbeiten, die im Laufe der Zeit von großzügigen Spendern zur Verfügung gestellt wurden. Diese Arbeiten werden in einen Kontext gesetzt mit Arbeiten von außen, die eine Art Ikonographie von Großzügigkeit verbildlichen. Außerdem wird es künstlerische Interventionen von ausländischen Künstlern in allen Gebäuden der Nationalgalerie geben, denn das Ziel der Ausstellung ist es, die kollektive Identität dieser Institution nachzuzeichnen.“

„Großzügigkeit ist das Fundament vieler Museen auf der Welt. Auch darum machen wir zum 220. Geburtstag der Nationalgalerie eine Ausstellung zu diesem Thema.“

Adam Budak kommt aus Polen, zuletzt war er in New York tätig. Offener mit der Welt zu kommunizieren, das sei die Meistererzählung der Ausstellung „Velkorysost“:

„Großzügigkeit ist unglaublich wichtig für unser aller Zukunft. Jeder sollte sich damit befassen, darüber nachdenken und in seinem Alltag anwenden. Sie ist das Fundament der Menschheit. Ich denke, gerade großzügiges Handeln bildet das Fundament für viele Museen auf der Welt. Darum war ich der Meinung, dass es großen Sinn hat, zum 220. Geburtstag der Nationalgalerie in Prag gerade eine Ausstellung zu diesem Thema zu machen.“

Jiří Fajt  (Foto: Filip Jandourek,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
Die Ausstellung fügt sich programmatisch ein in die Pläne von Jiří Fajt. Ohne Sponsoren und abhängig von öffentlichen Fördergeldern ist das Programm nicht zu stemmen. Darum soll eine neue Beziehung zwischen dem Öffentlichen und dem Privaten kultiviert werden, sagt der Chef der Nationalgalerie:

„Wir möchten eine Plattform schaffen, wo wir mit den Privatsammlern, Galeristen und Kollegen aus der Kunstszene ins Gespräch können. Gerade von diesem Nebeneinander können wir profitieren. Wir müssen auch unserer Mitgliederprogramme neu entwerfen und viel mehr Menschen in einer differenzierten Art und Weise anziehen – damit sie die Freude an der Kunst mit uns teilen, und uns eventuell auch fördern. Ohne private Förderung können wir uns unser Programm kaum leisten.“

El Hadj Sy  (Foto: YouTube)
Neben den großen Ausstellungen unter anderem zu Karl IV. und Henri Rousseau wird das Programm im kommenden Jahr vor allem auch wieder politisch. Mit der Installation ‚Zodiac Heads‘ von Ai Wei Wei holen die Kuratoren um Adam Budak den derzeit wohl berühmtesten Künstler nach Prag:

„Das ist sozusagen das Warming Up für eine größere Ausstellung, die Ai Wei Wei 2017 in der großen Halle des Messepalasts zeigen wird. Wie wir alle wissen, ist seine Arbeit im politischen Kontext sehr bedeutend. Politik ist aber auch sehr wichtig für den senegalesischen Künstler El Hadj Sy. Sein Werk ist extrem partizipatorisch, er beschäftigt sich mit Politik, Performance und Malerei. Es wird die erste Ausstellung eines zeitgenössischen afrikanischen Künstlers in der Nationalgalerie. Und zuletzt zeigen wir in unserem Zyklus ein Reenactment von Jiří David, eine sehr politische Installation, die in diesem Jahr im tschechischen Pavillon der Biennale von Venedig gezeigt wurde. So haben wir also eine Art Überblick über politische Positionen, wie sie zeitgenössische Künstler umsetzen.“

Autor: Annette Kraus
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