Krake, Qualle, UFO, oder was ? Die neue Nationalbibliothek teilt die Nation

Das siegreiche Projekt der Nationalbibliothek in Prag

Wissen Sie, was mit der Bezeichnung "Blob-Architektur" gemeint ist? Für die Mehrheit der Nichtarchitekten, also Architekturlaien, war das bis vor kurzem hierzulande eher ein unbekannter Begriff. Dies gilt nun aber nicht mehr. Vor drei Wochen wurde in Prag das Sieger-Projekt für den Bau einer neuen "Nationalbibliothek der Tschechischen Republik" - so der offizielle Name - vorgestellt und seitdem steht es fest: Die tschechische Hauptstadt soll innerhalb von fünf Jahren einen Blob haben. Doch neben diesem "terminus technicus" gibt es im Volksmund auch andere Bezeichnungen wie Krake, Qualle, UFO, Muschel. Kurzum, das zu entstehende Objekt sorgt für Furore. Mehr über das erfolgreiche Projekt eines internationalen Wettbewerbs erfahren Sie in der neuen Folge der Sendereihe Kultursalon von und mit Jitka Mladkova:

"Als Blob-Architektur, Nicht-Standard-Architektur oder Freiform-Architektur werden Bauten und Entwürfe bezeichnet, die komplexe, fließende, oft gerundete und biomorphe Formen aufweisen, die auf Freiformkurven (Splines) beruhen und erst durch moderne Entwurfssoftware für Architekten denkbar werden."

So ein Zitat aus der Internetenzyklopädie Wikipedia. Der Architekt, der sich der modernen Enwurfssoftware bereits seit mehreren Jahren bedient, heißt Jan Kaplicky. Der seit 1969 in Großbritannien lebende Tscheche hat sich durch weltweit bekannte Bauprojekte einen Namen gemacht. Zum ersten Mal wohl in 1989 mit seinem Bauentwurf für die Pariser Bibliotheque de France, mit dem er im Wettbewerb den 2. Platz belegt hatte. Realisiert wurden aber schon früher Projekte seiner Werkstatt "Future Systems" wie zum Beispiel das 1985 auf dem Londoner Trafalgar Square gebaute Bürohaus, 1994 das Lords Media Centre an einem Londoner Cricketfeld oder 2003 das Kaufhaus Selfridges in Birmigham.

Zum ersten Mal soll er nun auch der Prager Architektur seinen Stempel aufdrücken. Dies durch nichts Geringeres als eine neue Nationalbibliothek. Welche Bedeutung ihr hierzulande beigemessen wird, deutete Kulturminister Vaclav Jehlicka höchstpersönlich bei der feierlichen Verkündung des siegreichen Projektes an:

"Die Bibliotheken sieht das Kulturministerium als einen unverzichtbaren Teil der Informations-, Bildungs- und kulturellen Infrastruktur der Gesellschaft. Und wenn nicht die Nationalbibliothek - eines der Symbole der Kultur und Bildung unseres Volkes - welche Institution sonst sollte den leichten schnellen und freien Zugang zu Informationen ermöglichen? Gerade sie beherbergt in ihren Fonds das wertvollste Erbe, das unser Land besitzt."

Eine Nationalbibliothek mit Sitz im ehrwürdigen historischen Klementinum gibt es in Prag zwar seit Jahrzehnten. Schon seit Jahren aber kämpft sie mit dem Problem mangelnder Lagerräume für die Bücher. Es wurde beschlossen, den Bücherfonds aufzuteilen - in historische und neuzeitliche Sammlungen. Für die letzteren soll ein neues Domizil gebaut werden. Vor einem Jahr wurde ein streng anonymes Ausschreiben in die Wege geleitet, das sich an den Regeln der Internationalen Architektenunion (IAU) orientierte. Acht Gutachter, unter ihnen auch die Weltstararchitektin Zaha Hadid, mussten insgesamt 322 eingereichte Projekte beurteilen. Im Finale haben sie sich dann zwischen acht Projekten entschieden.

Die Qual der Wahl deutet die Juryvorsitzende und international renommierte tschecho-britische Architektin Eva Jiricna an:

"Jeder von uns ist in einem anderen Ambiente geboren beziehungsweise erzogen worden und arbeitet auch unter verschiedenen Bedingungen. Dadurch werden seine Weltanschauung und auch sein Geschmack geprägt. Mit unseren persönlichen Prioritäten fangen wir an, die Projekte der völlig verschiedenen Kategorien zu beurteilen. Bis es gelingt, diese "Last" persönlicher Präferenzen abzulegen und man versucht, sich gegenseitig zu verstehen, um ein objektives Urteil über das Endresultat zu erreichen, ist dies ein sehr schwieriger Prozess. Wird er am Ende mit einer einmütigen Entscheidung gekrönt, dann verspürt man als Juror die wahre Genugtuung, alles in den eigenen Kräften liegende getan zu haben."

Prag ist aber auch eine der von der UNESCO deklarierten Städte des Weltkulturerbes, und das bedeutet, dass viele Kriterien beachtet werden müssen, wenn ein neues Gebäude in das bestehende Stadtbild eingefügt werden soll. So zum Beispiel die Dimensionen des Projektes oder die angemessene Einbeziehung der Umgebung. Da die neue Bibliothek auf dem Letna oberhalb der Altsstadt stehen soll, musste man auch das zukünftige Panorama aus verschiedenen Blickwinkeln unter die Lupe nehmen. Ob die einzelnen Projekte diese Punkte respektieren, darüber wachte für die Unesco Irene Wiese von Ofen, als Mitglied der Jury.

"Wir hatten über 300 eingereichte Projekte in der ersten Runde und da waren zum Beispiel viele Hochhäuser dabei. Wenn Sie sich das Letna-Gelände anschauen, dann sehen Sie, dass es eine ganz exponierte Hangsituation ist. Ich würde aus der Sicht der Auswirkungen auf das Panorama und die Silhouette jedenfalls ein bisschen kritisch auf Hochhauslösungen schauen. Das habe ich auch in der Jury zum Ausdruck gebracht. Hochhäuser sind aber aus verschiedenen Gründen von der Jury ausgeschlossen worden. Dabei wurden viele Kriterien berücksichtigt. Ein Kriterium war zum Beispiel die Frage des Materials. Wir leben heute in einer Zeit, in der wir glauben, alles zu können. Alle früheren Jahrhunderte hatten stilistische Unterschiede, aber sie blieben in bestimmten Dimensionen und waren den Materialien gewissermaßen angepasst. Das ist ein Wort, das Architekten nicht gerne hören."

Prag hat Architektur verschiedenster Baustile. Wie schwer war es, einen modernen Bau hineinzukomponieren?

"Ja, das war eigentlich der schwierigste Teil der Rolle, die die Jury zu spielen hatte. Manchmal hatte ich den Eindruck, dass sich einige Kollegen unabhängiger präsentieren wollten als es nötig war und manchmal etwas Ungewöhnliches oder etwas außerordentlich Exemplarisches sagten, um einfach sozusagen nur zu provozieren. Ich habe versucht Argumente zu finden, womit ich die Jury davon überzeugen konnte, - letzten Endes haben wir ja auch den Weg einstimmig gefunden - dass moderne Architektur sehr wohl aus dem Rahmen fallen kann und sich trotzdem einfügen kann. Und das, denke ich, verspricht dieses Projekt am meisten."

War das ein schwieriger Reifeprozess, bis die Jury zu ihrer endgültigen Entscheidung kam?

"Ja. So war es, weil natürlich ein Temperament wie Zaha Hadid und meine ganze Berufserfahrung als Stadtplaner und Architektin auf der Seite einer großen Stadt, in der ich Jahrzehnte lang gearbeitet habe, schon ein- oder zweimal aufeinander geknallt sind!"

Nun, nachdem sich die Jury auf ihr Verdikt geeinigt hatte, wurde es einen Tag später verkündet. Doch damit fange alles erst richt an, sagte bei dieser Gelegenheit Vlastimil Jezek, Generaldirektor der Prager Nationalbibliothek und Jurymitglied. Er meinte damit vor allem die Entstehung einer landesweiten Debatte und hatte Recht. Das Projekt für die neue Nationalbibliothek hat die Nation in Befürworter und Gegner geteilt. Zeitungen und Zeitschriften haben sich als Sprachrohr in ihren Dienst gestellt. Den Projektautor Jan Kaplicky bringt das aber keineswegs aus der Fassung. Es sei nicht möglich, dass alle begeistert oder zufrieden sind, sagt er. Für ihn sei das nichts Neues unter der Sonne:

"Über das Klementinum haben ganz bestimmt auch viele gesagt, wie schrecklich das Haus aussieht. Man kann schließlich über alles schlecht reden, wenn man will. Eine Idee zu haben, einen Entwurf anzufertigen und ihn umzusetzen, das ist nicht einfach. In der Kneipe zu sitzen und zu kritisieren, das ist sehr leicht."

Kaplicky fürchtet sich nicht vor dem vermeintlichen Konservatismus der Tschechen. Konservativ denkende Tschechen gebe es zwar, allerdings nicht in höherem Masse als in einem anderen Land in Europa.

Vor einer Woche musste schon das erste konkrete Problem gelöst werden. Die Tschechische Architektenkammer warf dem Projekt vor, gegen die ursprünglichen Auflagen des Ausschreibens "nachweisbar" verstoßen zu haben. Die Lagerräume für etwa zehn Millionen Bücher sollen laut Projekt unterhalb der Erde situiert werden, was die Wettbewerbsregeln nicht zulassen. Und die Antwort der Internationalen Architektenunion? Der Wettbewerb sei aufgrund international gültiger Regeln gelaufen und es gebe absolut keinen Grund dafür, den siegreichen Entwurf auszuschließen.

Nun, ob die Nationalbibliothek auch in der von Jan Kaplicky vorgeschlagenen Form das Licht der Welt erblicken oder ob sie ihren Standort auf der Letna haben wird, darüber werden sich ganz bestimmt noch eine ganze Zeitlang die Geister scheiden.