Kreative Physik und seriöse Kunst

Michael Hoch (Foto: Markéta Kachlíková)
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Der Physiker Michael Hoch beschäftigt sich mit Elementarteilchen und arbeitet am CERN in Genf. Zugleich ist Hoch ein Fotograf und Künstler. Vor acht Jahren hat der Österreicher das sogenannte art@CMS-Programm ins Leben gerufen. In dessen Rahmen hat er an diesem Freitag einen physikalisch-künstlerischen Workshop in Prag geleitet. Wie sich Kunst und Wissenschaft verbinden und ergänzen lassen, erläutert er im folgenden Interview.

Michael Hoch  (Foto: Markéta Kachlíková)

Foto: xlibber,  Flickr,  CC BY 2.0
Der Physiker Michael Hoch beschäftigt sich mit Elementarteilchen und arbeitet am CERN in Genf. Zugleich ist Hoch ein Fotograf und Künstler. Vor acht Jahren hat der Österreicher das sogenannte art@CMS-Programm ins Leben gerufen. In dessen Rahmen hat er an diesem Freitag einen physikalisch-künstlerischen Workshop in Prag geleitet. Wie sich Kunst und Wissenschaft verbinden und ergänzen lassen, erläutert er im folgenden Interview. Die Fragen stellte MK.

Die Karlsuniversität in Prag hat an diesem Freitag ein Seminar für Schüler und Studenten veranstaltet. Dabei ging es um die Verbindung von Physik und Kunst. Herr Hoch, Sie sind nach Prag gekommen, um das Seminar zu leiten. Wie ist das alles zustande gekommen?

„Die Anlage war riesengroß und ästhetisch unheimlich schön. Ich habe sie künstlerisch fotografiert.“

„Ich bin Wissenschaftler. In Wien habe ich angewandte Physik studiert, aber eben auch Lehramt. Außerdem habe ich an der Kunstakademie Kurse belegt. Später habe ich mein Doktorat im CERN gemacht und war dort dann zunächst am Experiment Alice TPC beteiligt. Das war riesengroß und ästhetisch unheimlich schön, mit den vielen glänzenden Aluminiumstreifen und Spiegelungen. Ich habe das künstlerisch fotografiert. Dann wurde ich vom CNS-Experiment engagiert und habe dort wissenschaftlich gearbeitet. Natürlich habe ich es auch künstlerisch wahrgenommen und Kunstwerke generiert. Als ich diese präsentiert habe, habe ich festgestellt, wie leicht es ist, mit Personen, die nicht Wissenschafts-affin sind, tief philosophisch über die Kunstwerke zu sprechen.“

Foto: Tschechisches Fernsehen
Und so haben Sie ein Programm entwickelt, das Sie art@CNS genannt haben…

„Künstler weltweit arbeiten mit unseren Kollegen zusammen. Wir haben Ausstellungen und Workshops gemacht. Wir sind eine riesige Wissenschaftscommunity, die an einem Thema arbeitet, das superspannend ist: Der Beschleuniger am CERN ist einfach das stärkste und größte Mikroskop, das die Menschheit je gebaut hat. Wir schauen in einem sehr kleinen Bereich auf die Materie und versuchen herauszufinden, was die Welt im Elementarteilchenbereich zusammenhält. Dadurch ziehen wir Rückschlüsse auf die ersten Momente des Universums nach dem Urknall. Das Universum ist auch Inhalt in der Astrophysik, den Gravitationswellen oder der Kosmologie, also es gibt unterschiedliche Blickwinkel auf das gleiche Thema. Und da ist es nur ein kleiner Schritt, die Zusammenarbeit auszuweiten. Mittlerweile haben wir das Origin-Collaboration-Netzwerk gegründet, das neben den Experimenten der Astrophysik, Kosmologie, den Gravitationswellen auch die Kontakte mit Kreativen und Künstlern unterstützt. In einem weiteren Schritt werden dieses Know-how und diese Sichtweisen von der Wissenschaft und von der Kunst den kommenden Generationen, also den Studenten, zur Verfügung gestellt.“

„Wir ziehen wir Rückschlüsse auf die ersten Momente des Universums nach dem Urknall.“

Sie stehen hinter der Idee, die Physik und die Kunst im Rahmen des Programms zu verbinden:

„Für mich ist es wichtig, dass die Wissenschaft als ein kreatives Metier und die Kunst als ein seriöses Metier wahrgenommen werden. Wenn ich mit den Schülern ein Wissenschaftskunstprojekt beginne, sage ich ihnen sofort: ‚Ich bin nicht interessiert an Mickey Mouse. Wenn ihr nur etwas abmalt, dann ist das zu wenig.‘ Kunst ist ein Erlernen des Themas, ein Eintauchen in das Thema und eine Selbstreflexion, um einen kreativen Output zu leisten. Wichtig ist, dass man dieses wissenschaftliche ‚critical thinking‘ drinnen hat: Man glaubt nicht, sondern versucht, zu verstehen. Und andererseits arbeitet man persönliche Bereiche in einem kreativen Prozess in das Thema hinein.“

Foto: Tschechisches Fernsehen
Wie sieht so ein Workshop konkret aus und wie wird da gearbeitet? Geben Sie ein Thema vor, zu dem sich die Schüler und Studenten äußern sollen?

„Meine Kollegen vor Ort, die hier an der Universität und am CERN arbeiten, bereiten zunächst einmal wissenschaftliche Vorträge und Workshops vor. Im Anschluss daran wird das Thema wissenschaftlich-philosophisch besprochen. Es geht darum, nicht nur zu lernen, sondern auch zu versuchen, einen Bezug zum Leben und zum Dasein herzustellen. Und aus dieser Diskussion heraus initiieren wir, ein lokaler Künstler und ich, einige kreative Ateliers. Wir machen Experimente mit Farben, mit Kommunikation, wie die Abbildung auf einer Leinwand. Ich mache einen Science-Flashmob, wo ich animiere und wo sich die Schüler bewegen, um einen physischen Bezug herzustellen. Das alles wird wissenschaftlich in das Thema eingebettet, um sie kreativ anzuregen. Das ist der Beginn. Und dann fängt die spannende Phase an, in der wir die Schüler den Kunstlehrern überlassen. Sie greifen das Thema auf, wobei der Physiklehrer ein Supervisor, ein Gesprächspartner ist. Sie generieren über die nächsten Wochen ein Kunstwerk oder mehrere Kunstwerke, und am Ende des Schuljahres werden wir hier in Prag eine Ausstellung machen. Es ist absolut frei am kreativen Tool, manchmal ist es eine Performance, manchmal ist es ein Gemälde, eine Skulptur, oder ein Gedicht. Wir bieten eine Bühne, auf der sie das Resultat präsentieren. Wobei für mich eigentlich der Prozess wichtig ist. In Prag haben wir zudem Glück: Meine Kollegen bereiten für Juli eine ganz große Teilchenphysik-Konferenz vor, so dass die Werke vor einem internationalen Publikum präsentiert werden können.“

„Die Schüler generieren über die nächsten Wochen ein Kunstwerk, und am Ende des Schuljahres werden wir hier in Prag eine Ausstellung machen.“

Kann man sagen, dass diese Seminare ein Weg sind, die Wissenschaft, Forschung, die Physik und Teilchenphysik den Menschen begreiflicher zu machen?

„Auf jeden Fall. Für mich ist die Teilchenphysik etwas absolut Abstraktes. Wenn Sie mich jetzt anschauen, dann sehen Sie mich. Wenn ich jetzt kleiner wäre, brauchen Sie ein Instrument, nämlich eine Linse. Wenn ich noch kleiner wäre, ein Mikroskop. In Nanometer-Größen oder noch darunter brauche ich noch andere Instrumente. Wenn ich in das Molekül, in das Atom, in den Atomkern eindringen will, um dort zu analysieren, wie das ausschaut und wie das funktioniert, dann brauche ich einen Beschleuniger und Experimente. Dann ist die Wahrnehmung nicht mehr so, wie Sie mich jetzt sehen, sondern im Elementarteilchenbereich schaut die Materie ganz anders aus. Sie ist sehr abstrakt. Um das zu begreifen, ist ein künstlerischer Aspekt sehr hilfreich, um ein gewisses Verständnis für dieses Thema, für diese Dimension zu bekommen.“

„Im Elementarteilchenbereich ist die Materie sehr abstrakt. Um das zu begreifen, ist ein künstlerischer Aspekt sehr hilfreich.“

Und wie ist das von der anderen Seite? Bringt es Ihnen als Wissenschaftler eine neue Perspektive, wenn Sie mit den Künstlern zusammenarbeiten?

„Mein Anliegen für die Studenten ist, dass man die Wissenschaft als kreativ wahrnimmt, und die Kunst als seriösen Aspekt. Und wenn ich das ernst nehme, was die Künstler mit diesem Thema machen, dann hat das nicht nur für die Schüler und Betrachter einen verändernden Aspekt, sondern auch für die Wissenschaft selbst. Ich nehme dann wahr, wie andere mein Thema begreifen. Da liegt sehr viel Eigenreflexion darin. Das ist in der Wissenschaft immer ganz wichtig, dass ich mich nicht auf Irrewegen befinde. Ich möchte ja im Wesentlichen, dass mein Thema richtig wahrgenommen wird, wissenschaftlich korrekt. Und dementsprechend ist auch wichtig, was ich kommuniziere, was ich als Antwort zurückbekomme, was die anderen verstehen. Da liegt natürlich ein Feedbackprozess drinnen, der selbst für die wissenschaftliche Diskussion interessant ist.“

Foto: Tschechisches Fernsehen
Für die tschechische Seite ist der renommierte Maler Vladimír Kokolia mit dabei. Wie sind sie mit ihm in Kontakt gekommen?

„Er wurde mir von den Kollegen vorgestellt, mit denen ich wissenschaftlich zusammenarbeite. Das ist super. So eine Persönlichkeit im Projekt zu haben, ist ganz wichtig. Mir geht es darum, dass das Ganze eine seriöse Auseinandersetzung ist. Und ich kann nur seriös sein, wenn ich auch Spezialisten aus dem Fach habe.“

„Ich möchte, dass ich mich mit allen Themen wissenschaftlich auseinandersetze, dann aber auch persönliche Aspekte und Hintergründe, die mir die Kunst bietet, einfließen lasse.“

Sie haben ähnliche Workshops in vielen Ländern veranstaltet. Ist dieses Seminar in Prag das erste in Tschechien?

„Ja in Tschechien ist das jetzt das erste, und ich hoffe, nicht das letzte. Unsere wissenschaftliche Community ist in Prag sehr stark, und wenn wir es schaffen, die kreative Community für unser Thema zu begeistern, und sie unterstützen, in einer Kooperation kreativ tätig zu sein, und das der nächsten Generation, sprich den Schülern schmackhaft zu machen, dann ist es ein allgemein großer Gewinn für unsere Gesellschaft. Weil gerade in der Zeit, wo die Politik mehr aus Fake-News und falschen Emotionen besteht, sollten wir der kommenden Generation klar machen, dass sie nicht alles glauben sollen, sondern überprüfen und wissen. Also nach dem Motto, wer nichts weiß, muss alles glauben, das möchte ich eben nicht. Ich möchte, dass ich mich mit allen Themen wissenschaftlich auseinandersetze, dass ich Fakten passiere, Rückschlüsse und Entscheidungen treffe, dann aber auch persönliche Aspekte und Hintergründe, die mir die Kunst bietet, einfließen lasse.“