Krippen im Paradies: Das Regionalmuseum Turnov

Foto: Martina Schneibergová

Die Stadt Turnov / Turnau liegt in Nordböhmen und grenzt im Süden und Nordosten an das Landschaftsschutzgebiet Český ráj / Böhmisches Paradies. Das Regionalmuseum der Stadt wurde nach dem Landschaftsschutzgebiet benannt.

„Steinschneider-Haus“ in Turnov  (Foto: Martina Schneibergová)
Das Museum des Böhmischen Paradieses befindet sich im historischen Stadtkern von Turnov, nur etwa 100 Meter vom Marktplatz. Im Hof des Hauptgebäudes steht ein herrliches Umgebindehaus. Es gehört zum Museum und wird „Kamenářský dům“ – zu Deutsch das „Steinschneider-Haus“ genannt. Das Gebäude sei eine genaue Replik des Hauses, das einst auf dem Havlíček-Platz stand, sagt Vladimíra Jakouběová. Sie leitet das Museum in Turnov:

„Es war das letzte Umgebindehaus, das einzige erhaltene Beispiel dafür, wie die Stadthäuser in Turnov ausgesehen haben. Ich beschäftige mich seit 30 Jahren mit der Volksarchitektur und habe mir schon immer gewünscht, dass dieses Haus in der Stadt wieder errichtet wird. Denn das Originalgebäude sollte ursprünglich in ein Freilichtmuseum transportiert werden. Dazu kam es jedoch nicht und das Haus wurde 1972 abgerissen. Seit 1998 bemühten wir uns darum, die notwendigen Unterlagen sowie die finanziellen Mittel zusammenzutragen, um das Umgebindehaus wieder errichten zu können. Dabei half uns auch die Stadt Idar-Oberstein aus Rheinland-Pfalz. Das ist eine Stadt mit Steinschneidertradition. Dort ist man sehr stolz darauf, dass die Steinschneider – also die Steinschleifer – aus Turnov den dortigen Handwerkern im 19. Jahrhundert das Steinschleifen beigebracht haben.“

Foto: Martina Schneibergová
Das neue Umgebindehaus wurde in den Jahren 2009 bis 2010 erbaut. Der Dachboden des Steinschneider-Hauses dient als Ausstellungsraum. Vor einigen Tagen wurde dort eine Ausstellung von Weihnachtskrippen eröffnet, die aus der Sammlung des Ehepaars Jana und Josef Scheybal stammen. Jana Scheybalová war Ethnographin, ihr Mann Josef war Historiker. Sie befassten sich mit Ethnographie, Volksarchitektur und Regionalgeschichte und haben große Verdienste um den Denkmalschutz in der Region. Die Scheybals haben sehr wertvolle Kunstsammlungen hinterlassen. Josef Scheybal starb 2001, seine Frau 2008. Da sie keine Erben hatten, gingen ihre Sammlungen an das Museum in Turnov. Die Weihnachtskrippen aus diesen Sammlungen wurden noch nie gezeigt, sagt Vladimíra Jakouběová:

„Einige Exponate stammen noch aus der Sammlung, die Josef Scheybals Vater zusammengetragen hat. Unter den Schaustücken gibt es einzigartige Exemplare – wie beispielsweise die Drucke aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die von Stecher Bohmann signiert sind. Es handelt sich um die ersten Ausschneidebogen für Krippenfiguren, die in Europa gedruckt wurden. Es ist nur ein Schwarz-Weiß-Druck, der mit Hand koloriert war. Das ist das Wertvollste, was hier in der Ausstellung zu sehen ist.“

Foto: Martina Schneibergová
Einige der Exponate sind der Museumsleiterin zufolge von besonderer Bedeutung für die Region. In Turnov soll ein bekannter Krippenmaler, ein gewisser Herr Kos, gelebt haben, erzählt sie. Vladimíra Jakouběová kannte jedoch keines seiner Werke...

„In Scheybals Sammlung stießen wir auf Krippenfiguren, die mit Tempera auf Karton gemalt wurden. Das waren Figuren, die der Trafikant Josef Kos aus Turnov gemalt hatte. Es gab hier auch andere begabte Menschen, die keine künstlerische Ausbildung hatten, die aber Weihnachtskrippen angefertigt haben. Wir zeigen bei uns auch einige Beispiele von Krippenfiguren aus Nordostböhmen, die Maler sind nicht bekannt. Josef Scheybals Vater war Antiquar und da hatte er die Möglichkeit, an diese Exemplare heranzukommen. Es handelt sich nicht um komplette Weihnachtskrippen, sondern nur um einzelne Figuren, die er von verschiedenen Familien aus der Umgebung kaufen konnte.“

Foto: Martina Schneibergová
Neben Weihnachtskrippen und einzelnen Figuren aus Papier werden im Museum auch dreidimensionale Exponate gezeigt. Sie stammen aus dem Familienbesitz von Jana Scheybalová, die aus Lomnice nad Popelkou / Lomnitz an der Popelka stammte. Eine Krippe schuf Josef Junek, die andere Jaroslav Zajíc. Beide waren begabte Amateurkünstler aus Lomnice. Zu sehen sind zudem die ersten gedruckten Ausschneidebogen für Weihnachtskrippen, die anerkannte tschechische Künstler wie Mikoláš Aleš oder Marie Fischerová-Kvěchová malten. Aus künstlerischer Sicht am wertvollsten ist laut der Museumsleiterin eine Sammlung von Krippenfiguren, die auf Karton gemalt wurden und aus dem Kreis um den anerkannten Maler Jakob Ginzel (1792 – 1862) stammen.

Foto: Martina Schneibergová
„Es könnten Werke von Ginzel selbst sein, aber sie sind leider nicht signiert. Jedenfalls sind es Arbeiten aus dem Kreis um Ginzel, denn es gab viele Künstler, die ihn nachahmten. Da die Werke sehr gelungen sind, glauben wir, dass sie Ginzel selbst malte.“

Neben den Krippenfiguren aus dem 19. Jahrhundert ist im Museum auch eine zusammenklappbare Papierkrippe vom tschechischen Maler Vojtěch Kubašta (1914-1992) zu sehen. Diese recht modern wirkende Krippe wurde Ende der 1960er Jahre gedruckt und viel verkauft. Doch nach der Niederschlagung des Prager Frühlings mussten Weihnachtskrippen für eine lange Zeit aus den Geschäften verschwinden. Denn religiöse Motive waren untersagt.

Veronika Gocová  (Foto: Martina Schneibergová)
Im Steinschneider-Haus werden nicht nur Ausstellungen gezeigt. Die Räumlichkeiten im Erdgeschoss dienen als Werkstätte. Veronika Gocová gibt Kurse im Steinschneider-Haus.

„Seit Ende November bieten wir hier Weihnachts-Workshops für Schulklassen an. Dabei können die Kinder das Bleigießen lernen. Das Bleigießen gehört zu viel verbreiteten Weihnachtsbräuchen. Für die Öffentlichkeit gibt es Workshops am 11. und 12. Dezember. Die Besucher können dann versuchen, einen kleinen Fisch aus Blei zu gießen. Denn der Workshop hängt zusammen mit der Ausstellung ´Karpfen, Wels, Hecht´, die gerade im Hauptgebäude zu sehen ist.“

Foto: Martina Schneibergová
Nicht nur in der Adventszeit sind die Werkstätten im Steinschneider-Haus geöffnet. Während des ganzen Sommers hatten die Besucher des Museums beispielsweise die Möglichkeit, vorbei zu kommen, und Schmuck aus Olivin zu basteln oder das Steinschleifen auszuprobieren. Dies fanden auch ausländische Besucher interessant, erzählt Veronika Gocová:

„Während der Sommerferien haben viele Touristen aus Deutschland das Museum besucht. Sie waren bei den Workshops aktiv, und konnten ein selbst gebasteltes Produkt mit nach Hause nehmen. So wie es aussah, hat es ihnen Spaß gemacht.“

Marta Švajdová  (Foto: Martina Schneibergová)
Im Steinschneider-Haus kann man auch das Können der Goldschmiede bewundern. Ohrringe, Halsketten, Ringe sind in der halb beleuchteten Werkstatt ausgestellt, wo Marta Švajdová und ihr Kollege arbeiten:

„Wir haben hier ein Goldschmied-Atelier eingerichtet, wo wir Schmuckstücke herstellen, die wir selber entwerfen. Zudem stellen wir Schmuck auf Bestellung her oder führen Reparaturen durch.“

Das Museum des Böhmischen Paradieses in Turnov ist von Oktober bis April täglich außer montags von 9 bis 16 Uhr geöffnet, im Sommer eine Stunde länger. Die Weihnachtskrippenausstellung im Steinschneider-Haus ist bis zum 6. Januar 2016 zu sehen.

10
50.583720600000
15.152188700000
default
50.583720600000
15.152188700000