Kurzer Frieden der Religionen: der Majestätsbrief Rudolfs II.

Rudolf II.

Vor 400 Jahren starb Kaiser Rudolf II. - in das Ende seiner Herrschaft fiel eine politische Entscheidung, die fortschrittlich war für seine Zeit: Der Habsburger garantierte Religionsfreiheit in Böhmen, so geschehen im Majestätsbrief von 1609. Allerdings war dies keine freie Entscheidung, vielmehr hatten Aufstände den Herrscher dazu gezwungen. Und der Religionsfrieden sollte auch nicht lange halten.

Jan Hus
In Böhmen war schon früh eine starke protestantische Bewegung entstanden. Der Reformator Jan Hus formulierte bereits um 1413 seine wichtigsten Thesen. Als er für seine neue Kirchenlehre auf dem Scheiterhaufen sterben musste, stürzte das Land in eine lange Zeit der Kriege. Auch danach rückte keine wirkliche Lösung in Sicht. Es wurde eher noch komplizierter, weil weitere protestantische Richtungen entstanden. Alle Konfessionen schlossen sich gegenseitig eigentlich aus. Wie also miteinander auskommen?

„Seit der Hussitischen Revolution wurde um die Balance der existierenden Konfessionen immer wieder gestritten und gekämpft. Es gab neue Etappen der Koexistenz in Religionsfrieden, in Absprachen“, sagt Winfried Eberhard, Leiter des Geisteswissenschaftlichen Zentrums für die Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas in Leipzig.

1575 versuchen die Protestanten eine rechtliche Anerkennung zu erlangen und formulieren eine gemeinsame Bekenntnisschrift, die so genannte Confessio Bohemica. Winfried Eberhard:

„Diese verschiedenen protestantischen Richtungen, die sich seit der Hussitischen Revolution und dann vor allem im 16. Jahrhundert entwickelt haben, haben bei dieser Confessio Bohemica zu einer gewissen Bekenntniseinheit gefunden. Aber sie konnten sich nicht organisieren.“

Die evangelischen Stände kämpfen also weiter um ihre Rechte. Dabei finden sie im Habsburger Rudolf II. nicht gerade einen Fürsprecher. Der böhmische König und Kaiser des Reichs war im erzkatholischen Spanien erzogen worden.

„Diese sehr komplexe Persönlichkeit war relativ konsequent im Rekatholisierungsprozess. Was die Politik betrifft war er wirklich ein Rekatholisator“, urteilt der Historiker Jaroslav Pánek von der Tschechischen Akademie der Wissenschaften.

Doch Rudolf II. gerät mit seinem jüngeren Bruder Matthias in einen Streit um die Erbfolge. Und im Kampf gegen Matthias sucht er Unterstützung durch die protestantischen Stände in Böhmen.

Weniger war es also idealistische Einsicht, die den Kaiser befeuerte, „sondern der politische Zwang, der auf dem Kaiser gelegen hat, der Druck von Seiten seines Bruders Matthias, der König werden wollte. Die Mährer hatten ihn schon angenommen als Herrscher sowie die Österreicher und Rudolf stand nun unter Konkurrenzdruck“, so Historiker Eberhard.

Majestätsbrief von Kaiser Rudolf II.
1609 schlagen die protestantischen Stände in Böhmen einen neuen Religionsfrieden vor. Ihren Entwurf nimmt Rudolf II. als Grundlage für den Majestätsbrief. Am 9. Juli des Jahres bestätigt der Kaiser mit seiner Unterschrift und seinem Siegel die neuen Rechte. Im Text heißt es zum Beispiel:

„Auch darf schon ab dem heutigen Tag weder jemand aus den höheren Ständen, noch aus der Stadt oder etwa das Landvolk von seiner Obrigkeit oder irgendeinem Geistlichen und auch nicht von einem weltlichen Mann von seinem Glauben ausgeschlossen und unter keinen Umständen zum Glauben der zweiten Seite der Macht gedrängt werden.“

Private Glaubensfreiheit garantiert Rudolf II. hier seinen Untertanen. Zudem dürfen sich ab da die protestantischen Glaubensrichtungen als Confessio Bohemica gemeinsam organisieren. Dazu Jaroslav Pánek:

„Der böhmische Majestätsbrief war die Grundlage, um die Confessio Bohemica nicht nur inoffiziell, sondern auch laut dem Gesetz zu akzeptieren. Das war das Wichtigste. Zudem wurde geregelt, dass jede auch noch so komplizierte Kirchenorganisation eine gewisse Struktur und gewisse Ämter haben muss. Also: eine Universität, ein Konsistorium, gewisse gerichtliche Organisationen und so weiter. Und das alles ist in dem Majestätsbrief verankert.“

Alle Konfessionen waren nun rechtlich gleichgestellt – eigentlich doch ein tolles Vorbild für andere Gegenden des Reiches, könnte man meinen. Doch Winfried Eberhard von der Universität Leipzig verneint entschieden:

Kaiser Rudolf II.
„Im Gegenteil, es wurde im Reich befürchtet, dass der Majestätsbrief solche Auswirkungen haben könnte. Seit 1555 gab es im Augsburger Religionsfrieden die Religionshoheit der einzelnen Reichsstände, das heißt der Fürsten, der Städte, der Grafen und auch der Reichsterritorien. Der Kurfürst von Sachsen zum Beispiel konnte die Religion seiner Untertanen bestimmen: Alle mussten lutherisch sein, zu diesem Zeitpunkt sogar orthodox lutherisch. Diese protestantischen Stände und natürlich auch die katholischen befürchteten, dass das im Reich Schule machen könnte, was da in Böhmen an individueller Religionsfreiheit zutage getreten ist. Und das wollte man nicht, man wollte bei dem Reichsfrieden von Augsburg bleiben.“

Doch so toll die neuen Freiheiten klangen, der Majestätsbrief beendete den Religionsstreit auch in Böhmen nicht dauerhaft. Aber das war wohl nicht unbedingt das Entscheidende, glaubt Jaroslav Pánek:

„Die Zuspitzung der europäischen Zustände war für diese Situation und für die nächsten Konflikte noch wichtiger als die interne Lage.“

Bereits wenige Jahre später versuchen die protestantischen Stände Böhmens in einem Aufstand ihre Freiheiten zu verteidigen. Erfolglos, wie man weiß:

„Das Ende der Religionsfreiheit ist zugleich die Niederlage des Ständeaufstandes in der Schlacht am Weißen Berg bei Prag, wo die Protestanten besiegt werden. Danach wird der Majestätsbrief für ungültig erklärt, die Aufständischen werden bestraft und das Land wird rekatholisiert“, fasst Winfried Eberhard zusammen.

Und Europa schlittert in den vernichtenden Dreißigjährigen Krieg.


Was aber ist aber geblieben vom Erbe des Majestätsbriefs außer 30 Jahren Krieg? Bei Betrachtung der rechtlichen Seite nur wenig, sagt Winfried Eberhard:

„Man hat den Majestätsbrief nicht erneuert, man hat ihn auch nicht als Beispiel genommen, aber man hat eine neue Toleranz entwickelt unter dem aufgeklärten Absolutismus. Josef II. hat für die Protestanten seines Reiches und auch für die Orthodoxen ein Toleranzedikt erlassen 1781, es waren eigentlich mehrere für die einzelnen Länder. Und da konnten sich dann wieder evangelische Gemeinden bilden, auch in Böhmen. Aber es griff nicht auf den Majestätsbrief zurück.“

Anders steht es um das geistliche Erbe, ergänzt Jaroslav Pánek aus Prag:

„Die religiöse Grundlage des Majestätsbriefes, die Confessio Bohemica, lebt immer noch. Zwar gibt es eine große Diskontinuität, aber kurz nach der Entstehung der Tschechoslowakischen Republik im Jahr 1919 wurde die Confessio Bohemica akzeptiert als eine der Grundlagen der neu gegründeten Kirche, die versuchte, die tschechischen Lutheraner und Calvinisten zusammenzubringen, weil unter der österreichischen Herrschaft eine solch freie Entwicklung nicht möglich gewesen war. In dem Sinn lebt die Grundlage nun fast schon einhundert Jahre weiter: in der evangelisch-brüderlichen Kirche.“

Und die evangelisch-brüderliche Kirche (Českobratrská cirkev evangelická) ist nach der katholischen Kirche heutzutage immerhin die zweitgrößte Glaubensgemeinschaft in Tschechien, wenngleich sich zu ihr insgesamt nur zwei Prozent der Bevölkerung bekennen.


Dieser Beitrag wurde am 3. Oktober 2009 gesendet. Heute konnten Sie seine Wiederholung hören.

Autor: Till Janzer
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