Land sucht Regierung

Mirek Topolanek
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Am vergangenen Mittwoch hat Premierminister Mirek Topolanek bei Staatspräsident Vaclav Klaus den Rücktritt der tschechischen Regierung eingereicht. Einer Regierung, die erst wenige Wochen zuvor vereidigt worden war. Das Kabinett des Bürgerdemokraten Topolanek hatte bei der Vertrauensabstimmung im Abgeordnetenhaus nicht die nötige Mehrheit bekommen und sah sich somit zum Rücktritt gezwungen. Die politische Pattsituation, die nun schon seit den Parlamentswahlen Anfang Juni andauert, wurde damit auf vorerst unbestimmte Zeit verlängert. Wie kann es jetzt weitergehen? Gerald Schubert hat die Diskussionen der letzten Tage verfolgt.

Mirek Topolanek
Von einer vollen Legislaturperiode für die nächste Regierung spricht eigentlich niemand mehr. Maximal gibt man ihr zwei Jahre, und nicht vier, wie das eigentlich üblich ist. Das Patt, das momentan im Abgeordnetenhaus herrscht - 100 Mandate für eine eventuelle Koalition von Sozialdemokraten und Kommunisten sowie 100 Mandate für eine eventuelle Koalition von Bürgerdemokraten (ODS), Christdemokraten (KDU-CSL) und Grünen - dieses Patt scheint sich vorerst nicht so einfach aufzulösen zu lassen. Einig sind sich die Akteure nur darin, dass es irgendwann vorgezogene Wahlen geben soll. Es stellt sich lediglich die Frage wann - und was bis dahin passieren soll.

Der Chef der Demokratischen Bürgerpartei, Mirek Topolanek, hat am Sonntag in einer Fernsehdiskussion neuerliche Konsultationen mit Staatspräsident Vaclav Klaus angekündigt. Er selbst ist jedenfalls für baldige Neuwahlen:

"Wir gehen nicht mit dem Ziel zum Präsidenten, eine ODS-Regierung zusammenzustellen, sondern eine Übergangsregierung, die bis zu vorgezogenen Wahlen im nächsten Jahr amtieren soll. Das entspricht nicht nur unserem Wunsch, sondern auch dem Wunsch der Öffentlichkeit. Zuerst müssten wir aber im Parlament einen Konsens zwischen den einzelnen Parteien finden. Danach kann man über die konkrete Form dieser Regierung sprechen, und erst dann über Namen."

Wahlsieger Topolanek, der bei der Vertrauensabstimmung im Parlament gescheitert ist, will jetzt also möglichst früh eine neuerliche Entscheidung an den Urnen.

Die zweitgrößte Partei, die sozialdemokratische CSSD, sieht das anders. Ihr Parteichef Jiri Paroubek brachte am Wochenende gleich vier Vorschläge in die Diskussion: Der eine beruht in der Wiederbelebung eines alten Plans: Eine Koalition von Sozialdemokraten mit Christdemokraten oder Grünen, die von den Kommunisten toleriert wird. Die christdemokratischen Abgeordneten haben aber mittlerweile sogar schriftlich festgelegt, dass so etwas überhaupt nicht infrage kommt. Eine andere Möglichkeit wäre laut Paroubek eine sozialdemokratische Minderheitsregierung. Doch auch dafür dürfte es keine Mehrheit geben. Drittens war, wie so oft in vergleichbaren Situationen, von einer Beamtenregierung die Rede.

Die vierte und relativ neue Variante: Jiri Paroubek hat nun eine mögliche große Koalition ins Spiel gebracht:

"Ich glaube, darüber könnten wir verhandeln. Ich sage zwar offen, dass ich selbst an dieser Lösung nicht beteiligt wäre. Aber wenn eine große Koalition in Deutschland funktionieren kann, oder auch in Österreich, wo derzeit intensiv darüber gesprochen wird, warum sollte sie dann nicht auch bei uns funktionieren?"

Zwei Jahre sollte eine solche große Koalition im Amt bleiben, sagt Paroubek. Die Bürgerdemokraten würden dabei als stärkste Partei vermutlich den Regierungschef stellen. Dennoch stößt dieser Vorschlag bei der ODS derzeit nicht auf offene Ohren. Programmatisch sind die beiden Parteien in vielen Punkten sehr weit voneinander entfernt, die jeweiligen politischen Prioritäten würden sich nur schwer umsetzen lassen. Außerdem gibt es zwischen beiden Parteichefs eine starke persönliche Rivalität. ODS-Chef Mirek Topolanek jedenfalls hat eine große Koalition zunächst ausgeschlossen:

"Eine große Koalition ist aus zwei Gründen nicht möglich: Erstens wollen sie beide große Parteien nicht wirklich, und zweitens wollen sie auch die Wähler nicht. Außer vielleicht einigen politischen Kommentatoren will sie eigentlich niemand."

Besonders populär ist eine große Koalition in Tschechien tatsächlich nicht. Zum einen sind natürlich die kleinen Parteien dagegen. Und auch in der öffentlichen Meinung mehren sich die Stimmen, die eine allzu exklusive Machtaufteilung zwischen Bürger- und Sozialdemokraten befürchten. Die Menschen kennen das noch aus den Zeiten des so genannten Oppositionsvertrags: Zwischen 1998 und 2002 hielt sich eine sozialdemokratische Minderheitsregierung mit bürgerdemokratischer Tolerierung an der Macht.

Jiri Paroubek  (Foto: CTK)
Jiri Paroubek kann der Idee einer großen Koalition dennoch einiges abgewinnen:

"Eine große Koalition wäre meiner Ansicht nach eine Möglichkeit, bis zu vorgezogenen Wahlen in zwei Jahren die Stabilität des Landes zu gewährleisten. Mit Sicherheit aber brauchen wir nicht in einem halben Jahr schon wieder Wahlen. Denn dann wären wir noch weitere sechs Monate lang - das heißt vom Beginn dieses Jahres an gerechnet insgesamt anderthalb Jahre - im permanenten Wahlkampf. Ich glaube, dass das Land nun für einige Zeit Ruhe braucht."

Nicht nur, dass eine große Koalition derzeit auf wenig Gegenliebe stößt - auch die Sozialdemokraten selbst haben eigentlich noch einen anderen Plan: Sie würden nämlich nun ebenfalls gerne den Auftrag zur Regierungsbildung bekommen, nachdem die Bürgerdemokarten an dieser Aufgabe gescheitert sind. Die Verfassung sieht insgesamt drei solche Versuche vor. In der gegenwärtigen Pattsituation scheint es zwar, dass alle diese Versuche von vornherein zum Scheitern verurteilt sind, doch theoretisch sind neue Absprachen natürlich jederzeit möglich. Immer wieder wird auch über die Frage spekuliert, ob irgendwo ein Überläufer auftauchen könnte. Etwa ein sozialdemokratischer Abgeordneter, der eine bürgerdemokratische Regierung unterstützt - oder umgekehrt. Bei einem Stimmenverhältnis von 100 : 100 wäre so etwas natürlich von alles entscheidender Bedeutung. In Tschechien gab es im Laufe früherer Legislaturperioden tatsächlich schon mehrere solche Fälle. Präsident Klaus hat jedenfalls vorsorglich gewarnt und angekündigt, dass er einen solchen Weg definitiv ablehnen würde:

"Ich schließe aus, dass ich irgendein Geschäft akzeptiere, bei dem eine Stimme nach links oder rechts, nach oben oder nach unten wandert. Eine eventuelle Koalition von 101 Mandaten, die auf diese Weise zustande kommt, halte ich nicht für den richtigen Weg in eine sinnvolle politische Zukunft."

Auch viereinhalb Monate nach der Wahl gibt es zwar verschiedene Vorschläge für einen Weg aus dem Patt, eine Einigung scheint aber nicht in Sicht zu sein. Dennoch: Die tschechische Demokratie präsentiert sich trotz aller Streitigkeiten als insgesamt stabil; dasselbe gilt für die Wirtschaft und für den Kurs der tschechischen Krone.

Politische Beobachter und nicht zuletzt die Bürger müssen sich vorerst aber - im wahrsten Sinne des Wortes - mit einer Politik der kleinen Schritte begnügen. Zunächst müssen die Senats- und Kommunalwahl am bevorstehenden Wochenende abgewartet werden, eine Woche später gehen die Senatswahlen dann in die zweite Runde. Erst danach will Vaclav Klaus erneut jemanden mit der Regierungsbildung beauftragen.

Bis zum Signal "Zurück zum Start" werden sich die Tschechinnen und Tschechen also noch ein wenig gedulden müssen.