Langes Warten auf neue Orgel im Prager Benediktinerkloster
Wenn Sie Musikliebhaber sind und dazu noch auch etwas über ein Instrument erfahren möchten, dem man – nur wenn man es kann natürlich – Engelsstimmen ähnliche Töne entlocken kann, dann lesen Sie weiter. Aus dem besonderen Anlass machen wir einen Spaziergang durch die Geschichte eines solchen Instruments. Sie wissen schon Bescheid, es ist die Orgel. Keine gewöhnliche allerdings.
Das Jahr 993 gilt offiziell als Gründungsjahr des Benediktinerklosters im Prager Stadtteil Břevnov - Ordo sancti Benedicti. Es war das erste Herrenkloster auf dem böhmischen Gebiet. Seine Gründung wird Bischof Adalbert und Fürst Boleslav II. zugeschrieben. Im 11. Jahrhundert wurde hier eine steinerne romanische Kirche gebaut, die später eine gotische Gestalt annahm. Während der Hussitenkriege im 15. Jahrhundert hat das Kloster schwere Schäden erlitten, doch auf seine Renovierung, diesmal im Barockstil, musste es bis zum Ende des 30-jährigen Krieges warten.
Allerdings erst die Umbauarbeiten in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, als führende Prager Baumeister jener Zeit wie Christoph und Kilian Dientzenhofer, der Bildhauer Karl Joseph Hiernle oder der Maler Petr Brandl vom Abt Otmar Zinke nach Břevnov berufen wurden, gab der Klosteranlage und der Klosterkirche den letzten Schliff. Vollendet wurden sie nach Plänen und unter der Leitung des Stiftsbaumeisters Kilian Ignaz Dientzenhofer. Das alles weiß aber viel besser als ich mein Begleiter Marek Čihař, Organist in der Klosterkirche von Břevnov:
Herr Čihař, fangen wir bitte unseren Spaziergang durch die Zeit zu dem Zeitpunkt an, aus der die Existenz einer Orgel in dieser Kirche bekannt ist
„Ich war natürlich sehr bemüht, Archivmaterialien zu finden, die etwas mehr Licht in diese Frage bringen könnten. Der Großteil befindet sich, wie ich leider feststellen musste, noch unbearbeitet im Prager Staatsarchiv und steht daher nicht zur Verfügung. Die erste bekannte Erwähnung einer Orgel in der St.Margaretha-Kirche stammt aus dem Jahr 1713, und zwar im Zusammenhang mit dem dortigen Organisten Tobias Meysner. Die zweitälteste schriftliche Quelle aus dem Jahr 1726 besagt, dass Meysner in der Basilika von Břevnov eine neue Orgel fertig gestellt hat. Wie sie aussah, wissen wir aber nicht. In den Memoiren eines Benediktiners gibt es nur zu lesen, wie viel Pfeifen und Manuale diese Orgel hatte und wie viele Stufen zum Chorraum hinaufführen.“Wie viele sind es also?
„Es gibt hier nach wie vor 54 Stufen, das habe ich persönlich überprüft. Davon kann man ableiten, dass auch die Angaben über die Zahl der Pfeifen und Manuale in den erwähnten Memoiren stimmt.“
Ich habe gelesen, dass der Entwurf der alten Orgel oder genauer gesagt des Orgelgehäuses, in dem die Pfeifen untergebracht sind, aus der Werkstatt des berühmten Prager Baumeisters der Barockzeit Kilian Ignaz Dientzenhofer stammt.
„Wenn man bedenkt, dass Tobias Meysner in den Urkunden als Autodidakt bezeichnet wird, ist es unvorstellbar, dass eine derart bedeutende Architektur einem Autodidakten zugeschrieben werden könnte. Wir stützen unsere Vermutung, die eigentlich an eine Überzeugung grenzt, auf Informationen, dass der hervorragende Architekt Kilian Ignaz Dienzenhofer auch an der Ausstattung des Kircheninneren beteiligt war. Es ist zum Beispiel belegt, dass er der Autor des Entwurfs für den Hauptaltar ist. Nach seinen Entwürfen wurden auch Altare an die Seitenwände der Kirche gemalt. Der Abt des Klosters hat ihn als einen, um es mit einem heutigen Wort zu bezeichnen, künstlerischen Berater eingestellt. Das Einmalige daran ist, dass es Dientzenhofers erster Versuch einer Orgelarchitektur war.“
Mich würde interessieren, was allgemein das Einmalige an dem Orgelgehäuse ist?
„Seine Architektur ist dadurch interessant, dass an dem Orgelgehäuse bestimmte Artefakte oder genauer gesagt deren Reminiszenzen zu finden sind: Am Orgelgehäuse sind zum Beispiel korinthische Kapitelle zu sehen, die genauso aussehen wie die Säulenabschlüsse im Hauptschiff der Kirche. Dientzenhofers Erkennungszeichen war eben ein korinthisches Kapitell kombiniert mit einem ausgeprägten ionischen Element. Man kann eine Reihe weiterer Ähnlichkeiten zwischen Bauelementen der Kirche und denen des Orgelwerkes finden. Daran haben wir uns auch beim Bau der neuen Orgel orientiert. Zum Beispiel beim Orgelspieltisch, der zwar ein Werk des 21. Jahrhunderts ist, gleichzeitig aber die Gestalt des alten Orgelgehäuses und des Kirchenschiffes respektiert, damit das Neue und das Alte ein harmonisches Ganzes bilden.“
Wir sprechen über die Einmaligkeit des Orgelgehäuses. Gemeint ist auch, dass es in dem Sinne, dass man kein anderes Orgelgehäuse in den Böhmischen Ländern finden kann, das genauso oder ähnlich gestaltet ist. Gibt es dafür eine Erklärung?
„Dieser hervorragende Architekt war sich offenbar dessen bewusst, dass er sich in der Technologie der Orgel als Musikinstrument nicht so sehr auskennt und hat daher höchstwahrscheinlich auf alle anderen Versuche in diese Richtung verzichtet. Es ist tatsächlich die bisher einzige Orgelschrankarchitektur hierzulande, die aufgrund der erwähnten Indizien auf Dientzenhofer als deren Schöpfer schließen lässt. Auf der anderen Seite aber gibt es ein ähnliches Orgelgehäuse in der polnischen Stadt Legnickie Pole, auf Deutsch Wallstatt, und zwar in der Kirche, die von demselben Architekten, also Kilian Ignaz Dientzenhofer, gebaut wurde. Beide Orgelschränke haben ein identisches architektonisches Konzept.“
Gehen wir jetzt ein bisschen weiter in der Zeit. Wie lange funktionierte die Kirchenorgel in Břevnov in ihrer ursprünglichen Gestalt?
„Die Orgel überlebte dort bis zum Ende des 19. Jahrhunderts. Zu dem Zeitpunkt kam es dazu, dass barocke Orgeln allgemein nicht mehr für liturgische Zwecke geeignet waren. Ihre Funktion änderte sich. Die Orgel sollte sich nicht mehr wie in der Barockzeit als solistisches Musikinstrument durchsetzen, sondern sich als Begleitinstrument des Volksgesangs profilieren. In der neuen Situation wurden alte Orgeln, deren barocke Mechanik etwas schwerfällig war, zumeist durch ein neues Orgelwerk ersetzt, das seiner neuen Funktion entsprach. Ein künstlerisch wertvoller Orgelschrank wie zum Beispiel der in Břevnov blieb in der Regel erhalten. Mit dem grundsätzlichen Umbau der Orgel begann man 1896. Die Firma Schiffner hat die alte Orgel in Einzelstücke demontiert und damit eigentlich zerstört. An Stelle der alten Orgel wurde eine neue pneumatische gebaut.“
Man kann also sagen, 1896 endet das Leben der ursprünglichen Orgel in der St.Margaretha-Kirche. Von der Orgel ist nicht viel übrig geblieben. Das Schicksal der dortigen Orgeln ist dann nicht positiv.
„Überlebt haben nur die wunderschönen Pfeifen im Orgelprospekt, die ziselierten Motive einer stilisierten Rose – das Kennzeichen des Břevnov-Klosters - tragen. Erhalten geblieben ist auch ein Register der Orgel von Tobias Meysner. Und das ist eigentlich alles. Vor dem Bau der neuesten Orgel hat man noch weitere alte Pfeifen gefunden, die aus unbekannten Barockorgeln stammten und die hier Jindřich Schifner offenbar im Rahmen von Sparmaßnahmen installieren ließ. Obwohl er an anderen Orten Prags mehrere sehr gute Orgeln baute, sah es in Břevnov danach aus, dass man überall, wo es nur ging, sparen wollte. Daher gab es in der Orgel verschiedene Arten von Spieltraktur, die nicht zusammenpassten. Als ein absolutes Desaster kann man auch die archäologischen Ausgrabungen bezeichnen, die seit 1960 direkt in der Kirche durchgeführt wurden. Die hohe Luftfeuchtigkeit und der Staub wirkten sich absolut negativ auf die Orgel aus. Aus dieser Zeit datieren die Bemühungen, etwas mit der Orgel zu tun. Leider ist alles anders gelaufen als gedacht. Die Situation war tatsächlich zum Verzweifeln.“Machen jetzt wieder einen Sprung in der Zeit nach vorne. Sie haben sich darum verdient gemacht, dass es heute eine neue Orgel in Břevnov gibt. Ich möchte Sie jetzt bitten, dass Sie mir etwas darüber erzählen, wie der Wiederaufbau der neuen Orgel verlief. Es war mühsam Geld dafür zu finden. Gab es Probleme auch in einer anderen Hinsicht?
„Probleme direkt nicht, aber wir hatten ziemlich hohe Ansprüche an die Orgelbaufirma, die wir ausgewählt haben. Im bestehenden Orgelschrank durfte kein einziges neues Loch gebohrt und kein einziger Holzspan entnommen werden. Der verwendeten Technologie standen in der Orgeltraktur nur die vorhandenen Öffnungen zur Verfügung. Der Orgelbaufirma ist dies gelungen. Es waren überwiegend junge Männer um 25 Jahre und ich muss sagen, dass sie wie alte Profis arbeiteten. Es war bewundernswert, wie sie mit den Vorgaben umzugehen wussten.“
Das Ziel der Renovierung war eine mit der Vorgängerin möglichst identische Barockorgel. Ist es gelungen, dieses Ziel zu erreichen?
„Ich würde sagen, das Konzept dieser neuen Orgel führt hierzulande immer noch ein Aschenbrödeldasein, obwohl es schon einige neue Orgeln gibt, die ähnlich entstanden sind. Wir haben uns nämlich gesagt: Es gibt das herkömmliche Barockgehäuse und die alte Barockkirche, lassen wir also auch eine Barockorgel bauen mit Pfeifenstimmen, die klingen wie in der Barockzeit. Barockklang also ohne Kompromisse.“
Wo haben Sie es sich angehört, wie eine Barockorgel klingt und welches Instrument haben Sie sich als Vorbild genommen?
„Mir persönlich gefällt ein anderer Orgeltyp wie zum Beispiel die Orgeln von Joseph Gabler, die in Süddeutschland zu finden sind. Ich hatte zum Beispiel die Große Orgel in der Klosterkirche von Weingarten vor Augen, die auch einer Benediktinerabtei angehört. Es ist riesengroßes wunderschönes Instrument, das sechs große Fenster umrahmt. Sein Klang hat mich bezaubert. Man hat mir aber gesagt: Gut, aber wo ist ein Bezug zu Břevnov? Schauen Sie sich in Schlesien um, von wo der Organbauer Tobias Meysner stammte und wahrscheinlich beeinflusst wurde. Ich habe dann die Klosterkirche in Legnickie Pole / Wallstatt besucht, die ebenfalls nach Plänen von Kilian Ignaz Dientzenhofer gebaut wurde und in der Meysner eine Orgel zu bauen begann. Diese und noch einige andere Barockorgeln in Polen sollten sich die Orgelbauer nur als Inspiration dienen. Ich bestand darauf, dass bei uns in Břevnov keine Kopie einer Orgel entsteht.“Ich möchte noch nanch einer alten Tradion fragen. Wenn eine neue Orgel fertig gebaut wurde, wird sie wird geweiht, es findet eine Feier statt. Dann soll der Besitzer der Orgel – da ist also der Klostervorsteher, der Abt, die Orgel mit Wein füllen. War es auch so?
„Das ist eine Tradition und ein beliebtes Ritual. Bei uns in Břevnov konnte es nicht anders sein. Ich habe das Volumen der größten Pfeife errechnet. Die entsprechende Menge Wein wurde dann der Orgelbaufirma übergeben. In den Genuss des Weins sind dann alle Feierteilnehmer gekommen.“
Meine letzte Frage betrifft Sie persönlich, Herr Čihař: Was bedeutet die neue Orgel für Sie selbst? Spielen Sie gerne auf der Orgel?
„Auf dieser Orgel zu spielen bereitet mir große Freude. Bei ihrer Herstellung galt nämlich die Tonstärke nicht als Priorität. Sie erfüllt die Rolle eines Begleitinstruments, kann sich aber auch solistisch sehr gut durchsetzen. Im Kirchenraum gibt es viele Reflexionsflächen, zum Beispiel die glatten Seitenwände, wo die Altare nur aufgemalt sind. Wenn die Kirche leer ist, dann klingt die Orgel kräftiger, fast schreiend. Wenn die Kirche mit Menschen gefüllt ist, wie etwa bei einer Weihnachtsmesse oder bei einem Kirchenfest, lässt das Resonieren nach. Es liegt am Organisten, die Orgel an die jeweilige Akustik des Kirchenraums anzupassen. Für mich sind hier die schönsten Momente, wenn abends das Leben in der Kirche und im Kloster still liegt und ich allein in der Kirche bin. Ich spiele für mich und genieße die herrliche Atmosphäre des Halbdunkels, wo das ewige Licht von weitem her leuchtet. Das ist ein wunderbarer Augenblick.“Das Gespräch mit Herrn Čihař neigte sich bereits seinem Ende zu, als das allabendliche Gebet der Klosterbewohner begann. Es war ein Zeichen auch für mich, die Kirche zu verlassen.
Es hat Jahrzehnte lang gedauert, bis die St. Margaretha-Kirche des ältesten Herrenklosters in den Böhmischen Ländern eine neue Orgel bekommen konnte. Es ist gelungen, das ganze Areal des Klosters in Břevnov anlässlich seines tausendjährigen Gründungsjubiläums 1993 von Grund auf aufwendig zu renovieren. Für den Orgelbau blieb allerdings kein Geld übrig. Man musste bis zum nächsten Jubiläum abwarten. Im Frühjahr 2007 feierte der heutige Prager Stadtteil Břevnov den 100. Jahrestag seiner Erhebung zur Stadt. Aus diesem Anlass hatte der Verein der Unternehmer und Gewerbetreibenden im Herbst 2004 eine Spendensammlung ins Leben gerufen.
Diese konnte aber nicht die gesamten Kosten für den Orgelbau und die Orgelschrankrenovierung decken, die sich letztlich auf rund zwölf Millionen Kronen, ungefähr 500 000 Euro belief. Darum haben sich auch das Kulturministerium sowie der Stadtteil Břevnov finanziell beteiligt. Am 30. September 2007 konnte sich die altneue Orgel in voller Pracht und vor allem mit ihren Tonregistern zum ersten Mal bei der feierlichen Messe vorstellen. Geweiht wurde sie von Bernard Sawicki, Abt des Benediktinerklosters im polnischen Tyniec. Er sorgte auch für eine Überraschung, als er sich als erster an die Orgel setzte und zu spielen begann.