Leben ohne Perspektive: In Tschechien gibt es über 300 Roma-Armenviertel

90-100 Prozent Arbeitslosigkeit, Kriminalität, Drogensucht, Prostitution - den Bewohnern der Roma-Armenviertel in Tschechien fehlt jegliche Perspektive. Mehr als 300 solcher Viertel haben sich größtenteils innerhalb der letzten zehn Jahre an vielen Orten in der Tschechischen Republik gebildet, insgesamt etwa 80.000 Roma leben hier. Das geht aus einer jetzt veröffentlichten Studie hervor, die das tschechische Ministerium für Arbeit und Soziales in Auftrag gegeben hat.

Es sind regelrechte Roma-Enklaven, die an immer mehr Orten in Tschechien entstehen - das genaue Gegenteil von dem, was tschechische Regierungspolitiker seit dem EU-Beitritt verstärkt zu ihrem Ziel erklären: der Integration der Roma-Minderheit. Doch diese Integration scheitert häufig auf lokaler Ebene. Viele Gemeinden probieren, mit der Isolierung der Roma auch die mit ihnen verbundenen Probleme wegzuisolieren. Dass die Roma-Viertel zu den akuten sozialen Brennpunkten Tschechiens zählen, war nie ein Geheimnis. Doch wie das Leben dort tatsächlich aussieht, darüber kursierten bislang nur Mutmaßungen, sagt der Soziologe Ivan Gabal. Gemeinsam mit seinen Mitarbeitern von der Gesellschaft GAC hat er jetzt erstmals eine detaillierte Analyse über die tschechischen Roma-Viertel vorgelegt:

Ivan Gabal
"Hier herrschte sozusagen ein Informations-Blackout. 10-15 Jahre lang haben wir überhaupt nicht gewusst, wie viele Armenviertel es hier gibt, wie viele Roma dort leben. Es gab einzelne Studien, aber wir hatten keinen Überblick über die Gesamtsituation. Heute kennen wir sie. Heute kann niemand mehr sagen: Ich weiß nichts über die Ausmaße dieses Problems. Heute muss jeder sagen: Ja, lasst uns anfangen, eine optimale Lösung dafür zu suchen."

Bestandteil der Studie ist eine Karte mit allen Armenvierteln, die GAC in Tschechien ermittelt hat, einer genauen Beschreibung der dort herrschenden Bedingungen und einer ganzen Liste von humanitären Organisationen, die bereits vor Ort tätig sind, sowie weiteren Ansprechpartnern. Wichtig sei es, den betroffenen Gemeinden ganz konkrete Hilfe leisten, bestätigt Martin Zarsky vom Arbeitsministerium:

"Wir wollen den Gemeinden aufzeigen, wie viel Geld Maßnahmen zur Verbesserung der Situation kosten würden, welche Organisationen hier helfen können, welche personellen und finanziellen Mittel man bräuchte. Wir wollen keine Arbeitsgruppe aus irgendwelchen Ministerialbeamten bilden, sondern einen systematischen Plan entwickeln, der wirklich zu den einzelnen Gemeinden durchdringt und ihnen konkrete Angebote macht, wie sie einen Ausweg aus dieser schwierigen Situation finden können."

Dieser Ausweg ist ein langfristiges Ziel. Selbst wenn man die Situation in den Armenvierteln ganz gezielt und quasi ab sofort in Angriff nehmen würde, müsste man mit einem zeitlichen Horizont von 30-40 Jahren rechnen, schätzt Ivan Gabal. Doch zunächst will sich das Arbeitsministerium auf die Jahre 2007-2013 konzentrieren. Das nämlich ist die Laufzeit der nächsten Fördermaßnahmen des Europäischen Sozialfonds, dessen Mittel das tschechische Arbeitsministerium effektiv zur Verbesserung der Roma-Situation nutzen will.