Lebendiges Erbe: Ausstellung „Von der DSAP zur Seliger-Gemeinde“
Am 8. Februar wird im Theater im bayerischen Ansbach die Ausstellung „Die sudetendeutschen Sozialdemokraten - von der DSAP zur Seliger-Gemeinde“ eröffnet. Die Wanderausstellung gibt auf 40 Schautafeln einen Überblick über die gesamte Geschichte der sudetendeutschen Sozialdemokraten, von den Anfängen Mitte des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart. Sie wird nacheinander an mehreren Orten in Bayern und Tschechien gezeigt. Bereits erschienen ist ein zweisprachiger Ausstellungskatalog. Federführender Autor der Publikation ist der oberfränkische Journalist Pit Fiedler. Mit ihm führte Maria Hammerich-Maier für das heutige Geschichtskapitel das folgende Gespräch.
Herr Fiedler, Sie sind einer der Autoren des Katalogs zur Ausstellung „Geschichte der sudetendeutschen Sozialdemokraten“. Dieser Katalog ist mehr als ein bloßer Kommentar der Schautafeln. Man kann ihn als eigenständige, kurze Geschichtsdarstellung lesen. Wen wollen Sie mit Ausstellung und Buch ansprechen?
„Das Ausstellungsprojekt wendet sich zunächst einmal an die Generation der Zeitzeugen, also an die wenigen noch lebenden sudetendeutschen Sozialdemokraten, sowie an deren Kinder und Kindeskinder. Wir geben das Erbe der sudetendeutschen Sozialdemokraten an deren Nachkommen weiter. Die zweite Zielgruppe sind alle an europäischer Geschichte interessierten Bürger, die sich ernsthaft mit ihrer Geschichte und ihrem Selbstverständnis auseinandersetzen wollen. Und nicht zuletzt bietet sich die Ausstellung auch für Schüler und Studenten an, die sie für einschlägige Projekte nutzen können. Es haben sich auch schon einige Schulklassen zu einer Besichtigung angemeldet.“
Die Ausstellung will uns Heutigen den Erfahrungsschatz der sudetendeutschen Sozialdemokraten vermitteln. Nun ist die Partei der sudetendeutschen Sozialdemokraten, die Deutsche Sozialdemokratische Arbeiterpartei oder DSAP, 1939 als politisches Subjekt erloschen. Was kann uns die Geschichte der sudetendeutschen Sozialdemokraten lehren?„Sie liefert meines Erachtens ein Kapitel aus der Handwerkslehre der Menschlichkeit, also darüber, wie man sich auch unter widrigsten Umständen weiterhin menschlich verhalten kann. Man kann aus der Geschichte der sudetendeutschen Sozialdemokraten des Weiteren lernen, seine persönliche Integrität vor den verschiedensten Zumutungen und Anfechtungen zu schützen. Man stößt, aus heutiger Sicht betrachtet, auch auf die eine oder andere historische Dummheit. Vor allen Dingen aber kann man lernen, dass man in jeder Situation, so schlimm sie auch sein mag, die Möglichkeit der Wahl hat.“
Buch und Ausstellung dokumentieren die Geschichte der sudetendeutschen Sozialdemokraten von ihren Anfängen Mitte des 19. Jahrhunderts bis in die Gegenwart; von den Wurzeln in der Arbeiterbewegung bis zum Fortleben des politischen Vermächtnisses in der Seliger-Gemeinde. Wir können diese bewegte Geschichte hier nicht in ihrer Gesamtheit besprechen. Zu einigen, teils kontroversen Aspekten aber möchte ich Sie um Ihre Meinung bitten. So zum Beispiel gebrauchen Sie in Ihrem Buch den Begriff der „Konfliktgemeinschaft“, um die Koexistenz der sudetendeutschen und der tschechischen Sozialdemokraten vom 19. Jahrhundert bis zum Zweiten Weltkrieg zu beschreiben. Was besagt der Begriff „Konfliktgemeinschaft“?
„Der Begriff ‚Konfliktgemeinschaft’ ist von dem tschechischen Historiker Jan Křen in einer Epoche machenden Arbeit über Deutsche und Tschechen von 1780 bis 1918 verwendet worden. In der Parteiengeschichte der deutschen und der tschechischen Sozialdemokraten findet sich das mit dem Begriff ausgedrückte dauernde Hin und Her ebenfalls. Es gab Annäherungen und Trennungen, die konfliktären Momente verschlangen sich immer mehr zu einem Knäuel, am Ende stand schließlich die Katastrophe des Zweiten Weltkriegs.“
Eine weitere Frage, die ich anschneiden möchte, ist die Haltung der sudetendeutschen Sozialdemokraten zum tschechoslowakischen Staat. Manche Historiker sehen die sudetendeutschen Sozialdemokraten in der Zwischenkriegszeit durchweg als Verteidiger der selbstständigen Tschechoslowakei gegen Henlein und Hitler. Gab es nicht auch großdeutsch gesinnte sudentendeutsche Sozialdemokraten?
„In der Geschichte ist nichts eindeutig. Natürlich hat es auch eine großdeutsche Richtung gegeben. Es gab sogar einen prinzipiellen Konflikt zwischen dem zweiten Vorsitzenden der Deutschen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei, Dr. Ludwig Czech, und dessen Nachfolger, Wenzel Jaksch. Czech war austromarxistisch orientiert. Er vertrat also eine Linie, die man etwas vereinfachend mit der Formel Sozialdemokratie plus Marxismus umreißen könnte. Wenzel Jaksch dagegen dachte durchaus immer wieder über großdeutsche Lösungen nach. Und am Ende der Zwischenkriegszeit, als die Weltwirtschaftskrise das Zusammenleben zwischen den Deutschen und Tschechen zerstört hatte, gewann die großdeutsche Variante an Gewicht, wahrscheinlich auch unter den Parteinangehörigen.“
Wie ist der Widerstand der sudetendeutschen Sozialdemokraten gegen die Herrschaft der Nationalsozialisten einzuordnen? Ein bewaffneter Widerstand war aufgrund des allgegenwärtigen Naziterrors ja nur vereinzelt möglich. In welchen Taten manifestierte sich der Widerstand?
„Der Widerstand manifestiert sich, allgemein betrachtet, darin, dass man seine menschliche Integrität bewahrt. Das zeigt sich zum Beispiel darin, dass man seinen Nachbarn hilft oder dass man Kriegsgefangenen Kartoffeln zusteckt. Eine andere Art des Widerstands besteht darin, dass man den Versuchungen der Unfreiheit nicht nachgibt. Das heißt, wenn ich vor die Wahl gestellt werde: ein Arbeitsplatz gegen die Mitgliedschaft in der Sudetendeutschen Partei, dann kann ich dazu Ja oder Nein sagen. Und ich kenne aus meinen Gesprächen mit sudetendeutschen Sozialdemokraten viele, die in einer solchen Situation Nein sagten und sich lieber auf eine schlechtere Weise ernährten, als eine Arbeit anzunehmen, die ihnen die Nazis besorgt hätten. Und am Ende des Krieges, als der Druck des Naziterrors nachließ, sorgten zum Beispiel Sozialdemokraten in Aussig dafür, dass der Staudamm nicht gesprengt wurde.“
Nach Kriegsende wurde der Opfermut der sudetendeutschen Antifaschisten von der tschechischen Politik immerhin zur Kenntnis genommen. Beneš erließ im August 1945 ein Dekret, das deutschen Widerstandskämpfern und Opfern des Nationalsozialismus das Recht zu bleiben einräumte. Dieses Recht existierte aber für viele nur auf dem Papier. Die Praxis war oft anders. Auch die deutschen Antifaschisten wurden ausgegrenzt und angefeindet, ihre sozialen und wirtschaftlichen Lebensgrundlagen waren vernichtet, politisch betätigen durften sie sich nicht. Mehr unfreiwillig als freiwillig kehrten die meisten schließlich der Tschechoslowakei den Rücken. Ihre Opfer waren ihnen nicht gelohnt worden. Ist diese historische Ungerechtigkeit bis heute eine offene Wunde?„Wenn wir die Frage subjektiv auffassen, also dahingehend, wie die einzelnen mit dieser Ungerechtigkeit zurechtkommen, gibt es bestimmt noch offene Wunden. Die sudetendeutschen Sozialdemokraten fühlen sich ja zu Recht ungerecht behandelt. Schließlich kommt aber hinter der subjektiven Problematik auch noch ein übergeordnetes Problem zum Vorschein: Im zusammenwachsenden Europa müssen wir uns fragen, wie wir mit dem Jahrhundert der Vertreibungen umgehen. Ich bin der Ansicht, dass die richtige Methode noch nicht gefunden wurde, in jedem Land diese Geschichten der Vertreibung aufzuarbeiten – und sie dann auch den anderen Menschen so mitzuteilen, dass die Gespenster der Vergangenheit nicht wieder erwachen.“
Heute pflegt die Seliger-Gemeinde das politische Vermächtnis der sudetendeutschen Sozialdemokraten. 1951 in München gegründet, ist sie nach dem ersten Vorsitzenden der Deutschen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei, Josef Seliger, benannt. Die Seliger-Gemeinde setzt sich besonders für die Verständigung zwischen Deutschen und Tschechen ein. Wie lautet die Botschaft der Seliger-Gemeinde?„Ich verstehe die Botschaft der Seliger-Gemeinde ganz einfach so: Miteinander reden, gemeinsame Projekte durchführen und damit den Weg der gemeinsamen Aufarbeitung der Vergangenheit gehen. Wir müssen auch berücksichtigen, dass Europa heute völlig neue Fragen stellt. Früher betrachtete man Geschichte in nationalen Zusammenhängen. Heute werden die historischen Themen aus europäischer Sicht neu aufgerollt. Und ich bin zuversichtlich, dass die heutige Generation von Schülern und Studenten, vor allem aber die junge Historikergeneration, auch neue Antworten finden wird.“
Die Seliger-Gemeinde hat einen Arbeitskreis „Von der DSAP zur Seliger-Gemeinde“ eingesetzt. Karl Garscha und Peter Heidler, beide Mitglieder der Seliger-Gemeinde, leiten ihn. Stützen Sie sich auf die Vorarbeiten dieses Arbeitskreises? Wer hat alles an dem Ausstellungsprojekt mitgearbeitet?
„Die Arbeit ist in zwei Phasen verlaufen. Die erste Phase war eine Diskussionsphase in diesem Arbeitskreis. Wir sammelten Ideen, was alles in das Projekt einbezogen werden sollte, an wen wir uns wenden und welche Methoden wir anwenden wollten. Nach dieser Phase bekam ich dann freie Hand, das Buch und die Ausstellung auszugestalten.“
Tschechischer Projektpartner ist das Collegium Bohemicum in Aussig an der Elbe. Das Collegium Bohemicum widmet sich gemäß seinen Statuten der Geschichte des Zusammenlebens der Tschechen und Deutschen auf dem Gebiet der böhmischen Länder. Welchen Anteil hat das Collgegium Bohemicum am Zustandekommen des Ausstellungsprojekts?
„Wir stützen uns auf die hervorragende Ausstellung ‚Vergessene Helden’, die das Museum Aussig an der Elbe und das Collegium Bohemicum gestaltet haben, und zwar vor etwa zwei Jahren. Und wir haben einen Aspekt aus dieser älteren Ausstellung, nämlich die Geschichte der sudetendeutschen Sozialdemokraten und teilweise auch der tschechischen Sozialdemokraten und der Arbeiterbewegung weiterverfolgt.“Mit welchen Mitteln wurde das Projekt finanziert?
„Das Gesamtprojekt – also Ausstellung und Publikation – wurde vom Deutsch-tschechischen Zukunftsfonds, vom Prager Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung und vom Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien gefördert.“
Es handelt sich um eine Wanderausstellung. Wo und wann ist sie in der nächsten Zeit zu sehen?
„Die Ausstellung wird am 8. Februar in Ansbach eröffnet. Anschließend geht sie nach Teplioce / Teplitz. Dort wird sie allerdings nur zwei Tage lang gezeigt, am 10. und 11. April. Dann kehrt sie nach Deutschland zurück und wird im bayerischen Landtag gezeigt. Anschließend wird die Ausstellung im Landratsamt Hof/Saale präsentiert.“