"Lebt und arbeitet in Brüssel": Knapp 500 Tschechen sind neue EU-Beamte

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Vergangene Woche berichteten wir in der Rubrik "Tschechien in Europa"über EU-Bürger, die in Prag leben und arbeiten. Heute drehen wir das Motto um und sagen: "Lebt und arbeitet in Brüssel". Der Beitritt Tschechiens zur Europäischen Union hat nicht nur geographische und wirtschaftliche Grenzen, sondern auch neue Arbeitsmöglichkeiten in den Institutionen der EU eröffnet. Sandra Dudek hat sich umgehört, warum und wie Tschechen in Brüssel leben und arbeiten:

Sie sind bestens ausgebildet, multilingual und ehrgeizig. Die Rede ist von knapp 500 Tschechinnen und Tschechen, die das erste Auswahlverfahren der EU für die neuen Mitgliedsstaaten positiv absolviert haben. Gesucht wurden Verwaltungsreferendare, Übersetzer und Büroassistenten, die künftig in den EU-Institutionen tätig sein sollen. Über 15.000 Menschen aus den neuen EU-Ländern haben sich beworben, knapp 3.000 haben das dreiteilige Auswahlverfahren bestanden. Damit seien nun so viele Leute wie noch nie in der Geschichte der Europäischen Union innerhalb so kurzer Zeit aufgenommen worden, wie Erik Halskov, Direktor des Europäischen Amtes für Personalauswahl, meint. Angesichts des riesigen Verwaltungsaufwandes mag die Zeitdauer für das Auswahlverfahren von rund einem Jahr kurz erscheinen, neben dem Fachwissen und der Sprachgewandtheit musste der einzelne Bewerber aber auch viel Geduld beweisen:

"Vom Tag, als ich mich beworben habe bis zu dem Tag, als ich das Statut einer Beamtin bekommen habe, hat es mehr als ein Jahr gedauert. Man muss einen schriftlichen Test machen und dann noch eine mündliche Prüfung. Der schriftliche Test umfasst Fragen zur Europäischen Union und Fachwissen, dann muss man noch einen Essay schreiben und am Ende werden noch die Sprachkenntnisse und die Ausdrucksfähigkeit in einer mündlichen Prüfung geprüft."

Foto: Europäische Kommission
Katerina Kodonová ist eine der 497 Tschechen, die das langwierige Auswahlverfahren bestanden haben. Als Büroassistentin in der Generaldirektion Unternehmen und Industrie gehört sie nun zu den ständigen Mitarbeitern der Kommission. Ganz neu ist ihr die EU aber nicht mehr, lebte und arbeitete sie doch schon seit fast einem Jahr auf Vertragsbasis in Brüssel und war davor in Prag für die Kommission tätig.

Viele der neuen tschechischen EU-Beamten, egal, auf welcher Stufe der strikten EU-Hierarchieleiter sie stehen, haben einen ähnlichen Karriereweg hinter sich: Auch Jirí Plecitý arbeitete zuerst bei der EU-Kommission in Prag, bevor er vor knapp zwei Jahren eine befristete Stelle in der Abteilung Politik der Generaldirektion Wirtschaft und Finanz in Brüssel bekam. Mit der positiven Absolvierung des Auswahlverfahrens hat sich an seiner täglichen Arbeit nichts geändert, wohl aber an seinem Status: Als Verwaltungsreferendar hat Jirí Plecitý nun einen so genannten A-Posten und gehört damit der höchsten Kategorie der EU-Beamtenwelt an. Die dafür erforderliche Hochschulbildung hat sich Plecitý an der Wirtschaftsuniversität in Prag erworben. Außerdem kann er noch ein Masterstudium in Frankreich vorweisen, das ihm nicht nur fachlich, sondern auch sprachlich Vorteile in Brüssel verschafft, wenn auch in der Abteilung, in der er tätig ist, vorwiegend Englisch gesprochen wird:

"Ich kann Französisch, Englisch und Italienisch außer natürlich der Muttersprache und weiteren slawischen Sprachen, die ich verstehe. In der Generaldirektion Wirtschaft und Finanz herrscht Anglophonie, also sprechen wir meistens, ich würde sagen, fast ausschließlich Englisch und wir schreiben auch fast ausschließlich in Englisch."

Vor allem die Multilingualität und das Multikulturelle gefallen den in Brüssel arbeitenden Tschechen besonders. Zwei Fremdsprachen sind ein absolutes Muss, viele beherrschen aber noch mehr, wie beispielsweise Michaela Jelínková, die neben Französisch und Englisch auch Spanisch spricht und seit zwei Jahren Deutsch lernt. Außerdem hilft sie ihren Kollegen bei Bedarf mit Russisch aus:

"In Brüssel gefällt mir besonders, dass man die Möglichkeit hat, Leute aus ganz Europa kennenzulernen. Ein bisschen stört mich dabei, dass das ziemlich europäisch ist, wenn ich das mit Paris oder London vergleiche, Brüssel ist einfach eine ziemlich europäisch ausgerichtete Stadt. Dann gefällt mir sehr, dass ich in Fremsprachen reden kann, das ist meine große Freude, dass ich nicht vergesse, was ich gelernt habe."

Michaela Jelínková gehört zu jenen Tschechen, die das Auswahlverfahren zwar nicht bestanden, aber dennoch einen begehrten EU-Job haben. Nach dem Wirtschaftsstudium in Prag und einem postgradualen Studium in Strasbourg ist sie vor über zwei Jahren nach Brüssel übersiedelt:

"Ich hatte die Möglichkeit, eine gut bezahlte Arbeit in Prag zu bekommen. Und dann hatte ich auch die Möglichkeit, nach Brüssel zu gehen, allerdings unter viel schlechteren Bedingungen und nur für ein Praktikum. Ein Praktikum im Sozial- und Wirtschaftsausschuss, das schlecht bezahlt und nur auf fünf Monate begrenzt war, das ich aber am Ende gewählt habe. Ich bin also aus Abenteuerlust nach Brüssel gegangen."

Heute hat Michaela Jelínková, wie Jirí Plecitý, einen A-Posten. Sie ist als Verwaltungsreferendarin in der Generaldirektion Gesundheit und Konsumentenschutz tätig, allerdings nur auf begrenzte Zeit. Nächsten Mai läuft ihr Vertrag aus, dann will sie sich überlegen, ob sie in Brüssel bleibt oder nicht.

Möglichkeiten gibt es - theoretisch - genug. Die EU-Institutionen bieten eine breite Palette an Betätigungsfeldern, angefangen von Praktikumsplätzen über befristete Verträge bis hin zu den begehrten Beamtenposten, die auf Lebenszeit vergeben werden. Für Sprachbegabte gibt es im größten Sprachendienst der Welt umfangreiche Beschäftigungsmöglichkeiten und Wissenschaftler können sich um Forschungsstellen bewerben. Nicht zuletzt dürfte auch die Bezahlung für die Attraktivität der EU-Jobs ausschlaggebend sein: Ein Büroassistent beispielsweise verdient im Schnitt 3.000 Euro im Monat, ein Hochschulabsolvent ohne Praxis 4.000, Zuschüsse für Kinder, Wohnung und Dienstreisen noch nicht eingerechnet.

Neben den finanziellen Vorteilen und dem aktiven Fremdsprachengebrauch ist für die befragten Tschechen auch die günstige geographische Lage ein wichtiger Anreiz für ihre Tätigkeit in Brüssel, denn die Stadt selbst hat wenig zu bieten, so Katerina Kodonová:

"Für mich ist Brüssel im Vergleich zu Prag einfach ein Dorf. Damit habe ich mich am Anfang nicht so leicht getan, aber es ist herrlich, dass es hier so ein multikulturelles Umfeld gibt, ich habe eine Menge Freunde aus verschiedenen Ländern und man kann von hier aus tolle Ausflüge machen. Alles ist einfach näher als von Prag aus."

Auch Michaela Jelínková ist dieser Meinung. Während viele Ausländer nicht zuletzt wegen der Stadt und ihrem Flair gerne in Prag leben, treffe dies auf Brüssel ganz und gar nicht zu, so Jelínková:

Foto: Europäische Kommission
"Es gefällt mir nicht, das gebe ich zu, die Brüsseler Architektur. Es kommt mir vor, dass sich in den letzten Jahrzehnten niemand ordentlich um Brüssel gekümmert hat und dass die Stadt ziemlich darunter leidet. Als ehemalige Prag-Führerin bedauere ich es sehr, wenn ich manchmal, ich sage nicht überall, es hat sich ja schon zum Glück sehr verbessert, aber wenn ich diese Zerstörung der Architektur sehe. Und damit hängt auch zusammen, dass mir Prag sehr fehlt. Ich wurde dort geboren und ich habe die Stadt sehr gern."

Außer der Heimatstadt, der Familie und den Freunden fehlen den in Brüssel Lebenden und Arbeitenden beispielsweise noch die vertrauten Stützpunkte im beruflichen und privaten Alltag, wie Jirí Plecitý meint. Also das Wissen, wohin man sich wenden kann, wenn man ein Problem hat. Und Katerina Kodonová vermisst darüber hinaus, was wohl für viele Teil der Heimat ist:

"Das tschechische Fernsehen und manchmal das Essen. Die belgische Küche ist zwar ausgezeichnet und es gibt auch internationale Küche hier, aber im Vergleich zur tschechischen ist das für uns was anderes. Das ist eine absolute Änderung, das heißt, man sehnt sich manchmal nach dem klassischen Essen, wie zum Beispiel Kartoffelpüree oder dem gebackenen Käse, das finden Sie hier nicht."





Folgende Hinweise bringen Ihnen noch mehr Informationen über den Integrationsprozess Tschechiens in die Europäische Union:



www.integrace.cz - Integrace - Zeitschrift für europäische Studien und den Osterweiterungsprozess der Europäischen Union

www.euroskop.cz

www.evropska-unie.cz/eng/

www.euractiv.com - EU News, Policy Positions and EU Actors online

www.auswaertiges-amt.de - Auswärtiges Amt