Lektorin in Ústí: Kontrastprogramm zwischen Industrie und Geschichte
Auf dem Weg von Prag nach Dresden, wenige Kilometer vor der Grenze zu Deutschland, liegt Ústí nad Labem / Aussig. Als touristischer Hot Spot ist Ústí nicht gerade bekannt, und auch ausländische Studierende finden sich weit öfter in Prag ein als an den kleineren Universitäten der böhmischen und mährischen Provinz. Dasselbe gilt auch für ausländische Lektorinnen und Lektoren – aber nicht für Eva Gänsdorfer. Seit einem halben Jahr unterrichtet die junge Österreicherin an der Universität Ústí. Entsandt wurde sie vom Österreichischen Austauschdienst (ÖAD). Über ihre bisherigen Erfahrungen mit Job und Stadt hat sie mit Gerald Schubert gesprochen.
„Ich bin in Ústí nad Labem eingesetzt…“
…Zu Deutsch Aussig an der Elbe…
„Genau. Ich habe aber die Erfahrung gemacht, dass in Österreich beide Namen relativ unbekannt sind. An der Universität Ústí bin ich am Lehrstuhl für Germanistik tätig.“
Was bedeutet die Organisation durch den ÖAD? Entsenden die österreichischen Universitäten Fachkräfte in andere Länder, oder wie muss man sich das vorstellen?„So ähnlich. Eigentlich macht das die Republik Österreich. Die sendet Lektoren in die ganze Welt, unter anderem auch nach Tschechien. In Tschechien gibt es sogar besonders viele Lektorate. Ich glaube, es gibt zwölf Stellen hier, nicht nur in Prag, sondern auch in anderen Universitätsstädten. Die Lektoren sind dann an den jeweiligen Unis bei den Germanistikinstituten als Muttersprachler tätig und unterreichten dort in erster Linie Deutsch, aber auch andere Fächer. Eigentlich alles, was im breitesten Sinne mit Deutsch zu tun hat.“
Ist ein Lektorat zeitlich begrenzt? Und werden Sie während dieser Zeit von Österreich bezahlt?„Wir sind Angestellte an den jeweiligen Unis vor Ort und bekommen zusätzlich noch ein Stipendium von Österreich. Das Ganze kann man je nach Weltregion von einem Jahr bis zu – wie zum Beispiel hier in Tschechien – maximal fünf Jahre machen.“
Sie haben gesagt, dass Ústí nad Labem in Österreich nicht so bekannt ist. Weder unter dem tschechischen Namen, noch unter dem deutschen. Trotzdem wissen zumindest viele unserer Hörer, dass Ústí in Nordböhmen liegt, nahe der deutschen Grenze. Soweit ich weiß, gibt es ja auch im südmährischen Brünn, also viel näher an der österreichischen Grenze, ÖAD-Lektorate. Trotzdem sind Sie in Nordböhmen gelandet. Wollten Sie das so?
„Ja natürlich, sonst wäre ich jetzt nicht hier. Man muss aber dazusagen: Dadurch, dass diese Lektorate mehrere Jahre dauern, wird immer nur eine beschränkte Anzahl von Plätzen pro Jahr frei. Und natürlich kann man sich nur für diese frei werdenden Stellen bewerben. Ich wollte gern in Prag oder in einer umliegenden Stadt tätig sein, und Ústí nad Labem ist frei geworden. Das war mein Glück. Und so hat es mich nach Ústí verschlagen.“Ich könnte mir vorstellen, dass das Interesse an der deutschen Sprache in Ústí nad Labem relativ groß ist, weil die Stadt nahe an der deutschen Grenze liegt. Empfinden es tschechische Studenten nun als Bereicherung ihres germanistischen Horizonts, von einer Österreicherin unterrichtet zu werden? Oder gelten Sie als eher exotischer Fremdkörper aus dem Süden des deutschen Sprachraums?
„Ich glaube, dass die Germanistikstudenten in Ústí besonderes Glück haben. Meine deutschen Kollegen kommen eigentlich alle aus Sachsen, und ich eben aus Österreich. Das heißt, die Studenten haben es mit unterschiedlichen regionalen Färbungen des deutschen Sprachraums zu tun. Ob man überhaupt von Hochdeutsch und Nicht-Hochdeutsch sprechen kann, das ist die Frage. Prinzipiell ist natürlich der Wunsch da, ein Standarddeutsch zu sprechen. Aber ich denke schon, dass mich die Studenten verstehen. Und wenn sie es einmal nicht tun, dann lassen sie mich das auch wissen. Insofern sehe ich das Ganze als Bereicherung, und ich hoffe, das gilt auch für meine Studenten.“Sie haben Soziologie studiert. Wie sehen Sie persönlich und als junge Soziologin die Stadt Ústí? Ungefähr 100.000 Einwohner, Grenzgebiet, ehemaliges Sudetenland, sehr stark von der Industrie geprägt – fühlen Sie sich dort wohl? Wie würden Sie die Stadt jemandem beschreiben, der noch nie dort war?„Ich glaube, wenn man aus Österreich kommt, dann ist Ústí schon recht außergewöhnlich. Die ersten Reaktionen, die ich auch von Tschechen bekommen habe, als ich gesagt habe, dass ich nach Ústí gehe, waren eher verhalten. Also der Stadt eilt nicht unbedingt der beste Ruf voraus. Ich war dann aber eigentlich positiv überrascht. Schon allein die landschaftliche Einbettung ist wirklich interessant. Der schon sehr mächtige Fluss, also die Elbe, die sich durch die Stadt schlingt, und die Hügel, in die die Stadt eingebettet ist, sind recht ansehnlich. Dazu kommt, dass man viele Jahrzehnte des letzten Jahrhunderts in der Stadt auch wirklich sehen kann. Das ist glaube ich nicht bei vielen Städten der Fall.“
Woher kommt dann der schlechte Ruf?„Vor allem durch die Industrie, von der einige Zweige nach wie vor aktiv sind. Man riecht das auch ab und zu. Aber wenn man in der Innenstadt ist, bekommt man das nicht unbedingt mit.“
Tschechien ist ja nicht allzu groß. Würden Sie einem Touristen, der nach Prag kommt und dann noch einen oder zwei Tage Zeit hat, empfehlen, einen Abstecher nach Ústí zu machen? Ist die Stadt zum Beispiel für junge Leute Ihrer Generation interessant?
„Auf jeden Fall. Im Herbst hatte ich in Prag Besuch aus China. Ich habe meinem chinesischen Bekannten erzählt, wo ich unterrichte, und er begann, sich sehr für Ústí nad Labem zu interessieren. Er wollte dann unbedingt hin, weil er das richtige Tschechien sehen wollte. Also sind wir hingefahren. So gesehen ist Ústí ein attraktives Kontrastprogramm zu Prag, bei dem man sehen kann, wie andere Leute leben, und wie Tschechien auch aussehen kann.“
Ústí nad Labem ist nicht nur durch seine Nähe zu Deutschland, sondern auch durch seine deutsche Vergangenheit interessant. Letztere wird jetzt in verschiedenen Bereichen wieder relativ stark thematisiert. In Ústí gibt es etwa das so genannte Collegium Bohemicum, eine Institution, die sich um die Erforschung und das Erbe der deutschen Geschichte der Stadt bemüht. Jetzt soll dort sogar ein Museum der deutschen Geschichte entstehen – das einzige seiner Art in der Tschechischen Republik. Ist das in der Stadt ein Thema?„Wahrscheinlich lebe und arbeite ich auf der Uni in einer Art Blase. Wie die breite Bevölkerung das sieht, kann ich schwer einschätzen. Ich habe aber schon festgestellt, dass es in Ústí eine sehr wache und kritische Szene gibt, die sich mit der deutschen Vergangenheit intensiv auseinandersetzt. Da kennt man sich untereinander sehr schnell, es gibt viele Verbindungen zwischen den einzelnen Akteuren. Ich habe schon den Eindruck, dass diese Leute es als etwas Besonderes sehen, dass dieses Museum ins Leben gerufen wird. Und dass das gerade in Ústí geschieht.“Fotos aus Ústí nad Labem: Eva Gänsdorfer