Lidice, ein Dorf, das in einer Nacht aufhörte zu existieren

Lidice

Am 10. Juni 1942 verschwand ein Dorf, das zwischen Prag und Kladno liegt. Sein Name wurde zum Symbol der Leiden, die die Tschechen während der deutschen Okkupation zu ertragen hatten. Lidice heißt das Dorf. Seine Zerstörung war die Vergeltung der Deutschen für das Attentat auf den stellvertretenden Reichsprotektor Reinhard Heydrich. Nach Lidice ist unser Mitarbeiter Pavel Polák gefahren, um eine Augenzeugin zu besuchen.

Karl Hermann Frank  (rechts) mit Reinhard Heydrich
„Sie waren zu dritt und haben sich anständig verhalten. Aber das war ihre Taktik. Sie haben gesagt: Ziehen Sie sich etwas an, Sie gehen für zwei Tage ins Schulgebäude. Wir haben gedacht, dass wir zum Verhör gehen. Sie haben auch gesagt, was wir alles mitnehmen sollen. Gold, Sparbücher und Geld, das sollten wir bei uns haben. Ich – in meiner kindlichen Naivität – ich dachte, sie sind so anständig, sie wollen nicht, dass uns etwas verloren geht. Dass das nicht der Fall war, das habe ich wenige Minuten später erfahren, als wir zur Schule kamen. Links stand eine Gruppe von Männer, meinen Papa hatten sie von uns getrennt und zu den Männern eingereiht. Und wir gingen in die Schule. Dort stand ein SS-Mann, der uns beahl, alle Wertsachen abzugeben. Ich habe nur meine Ohrringe gerettet, da ich damals längere Haare hatte.“

So beschreibt Frau Sklenickova die Nacht vom 9. auf den 10. Juni 1942, in der die deutschen Soldaten das Dorf Lidice umstellt und alle Einwohner vor der Schule versammelt hatten.

„Am nächsten Tag, sehr früh – es war so halb fünf – mussten wir die Schule verlassen. Vor dem Eingang standen die Militär-LKWs. Wir fuhren nach Kladno, wo sie uns registriert und weiter aufgeteilt haben. Meiner Mutter ist aufgefallen, dass ich auf einer Liste mit ihr und anderen Frauen war. Während ein fast gleichaltriges Kind auf einer anderen Liste stand. Mir haben zweieinhalb Monate das Leben gerettet – ich schon war 16 Jahre alt. Wäre ich später geboren, wäre ich mit den Kindern gegangen – ich wäre tot gewesen.“

Das weiß Frau Sklenickova heute, damals hatte sie keine Ahnung, was mit den Kindern passierte. Sie und andere Frauen aus Lidice wussten nicht, was mit den Männern im Dorf geschah. Ein sechszehnjähriges Mädchen, völlig verwirrt durch die Ereignisse, aber immerhin froh, dass sie bei ihrer Mutter war.

In der Stadt Kladno blieben die Frauen aus Lidice mit ihren Kindern drei Tage. Was sie erwartet, erfuhren sie von einem Polizisten der Gestapo.

„Und er sagte: ´Ihr geht für einige Zeit nach Deutschland, um dort zu arbeiten. Und die Kinder fahren mit dem Bus, damit sie einen leichteren Weg haben´. Sie können sich das vorstellen, die Mütter wollten ihre Kinder nicht abgeben. Um die Situation zu beruhigen, schoss er in die Luft und sagte: Mütter mit Kindern, die jünger sind als ein Jahr, gehen mit ihnen. Das hat auch die anderen Mütter beruhigt, da sie dachten, auf ihre Kinder wird man aufpassen. Aber trotzdem war es schrecklich, es gab schreckliche Szenen, die nicht zu beschreiben sind.“

Frau Sklenickova wurde mit den anderen Frauen zum Bahnhof gebracht und in den Zug gesetzt. Was sie damals nicht wusste. Die nicht einmal einjährigen Kinder wurden den Müttern noch am selben Tag weggenommen und nach Prag geschickt. Sie sollten „deutsch“ erzogen werden. Die anderen mehr als achtzig Kinder wurden zur Sonderbehandlung bestimmt – für das Vernichtungslager in Chelmno.

Lidice wurde in Brand gesteckt und dann eingeebnet. Das Dorf sollte einfach vollständig von der Landkarte gelöscht werden. Die Anordnung zur „Räumung“ von Lidice erfolgte durch den SS-und Polizeiführer Karl Hermann Frank. Am 10. Juni ließ er auch alle Männer von Lidice und Jungen, die älter als fünfzehn waren, erschießen.

Frau Sklenickova wurde mit weiteren 194 Frauen ins Konzentrationslager Ravensbrück deportiert – wo sie glücklicherweise den Krieg überlebte. Dass ihr Vater – und die anderen Männer von Lidice tot sind, erfuhr sie erst nach dem Kriegsende.

„Schauen Sie, wenn Sie das Lager erleben, dann bedeutet Eigentum für Sie gar nichts mehr. Wirklich wichtig ist für Sie nur das Leben und das Leben der anderen. Dass mein Papa erschossen wurde, erfuhr ich nach dem Krieg in Kladno. Das war für mich ein schrecklicher Schlag, ich hatte mich auf ihn gefreut – meine Mutter auch.“

Zum Andenken an Lidice wurden auf der ganzen Welt viele Ortschaften umbenannt. In Brasilien, Mexico, in den Vereinigten Staaten und auch in Peru können Sie Lidice besuchen – damit niemand vergisst.