Lucas Cranach im Röntgenbild: Sein Erbe in den Böhmischen Ländern
Etwa 30 Werke von Lucas Cranach dem Älteren und seiner Werkstatt befinden sich in Tschechien, hauptsächlich in der Nationalgalerie in Prag, aber auch in anderen Sammlungen. Welche Bedeutung hatte Cranach für die böhmische und mährische Kulturgeschichte? Dieser Frage geht eine Ausstellung im Sternberg-Palais in Prag nach. Außerdem bietet sie Einblick in die Ergebnisse vielfältiger technologischer Untersuchungen von Cranachs Bildern.
„Man hat einerseits einen Einblick in den Entstehungsprozess des jeweiligen Werkes erhalten. Man konnte wirklich Dinge erkennen, die auf mehreren Bildern vorkommen, und so einen Hinweis auf verschiedene Hände ermöglichen, die man nun voneinander unterscheiden kann.“
Nicht alle Cranach zugeschriebenen Werke lassen sich ausschließlich ihm zuordnen. Häufig sind sie Gemeinschaftsarbeiten aus seiner Werkstatt, wie sich gezeigt hat. Andererseits haben die Bilder auch einiges durchgemacht:
„Sie sind ja schon mehrere Hundert Jahre alt, sie wurden teilweise schon früher restauriert, übermalt, bearbeitet, es kamen Wappen dazu, die spätere Eigentümer anbringen ließen. Durch diese sehr differenzierte Durchleuchtung und diese Forschungen konnten viele Klarheiten geschaffen werden, die für das Werk von Cranach und insbesondere die Werke, die wir in der Nationalgalerie haben, eine ganz neue Sicht auf die historischen Zusammenhänge ermöglicht.“Altar für den Veitsdom – Habsburger Prinzessinnen als Heilige
Cranach und seine Werkstatt seien in ganz Mitteleuropa bekannt und eine Marke gewesen, sagt der Kunsthistoriker. Der Cranachsche Stil, also insbesondere die Darstellung von Menschen und seine sehr typisierte Frauendarstellung, war im 16. Jahrhundert allgemein sehr beliebt.
„Selbstverständlich waren sein Name und sein Ruf auch in Böhmen und Mähren sehr gut, was man an den hochrangigen Auftragswerken sieht. So hat insbesondere der Prager Veitsdom ein Werk von ihm erhalten, das sehr wahrscheinlich im Auftrag der Habsburger entstanden ist. Es ist ein großer Altar für eine Seitenkapelle, von dem heute nur noch Fragmente existieren.“Nach 1619, in der Zeit des calvinistischen Winterkönigs Friedrich V., wurden alle sogenannten „schädlichen“ Werke aus der Prager Kathedrale entfernt. Das heißt katholische Bilder, die Jungfrau Maria und Heilige darstellten. Der Altar von Cranach wurde zersägt. In der Ausstellung wird das größte erhaltene Fragment gezeigt, das sich ansonsten in der Burggalerie befindet. Man sieht darauf die Madonna, umgeben von verschiedenen weiblichen Heiligen, die zu ihren Füßen knien:
„Diese Frauen sind ausgesprochen prunkvoll gewandet und mit kostbarem Schmuck ausgewiesen. Es sind zwar Heilige, aber man kann vermuten, dass es sich um Kryptoporträts handelt, das heißt um verborgene Bildnisse von Töchtern aus dem Umfeld der Auftraggeber, also Prinzessinnen, die damals am Hof eine Rolle spielten. Das kann man auch an dem sehr schönen Fragment sehen, das die heilige Kristina zeigt, eine damals relativ selten oder sonst kaum dargestellte Heilige. Sie ist durch ihre aufwändige Tracht eindeutig als vornehme Dame widergegeben.“
Soweit Marius Winzeler zu dem bedeutendsten Auftrag Cranachs in Böhmen. Der Künstler schuf aber auch für Mähren einige Werke, insbesondere für den Erzbischof von Olmütz und dessen Residenz in Kroměříž / Kremsier.„Das war damals ein Vertreter der Familie Thurzo. Die Familie war europaweit im Handel tätig und auf diesem Weg ambitioniert, das zeitgenössische Modernste zu haben.“
Lehrer und Vorbild
Cranach hat zahlreiche Spuren in den Böhmischen Ländern hinterlassen. Nicht nur unmittelbar durch seine Werke, sondern auch als Lehrer und als Vorbild:
„Das betrifft für die böhmische Seite insbesondere den Meister IW, einen der interessantesten, leider eben nur durch seine Initialen bekannten Schüler und Mitarbeiter von Lucas Cranach. Dieser Meister IW gehörte in der Mitte und in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts sicherlich zu den absolut führenden Malern, der für wichtige Auftraggeber große Werke geschaffen hat. Insbesondere für Klöster, nicht nur in Nordböhmen und am Fuße des Erzgebirges, sondern bis nach Prag.Der Cranachsche Stil lässt sich auch in anderen Zusammenhängen finden. Die Druckgraphik war dabei wichtig:
„Cranach und seine Werkstatt haben hier auch bedeutende Holzschnitte geschaffen, die damals sehr verbreitet waren. Ikonographisch und stilistisch spielte das Werk von Cranach also eine Rolle.“
Bis weit in das 17. Jahrhundert dienten Cranachs Druckgraphiken, die in Sammelbänden herausgegeben wurden, als direkte Vorlagen für die Darstellung mancher Motive – wie die Kreuzigung Christi und die Jungfrau Maria oder Porträts.
Und dazu komme auch der konfessionelle Aspekt, sagt Marius Winzeler:
„Es gibt einen katholischen Cranach, wie eben derjenige, der für den Veitsdom den erwähnten Altar geschaffen hat. Aber insbesondere wurde Cranach vor allem als Künstler der lutherischen Reformation bekannt. Er hat auch gerade bei den lutherischen Städten Böhmens in den Randgebieten, wo sich das Luthertum sehr stark festgesetzt hatte, einen Einfluss ausgeübt. Viele Kirchen erhielten Ausstattungsstücke im Cranachschen Stil. Das schönste Beispiel liefert sicherlich die Dekanatskirche von Most / Brüx.“
„Gesetz und Gnade“ – Original und Kopie
Die Ausstellung zeigt einige wirkliche Spitzenwerke, die auch sehr typisch sind für Lucas Cranach den Älteren. So zum Beispiel das allseits bekannte Bild von „Adam und Eva“.
„Aber ein absolutes Spitzenbild in historischer und kunsthistorischer Hinsicht ist das berühmte Bild von ‚Gesetz und Gnade‘ von 1529. Es ist eine der frühesten Versionen dieses Motivs, das zum Inbegriff der lutherischen Reformationsgeschichte geworden ist: Auf der einen Seite ist das Alte Testament, auf der anderen das Neue Testament dargestellt.“Neben dem Original hängt noch eine Kopie des Bildes. Auch sie trägt Cranachs Unterschrift mit der typischen Abbildung einer Schlange sowie das Datum 1529. Technologische Untersuchungen haben aber nachgewiesen, dass die Unterschrift erst in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts entstand, das heißt nach dem Tod des Malers. Kunsthistoriker nehmen an, dass der Sohn, Lucas Cranach der Jüngere, diese Fälschung gemalt hat. Warum und für wen, das ist leider nicht bekannt.
Auch zwei der besten Porträts von Lucas Cranach dem Jüngeren sind ausgestellt sowie eine einzigartige Gruppe von Werken des Meisters IW:
„Dazu gehört insbesondere eine Darstellung der Salome mit dem Haupt von Johannes dem Täufer. Dieses Bild wurde noch nie öffentlich gezeigt und ist ein absolutes Prunkstück der Ausstellung. Es hat auch ein Gegenstück im Prämonstratenserkloster Strahov, bei dem man sieht, wie die Künstler die gleichen Gesichter und Typen mit jedoch unterschiedlichen Dekoren und zu anderen Themen verarbeitet haben.“Die Ausstellung „Cranach von allen Seiten“ ist im Sternberg-Palais auf dem Hradschin zu sehen, sie läuft bis 22. Januar kommenden Jahres. Die Galerie ist täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Die Nationalgalerie bietet auch kommentierte Führungen auf Deutsch mit dem Leiter der Sammlung Alter Meister, Marius Winzeler. Die nächsten finden am 11. September und am 10. November statt. Am 16. Oktober hält Winzeler außerdem einen Vortrag mit dem Titel „Cranach überall? Betrachtungen zum Erbe der Cranach-Werkstatt in den böhmischen Ländern“.