Mährisches Vsetin - Bahnbrecher in Staatsverwaltung

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Und nun laden wir Sie nach Ostmähren ein, genauer gesagt in die Region Walachei. Eine ihrer Wirtschafts- und Kulturzentren ist die Stadt Vsetin mit etwa 30 000 Einwohnern, umgeben von den Hügeln namens Vsetinske vrchy. Ähnliche Städte gibt es Dutzende in ganz Tschechien, und doch gilt diese landesweit als einzigartig. Vor drei Jahren wurde Vsetin Mitglied des 1994 gegründeten nationalen Netzwerkes "Gesunde Städte", und bald darauf zeigte sich, welchen Inhalt man hier diesem Projekt zu geben weiß. Kurzum, Vsetin hat sich im Sektor der kommunalen Selbstverwaltung als Bahnbrecher in ganz Tschechien etabliert. Hören Sie dazu einen Bericht von Jitka Mladkova in der neuen Folge der Sendereihe Regionaljournal:

Tschechien als Billiglohnland, zwar ohne besonders hohe Arbeitsproduktivität, aber immerhin auch hier mit steigender Tendenz, lockt seit Jahren zahlreiche ausländische Investoren. Laut einer Studie von Czipin & Proudfood Consulting, die die Entwicklung der internationalen Arbeitsproduktivität im Jahr 2004 vergleicht, arbeiten die Tschechen mehr als es dem Durchschnitt in den EU-Ländern entspricht. Die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden pro Kopf beträgt in hierzulande im Schnitt 1906. Z.B. in Ungarn sind es 1777 und in Deutschland 1444 Arbeitsstunden. Dabei gilt aber nicht: je höher die Zahl der Arbeitsstunden, desto höher die Arbeitsproduktivität. Die Studie kam zu einer interessanten Erkenntnis: Nicht etwa schlechte Arbeitsmoral oder ein veralteter Maschinenpark bzw. alte Technologien erweisen sich als größte Mängel. Unproduktiv verbrachte Stunden seien auf schlechtes Management und unzureichende Planung bzw. auf unzureichende Kontrollen zurückzuführen. Auch hier gibt es Unterschiede zwischen den Ländern. Während auf einen Arbeitnehmer im weltweiten Durchschnitt 85 unproduktiv verbrachte Tage pro Jahr entfallen, gehen dem tschechischen Arbeitnehmer ganze 103 Tage "verloren". Würde man aber nur die tschechische Beamtenschaft unter die Lupe nehmen...

Man nehme aus seiner Büroschublade - womöglich seufzend - eine sichtlich dicke Aktenmappe und flitze mit dieser unterm Arm und mit besorgter Miene durch die benachbarten Büroräume, um den Kollegen zu zeigen, welcher Aufgabenberg einem auf den Schultern lastet. Dieser Rundgang sei zum Auftakt der Arbeitszeit und noch einmal kurz vor deren Ende zu absolvieren, dazwischen könne man beliebig vor sich hin dösen, mit jemandem quasseln oder "nur" Kaffee trinken. Auf diese Weise überlebe man als Beamter über Jahre hinweg. Diese etwas überspitzt formulierte Arbeitsanleitung ist natürlich in keinem Beamtenkodex schwarz auf weiß zu lesen, und doch kann man nicht selten nach einem Besuch bei der einen oder der anderen tschechischen Behörde den Eindruck gewinnen, dass dort wohl nach dem Motto gearbeitet wird: "Man gehe mit der zugeteilten Arbeit sparsam um, sonst müsste man sich Arbeit ausdenken."

Die öfters abgegebenen Erklärungen von politisch Verantwortlichen über Qualifikation und Motivation der Beschäftigten als absolute Priorität gelten dann im Lichte dieser Situation eher als reine Lippenbekenntnisse. Damit wollte man sich aber in Vsetin, konkret gesagt im Vsetiner Rathaus, nicht abfinden. Unter dem Leitmotto "Verwaltungsoptimierung", was ein anderer Name für Produktivitätssteigerung ist, haben sich die Stadtväter für eine neue Arbeitsorganisation mit Leistungsverdichtung entschlossen. Das Leitbild für ihre Ziele, das nicht nur auf dem Papier steht, sondern von allen glaubwürdig vertreten wird, haben sie in dem internationalen Standard ISO 9000 gefunden. Über die Grundidee des Vorhabens sagte uns Bürgermeister Jiri Cunek:

"Wir haben uns ursprünglich von der Idee leiten lassen, unsere Lebensqualität und die unserer Mitbürger in der Stadt zu verbessern. Nun mussten wir uns den Kopf darüber zerbrechen, wie diese Idee umzusetzen ist, denn dazu braucht man natürlich Geld. Unserem Rathaus steht ein Geldpaket zur Verfügung, von dem seine Belegschaft selbst einen Teil verbraucht. Es geht also darum, dieses Geld effektiv auszugeben, und die Frage war: Wie viel Zeit und Engagement investiert der jeweilige Beamte in die Arbeit, für die er bezahlt wird, zum Wohle der Mitbürger?"

Die Beamten, so Jiri Cunek, müssen über die Probleme, mit denen sich die Bürger an sie wenden, nachdenken und diese auch kreativ lösen, damit am Ende beide Seiten zufrieden sind. Dies aber in die Praxis umzusetzen sei äußerst schwierig, beteuert Cunek:

"Es gibt einen einzigen Weg: das jeweilige Amt führt sein eigenes Arbeitssystem ein, in unserem Falle gemäß ISO 9000 oder ISO 9001, das einen rationellen Einsatz von Personal- und Sachmitteln vorsieht. Es werden Kriterien für die Messbarkeit der Qualität der jeweiligen Dienstleistungen entwickelt, und dementsprechend muss auch jeder Mitarbeiter wissen, was er zu tun hat, um nicht etwas zu machen, was vor ihm schon jemand gemacht hat."

Die Inspiration für die erwähnte Verwaltungsoptimierung haben die Vsetiner offensichtlich vor allem in der Privatwirtschaft gefunden. Schließlich kommt es auch hier nicht nur allein auf eine gute Geschäftsidee oder die hohe Qualität der Produktionstechnologie an. Cunek zufolge ist hierzulande der Begriff "ISO" allen Unternehmen bekannt. Für keines von ihnen ist es möglich, einen staatlichen Auftrag zu erhalten, ohne die ISO-Standards einzuhalten. Nun muss man sich aber fragen: Wenn ein Produkt von hoher Qualität als Resultat der Arbeitstätigkeit aufgrund des ISO-Systems gilt, was ist dann das Qualitätsprodukt eines Rathauses? Der Bürgermeister von Vsetin hat sofort eine Antwort parat:

"Das muss natürlich ein ausgezeichneter Service für die Mitbürger sein!"

sagt Cunek kurz und bündig. Bei einem Vergleich einzelner Rathausleistungen in Städten mit vergleichbarer Einwohnerzahl bzw. mit vergleichbarer Bevölkerungszahl auf dem verwalteten Gebiet, kann man faktisch auch die Arbeitsleistung jedes einzelnen Beamten messen - z.B. anhand der von ihm getroffenen Maßnahmen, Entscheidungen usw. Eine dazu erstellte Tabelle verrät dann auch, wie viele Beamte auf eine konkrete Einwohnerzahl entfallen - also wie viele Beamte im jeweiligen Rathaus für 100, 1000 oder aber nur für einen Einwohner benötigt werden. Jiri Cunek fügt noch hinzu:

"Das ist, denke ich, eine Methode, die die geleistete Arbeit messen und auswerten kann. Wenn dann die Resultate veröffentlicht werden - in der Presse, im Internet und anderen Medien - dann können die Bürger und schließlich auch die Beamten selbst fragen: Wieso sind wir vergleichbar mit der Stadt X und dort gibt es z. B. um 50 Beamte weniger als bei uns? Auf das Konto von 50 Beamten geht natürlich eine beträchtliche Summe Geld, welches für andere Zwecke ausgegeben werden könnte - z.B. für Kinderspielplätze, Gehsteige, einfach für Projekte, die die Lebensqualität der Bürger verbessern können."

Bei der Einführung des ISO-Systems musste man sich im Vsetiner Rathaus mit vielen Aufgaben auseinandersetzen, die auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen waren: Das Programm der strategischen Planung, sprich der Produktivitätssteigerung in der öffentlichen Verwaltung, musste richtig festgelegt werden. Auch die Arbeitsleistung der einzelnen Mitarbeiter wollte man richtig festlegen und anschließend bemessen. Beides im Einklang mit dem Leitmotto: Die gleiche Leistung soll mit geringerem Aufwand - oder eine höhere Leistung mit dem gleichen Aufwand für Personal und Sachmittel erreicht werden. Wird ein Personalüberhang festgestellt, dann werden Stellen in den jeweiligen Abteilungen abgebaut. Jiri Cunek ist seit 1998 Vsetins Bürgermeister. Etwa zwei Jahre habe es gedauert, den richtigen Weg zur Arbeitsoptimierung zu finden, sagt er. In den Kommunalwahlen im Jahre 2002 hat man das entsprechende Konzept in das Wahlprogramm einbezogen. Bei den Wählern ist es gut angekommen. Wie war es aber bei den Mitarbeitern? Dazu Jiri Cunek:

"Auch bei uns, ebenso wie in vielen anderen Ämtern, waren die Beamten der Meinung, dass sie doch schon auf 100 Prozent arbeiteten und dass der halbstündige Smalltalk beim Morgenkaffee darüber, was sie am Vortag zum Abendbrot hatten, ganz normal sei. Ja, ginge es tatsächlich nur um eine halbe Stunde, wäre es noch nicht so tragisch. Aber von solchen "kleinen Smalltalks" gibt es gewöhnlich im Laufe des Tages mehrere. Jetzt will ich aber nichts Schlechtes über unsere Beamten im Rathaus sagen. Ich denke allgemein an alle, die in einem aus dem Stadthaushalt finanzierten Bereich arbeiten und nicht unbedingt besorgt daran denken müssen, dass sie am 10. des kommenden Monats kein Gehalt kriegen könnten. Das ist eine ganz andere Situation als bei Privatfirmen."

Das neue Arbeitsmodell ist im Vsetiner Rathaus also, wie zu erwarten war, auf keine begeisterte Resonanz gestoßen, erzählte dessen Spitzenbeamter. Zum selben Zeitpunkt wurde eine Gewerkschaftsorganisation bei der Behörde gegründet, was Cunek für legitim, wenn auch für keinen Zufall hält. Die Menschen verteidigten sich, wie es ging. "Wir haben aber in unseren Bemühungen nicht nachgegeben", sagt er wörtlich.

Die Leistung des Vsetiner Rathauses ist auch in den höchsten Etagen der Staatsverwaltung nicht ohne Resonanz geblieben. Als erste Behörde ihrer Art im Lande erhielt es das Zertifikat über die Erfüllung der europäischen Norm ISO 9001, das im Herbst 2004 Bürgermeister Jiri Cunek und der Geschäftsführer der Behörde, Milan Pucek, aus den Händen des Ministers für regionale Entwicklung, Jiri Paroubek, in Prag entgegennahmen. In der Staatsverwaltung gilt Vsetin auch als Partner des Innenministeriums, das allgemein gültige Standards für diesen Bereich erarbeiten will, um auf deren Grundlage die einzelnen Rathäuser im Lande einer Bewertung zu unterziehen.