Max Honisch aus Casablanca: „Ich wollte das Theater sehen, in dem mein Großvater arbeitete“
In der Prager Staatsoper wurde vorige Woche die dritte Reprise der Oper „Kleider machen Leute“ von Alexander Zemlinsky aufgeführt. Im Publikum saß auch Max Honisch mit seiner Tochter. Sie waren aus Casablanca gekommen, um nach den Spuren ihrer Vorfahren zu suchen. Martina Schneibergová traf mit Max Honisch während der Vorstellung und anschließend in einem Café zusammen. Im folgenden Interview erklärt er zuerst den Grund seines Besuchs im Prager Opernhaus.
„Mein Großvater hat hier 20 oder 30 Jahre lang gearbeitet – nur am Rande als Sänger, aber hauptsächlich in der Verwaltung (des damaligen Neuen Deutschen Theaters, Anm.d. Red). Ich wollte einmal das Theater sehen, in dem mein Großvater gearbeitet hat. Er ist gestorben, als ich zwölf Jahre alt war.“
Hat Ihr Großvater über das Theater erzählt?
„Eher wenig. Er hat mehr darüber erzählt, wie er in seiner Freizeit nach Karlstein gefahren ist, um zu fischen. Aber die Großmutter und die Tante haben sehr viel über Prag erzählt.“
Stammt Ihre Familie aus Prag?
„Die ältesten Honischs, von denen die ich weiß, stammen aus Skřípov / Wachtel in Mähren. Nach der Revolution von 1848, als die Leute reisen durften, ist ein Johann Honisch nach Olmütz gezogen und hat dort Arbeit gesucht. Er arbeitete dann als Schreiber bei einem Rechtsanwalt. Und dieser Honisch muss aktiv gewesen sein. Er war Mitbegründer der Feuerwehr von Povel (zu Deutsch Powel, Anm. d. Red.). Das war ein Dorf, das heute Bestandteil von Olmütz ist. Sein Grab besteht noch, ich habe es besucht.“
Ihr Großvater arbeitete im Neuen Deutschen Theater, der heutigen Prager Staatsoper. Und Ihr Vater?
„Meine Eltern waren geschieden, und der Vater ist in den Hintergrund getreten, aber auch meine Mutter. Der Großvater, die Großmutter und eine Tante haben mich zu sich genommen. Ich bin im Dorf Slavonín, deutsch Schnobolin und heute ein Teil von Olmütz, groß geworden.“
Haben Sie vielleicht versucht, im Archiv des Theaters etwas über den Großvater zu finden?
„Ich habe in den damaligen Zeitungen gesucht, aber da findet man eher wenig. Der Großvater hatte einen Bruder, der Emil Honisch hieß. Er war Entertainer. Bis 1916 war das ‚Mährische Tagblatt‘ voll von Berichten über ihn. Dann hat er schlagartig aufgehört. Ich wusste lange nicht, warum. Der Grund war: Er hatte einen Sohn, auch ein Emil. Der ist im österreichischen Heer Soldat geworden und an der Isonzo-Front gefallen. Ich glaube, dass das seinen Vater so traurig gemacht hat, dass er nicht mehr Entertainer sein wollte. Mein Großvater war lange in Prag, wo er gearbeitet hat. Und erst in der Rente kehrte er in den Raum Olmütz zurück.“
Verstehen Sie auch Tschechisch?
„Ich verließ die Tschechoslowakei 1946 und spreche leider kein Tschechisch. Das ist heute noch ein Rätsel für mich. Ich bin in eine Schule in Slavonín mit Deutsch als Unterrichtssprache gegangen, das heißt wir haben kein Tschechisch gelernt. Das war während der Ersten Republik. Warum kam kein Tschechisch-Lehrer zu uns? In Slavonín gab es einen Tschechisch-Lehrer und eine kleine, aber moderne tschechische Schule mit zwölf bis 20 Schülern. Dieser Lehrer war sehr gut, der hätte doch also auch in der deutschen Schule die Kinder tschechisch unterrichten können…“
Haben Sie Zemlinskys Oper „Kleider machen Leute“ zuvor gekannt?
„Den Inhalt kenne ich schon, aber die Musik kannte ich nicht.“
Sie haben eine lange Reise unternommen, um das Theater zu besuchen. Wie kam es dazu, dass Sie sich in Marokko niedergelassen haben?
„Ich ging zur Schule in Olmütz, dann auf ein Realgymnasium, und dann war ich in der Schweiz an der Handelsschule und habe eine Buchhändlerlehre gemacht. Aber in der Schweiz hat es mir nicht gefallen. Ich habe mich mit der Familie nicht verstanden und wollte weit weg. Eines Tages entschied ich mich, nach Marokko zu reisen, und bin dort geblieben.“
Haben Sie noch Kontakte zu entfernten Verwandten oder Mitschülern in Tschechien oder anderswo in Europa?
„Sehr wenig. Der Grund ist einfach: Ich bin 92 Jahre alt. Alle meine guten Freunde sind gestorben und auch meine liebsten Verwandten. In Olmütz habe ich einen Schulfreund, der ein Jahr älter ist als ich. Ihn möchte ich noch besuchen.“
In Olmütz lebten früher viele Deutsche, es wurden auch deutsche Tageszeitungen herausgegeben. Gab es auch ein deutsches Theater?
„Was die Zeitungen betrifft, gab es das ‚Mährische Tagblatt‘. Es gab auch ein gutes Theater. Ich habe erst viel später entdeckt, dass dort in der Protektoratszeit mindestens einmal ein Lustspiel von Erich Kästner aufgeführt wurde. In Deutschland wurde Kästner von den Nazis verboten. Ich frage mich manchmal, ob die Parteileitung der NSDAP in Olmütz damals davon wusste oder ob da jemand weggeschaut hat.“
Wir treffen nun nach der Theatervorstellung zusammen. Hat Ihnen die Oper „Kleider machen Leute“ gefallen?
„Also an und für sich ja. Was ich aber bedauere – nicht nur wegen der Oper, sondern überhaupt – ist die Modernität.“
Haben Sie Prag oder die Tschechoslowakei auch während der kommunistischen Zeit besucht?
„Ja, schon. Das war möglich. Ganz am Anfang wurden Visa nur in Todesfällen und dringenden Angelegenheiten ausgestellt. Aber später hat es Visa für jedermann gegeben.“
Haben sich Prag und Olmütz, das Sie vielleicht noch besser kennen, während der Jahre verändert?
„Ich würde sagen, eher wenig. Dass die Leute reisen können, das ist schon eine Veränderung. Die Städte sind in einem guten Zustand, und vieles ist renoviert worden.“
Ich möchte Ihnen noch eine Frage sozusagen in eigener Sache stellen: Der Tschechische Rundfunk feierte soeben sein 100. Jubiläum. Erinnern Sie sich daran, ob Sie zu Hause, als Sie klein waren, ein Radio hatten?
„Das war ein Radio, mit dem man nicht viele Sender empfangen konnte. Am meisten wurde Wien gehört, öfter als Prag.“