Medizin-Pionier und Goethe-Freund: J.E. Purkyně

J.E. Purkyně (Foto: Wikimedia Commons)

Ende Juli hat sich zum 150. Mal der Todestag von Jan Evangelista Purkyně gejährt. Der tschechische Arzt hat zu Lebzeiten weltweiten Ruhm erlangt, und zahlreiche Entdeckungen in der Medizin wurden nach ihm benannt. Auch die Universität von Ústí nad Labem / Aussig an der Elbe trägt seinen Namen. Doch das ist längst nicht alles. Purkyně dichtete auch und war mit Goethe bekannt.

J.E. Purkyně  (Foto: Wikimedia Commons)

Es gibt die Purkyně-Zellen – das sind Nervenzellen mit stark verästeltem Dendritenbaum. Es gibt die Purkyně-Fasern im Herz. Und auch noch weitere Bereiche des Körpers tragen seinen Namen. Jan Evangelista Purkyně gilt als Pionier der anatomischen Gewebelehre. Zudem unternahm er Selbstversuche mit Stoffen wie Äther, Opium oder Schwarzer Tollkirsche. Damit bereitete er den Weg zur Humanpharmakologie. Seine Triebfeder war ein unbändiger Wissensdurst. Otakar Brázda ist ein renommierter tschechischer Wissenschaftshistoriker. Er hat sich intensiv mit dem Leben von Purkyně beschäftigt.

„Purkyněs Interessen und sein Wissen reichten sehr weit. Er war ein sehr kreativer Mensch. Wenn man sein Leben anschaut, dann sieht man, wie sich künstlerische und wissenschaftliche Vorstellungskraft vermischen. So kam er auf ungewöhnliche Gedanken, die einen wissenschaftlichen Fortschritt ermöglichten.“

Naturwissenschaftliches Interesse

J.E. Purkyně  (Foto: Wikimedia Commons)
Jan Evangelista Purkyně wird am 17. oder 18. Dezember 1787 im nordböhmischen Städtchen Libochovice / Libochowitz geboren. Er ist der älteste Sohn eines Verwaltungsbeamten, der das Gut der Familie Dietrichstein führt. Der Vater stirbt früh, aber seine Angestellten ermöglichen beiden Söhnen den Gang ans deutschsprachige Piaristengymnasium im südmährischen Mikulov / Nikolsburg. Anfangs bewundert Purkyně noch seine Lehrer, doch dann ist ihm die Welt dort zu klein. Nach der Matura schreibt er sich in Prag zum Studium an der Karlsuniversität ein.

„Als Fach wählte er Medizin. Wie er schrieb, glaubte er, gerade in den Naturwissenschaften erfolgreich sein zu können. Damals gab es jedoch keine naturwissenschaftlichen Fakultäten an der Uni, sondern die Medizin vermittelte das Grundwissen in Chemie, Physik und damals auch Botanik. Doch er wollte nicht Arzt werden, sondern dauerhaft an der Universität wissenschaftlichen Problemen nachgehen. Einmal schrieb er, dass die Forschung und die Suche nach Antworten auf bisher unbeantwortete Fragen ihm unmittelbare Lust bereite“, so Brázda.

Nach seiner Promotion nimmt der Nachwuchsforscher vor genau 200 Jahren zunächst eine Assistentenstelle an. Er ist dann an der Fakultät für Anatomie und Physiologie der Karlsuniversität beschäftigt. Die Stelle ist aber auf vier Jahre befristet. Daher bewirbt sich Jan Evangelista Purkyně an mehreren Orten auf eine Professur – in Prag, Budapest und Graz. Doch erfolglos. Brázda meint, dass dem jungen Mann die richtigen Beziehungen fehlten, denn über die Berufungen wurde an den höchsten Stellen in Wien entschieden. Deswegen verlässt dieser Böhmen und zieht ins schlesische Breslau, das zu Preußen gehört.

Otakar Brázda  (Foto: Archiv České stomatologické komory)
„Die Professur dort erhielt er nach dem Misserfolg in Graz und nachdem er die Prager Karlsuniversität verlassen musste. Purkyně erhielt von dem ebenfalls aus Nordböhmen stammenden Professor Rust aus Berlin den Tipp, dass in Breslau der Lehrstuhl im Bereich Physiologie frei würde. Zu den Bewerbungsgesprächen fuhr er in die preußische Hauptstadt, und Jan Evangelista Purkyně machte dabei einen guten Eindruck. Die Kommission in Berlin beurteilte ihn als begabten Wissenschaftler mit Schaffenspotenzial und ließ ihn zu“, erzählt der Historiker.

Breslau wird in der Folge zur wissenschaftlichen Heimatstadt von Purkyně. Als Erstes erforscht er die Physiologie des Tastsinns und des Schwindelgefühls. 1831 bittet er darum, das erste preußische Institut für Physiologie einrichten zu dürfen. Bis es dazu kommt, sollen aber noch weitere sieben Jahre ins Land streichen. Dennoch schafft er für seine Pläne bald schon ein Mikroskop an. In einem Brief äußert er sich begeistert darüber:

„Mit der Acquisition des Plößl'schen Mikroscopes im Sommer 1832 begann für meine physiologische Wirksamkeit eine neue Epoche. Jeder, der das Mikroscop ernstlich in Gebrauch gezogen, weiß, daß unser Auge dabei eine Potenzirung erlangt, die alle Grenzen des gewöhnlichen Sehens durchbricht und allenthalben neue Welten entdecken läßt. Mit wahrem Heißhunger durchforschte ich nun in kürzester Zeit alle Gebiete der Pflanzen- und Thierhistologie und erlangte die Ueberzeugung der Unerschöpflichkeit des neu gewonnenen Stoffes.“

Foto: Wikimedia Commons
Eine seiner wegweisenden Entdeckungen ist die der Schweißdrüsen. Allgemein leistet er Bahnbrechendes in der anatomischen Gewebelehre. Die Ehrungen folgen auf den Fuß, so ernennen ihn zahlreiche Gelehrten-Gesellschaften zum Mitglied, wie etwa die Akademien in Berlin (1832), Petersburg (1836), Paris (1839) und Wien (1848) sowie die Londoner Royal Society (1850). Bei seiner Arbeit ist der Professor fast schon ein Besessener, zugleich geht er äußerst effizient vor. Otakar Brázda:

„Wenn er sich mit einem wissenschaftlichen Problem beschäftigte, dann stellten sich ihm auf der Hälfte des Weges meist weitere Fragen. Er gab dann für die genaue Erforschung des ursprünglichen Problems die Richtung vor und legte die Arbeiten in die Hände seiner Assistenten oder Studenten. Selbst nahm er sich hingegen des neuen Forschungsgegenstandes an. Purkyně suchte also ständig nach neuen Erkenntnissen. Er schrieb auch, dass er das Verfassen von Lehrbüchern und das Wiederkäuen von bekannten Dingen abstoßend finde.“

Private Schicksalsschläge

Julie Purkyně-Rudolphi  (Foto: Wikimedia Commons)
Während Purkyně in der Wissenschaft Erfolge feiert, muss er im privaten Leben einige Schicksalsschläge hinnehmen. 1832 sterben seine beiden Töchter bei einer Choleraepidemie, und drei Jahre später verliert er auch seine Frau. Von den beiden Söhnen überlebt nur der ältere seinen Vater. Emanuel Purkyně wird später dann selbst Professor für Naturwissenschaften.

Doch zurück zu Jan Evangelista. Bereits 1823 erregt der noch junge Gelehrte sogar die Aufmerksamkeit von Goethe. Zwar besucht der Dichter aus Weimar häufig das böhmische Bäderdreieck, und er tauscht sich dort auch gerne mit Experten aus den Naturwissenschaften aus. Doch in diesem Fall entsteht der Kontakt auf andere Weise. Ausgangspunkt ist die Dissertationsarbeit von Purkyně.

„Diese war eine Abhandlung über das Sehen in subjektiver Hinsicht. Purkyněs Dissertation wurde in Europa herumgereicht. Und auch Wissenschaftler in Berlin bekamen sie auf den Tisch. Sie wussten, dass sich Goethe für einige der Fragen aus der Dissertation interessierte und machten ihn darauf aufmerksam. Der Dichter las die Arbeit dann wohl mit großem Interesse. Das zeigt ein Exemplar des Textes, das in Weimar lagert und mit handschriftlichen Anmerkungen von Goethe versehen ist. Als Purkyně dann in Berlin für die Professur in Breslau vorsprach, vermittelten Freunde bei der Rückreise nach Prag einen Besuch in Weimar. Der junge Wissenschaftler blieb zwei Tage bei Goethe, und der Dichter äußerte sich später mit großer Anerkennung über den neuen Bekannten“, so Brázda.

Jan Evangelista Purkyně ist selbst ein großer Bewunderer Goethes. Deswegen übersetzt er auch dessen Werke ins Tschechische sowie Texte von Schiller. Zudem hat der Wissenschaftler eine eigene poetische Ader und verfasst Gedichte.

Foto: Kristýna Maková
Eines plagt Purkyně aber all die Jahre lang: nicht in seiner Heimat arbeiten zu können. Erst 1849, als er bereits jenseits der 70 ist, erhält er einen Ruf an die Prager Karlsuniversität. Dort übernimmt er die Leitung des neugegründeten Physiologischen Instituts. Zurück an der Moldau erlahmt jedoch sein wissenschaftliches Interesse. Stattdessen engagiert er sich gesellschaftlich und politisch. Begeistert tritt er dabei für die Idee des Panslawismus ein. Unter anderem wird er für die sogenannten Jungtschechen in den Böhmischen Landtag gewählt. Otakar Brázda:

„Purkyně engagierte sich im Tschechischen Verein und war bei der Gründung des Nationalmuseums aktiv. Er pflegte enge Kontakte zu Palacký und tat sich sehr hervor bei der Verteidigung der tschechischen Interessen. Damit machte er sich bei den österreichischen Behörden nicht gerade beliebt. Er stand unter polizeilicher Aufsicht und galt als politisch verdächtig. Selbst nahm er dies aber mit Humor.“

Der Ruhm verhindert wohl, dass der altgediente Forscher in irgendeiner Weise strafrechtlich belangt wird. Stattdessen erhält er kurz vor seinem Tod sogar die Ritterwürde. Jan Evangelista Purkyně stirbt am 28. Juli 1869 im Alter von 82 Jahren.