Mehr Naturzone, weniger Autos
Im Riesengebirge besteht der älteste Nationalpark Tschechiens. Er wurde vor 55 Jahren gegründet, kurz nachdem auf der angrenzenden polnischen Seite auch schon ein Nationalpark ausgerufen wurde. In den vergangenen Jahren steigen die Besucherzahlen, die Touristen kommen aus ganz Europa. An manchen schönen Sommertagen herrscht auf der Schneekoppe oder an den Elbquellen ein Betrieb wie auf dem Prager Wenzelsplatz. Seit Jahresbeginn hat der tschechische Nationalpark Riesengebirge einen neuen Leiter. Was sind seine Pläne?
Die Gegend ist sehr rau, in den höchsten Lagen gleicht das Klima dem an der Küste von Grönland. Besonders wertvoll sind die Reste arktischer und alpiner Tundra aus den Eiszeiten in Mitteleuropa. Deswegen wachsen hier Pflanzenarten nebeneinander, die ansonsten mehrere tausend Kilometer voneinander getrennt sind, so zum Beispiel Moltebeeren wie in Skandinavien und Bergkiefern wie in den Alpen.
Einige Arten kommen ausschließlich im Riesengebirge vor, wie etwa die Böhmische Glockenblume oder die Sudeten-Zwergmispel, ein Strauch. Neben dem Naturschutz gehört aber auch zu den Aufgaben des Nationalpars, die Kulturlandschaft der Gegend zu erhalten. Robin Böhnisch ist seit Anfang des Jahres der neue Leiter des Nationalparks:„Die Kulturlandschaft ist eine der wertvollsten Erbschaften des Riesengebirges. Zerstreute Siedlungen und einzelne Häuser, im örtlichen Dialekt Bauden genannt, sind Zeugen des harten Lebens unserer Vorfahren. Rund um diese Bauden befinden sich bis heute Bergwiesen, auf denen die Bewohner früher ihr Vieh geweidet haben. Diese Wiesen sind zwar Menschenwerk, aber wichtig für die Natur: Dort lässt sich eine Palette kostbarer Pflanzenarten und Lebewesen finden, die zum Teil anderswo nicht vorkommen. Diese Wiesen sind auf unsere Pflege angewiesen, sonst würden sie verschwinden. Das ist einer der Schätze des Riesengebirges.“
Artenerhalt auf Bergwiesen
Die sogenannte Baudenwirtschaft gab es vor allem im 18. und 19. Jahrhundert. Wegen der harten äußeren Bedingungen verlor sie jedoch an Bedeutung, sie erwies sich auf Dauer als unrentabel. Bereits an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert wurden die Bauden für den wachsenden Tourismus umgebaut. Einige von ihnen werden bis heute als Berghotels und Gaststätten betrieben, nur der Beiname Baude erinnert an ihre historische Bedeutung. Die Bergwiesen überwucherten und verwuchsen teils mit dem Wald. Die Nationalparkverwaltung ließ einige frühere Wiesen wieder roden und verwandelte sie zurück in ihre ursprüngliche Form. Auf etwa 50 Hektar der gerodeten Flächen mussten auch invasive Pflanzen bekämpft werden, natürlich ohne Chemie. Nicht alle Besucher seien mit diesen Rodungsaktionen glücklich gewesen, aber unbewaldete Flächen seien für die Natur eben auch wichtig, betont Böhnisch:„Die Erneuerung der waldlosen Flächen läuft weiter. Im vergangenen Jahr wurden mithilfe von EU-Geldern etwa 490 Hektar Wiesen gepflegt. Im höchstgelegenen Gebiet bemühen wir uns, das Krummholz zu reduzieren, das dort früher sogar absichtlich angepflanzt wurde. Die niedriger gelegenen Wiesen betreiben wir wieder als Weiden. Am Projekt nehmen 48 örtliche Landwirte teil, jeder von ihnen kümmert sich um eine konkrete Wiese. Mehr als die Hälfte der Flächen befindet sich oberhalb 1000 Metern Meereshöhe. Alle Flächen werden zu einem Teil gemäht, zum anderen von Kühen und Schafen abgeweidet. Die Tiere versorgen die Wiesen mit wertvollen Nährstoffen, außerdem sind sie die besten ‚Rasenmäher‘ für den Erhalt artenreicher Wiesen.“Der neue Nationalparkchef will aber auch die Pflege des Waldes verbessern, wie es eine 2017 verabschiedete Gesetzesnovelle vorschreibt. Dahinter steht, dass nicht nur im Riesengebirge, sondern in allen vier tschechischen Nationalparks die Zonierung nach internationalen Kriterien vereinheitlicht werden soll.
In diesem Jahr sind die Verwaltungen der Nationalparks verpflichtet, einen Pflegeplan mit einer neuen Abgrenzung der Zonen zu erstellen. Wenn das Umweltministerium diesen Plan bewilligt hat, werden die Abgrenzungen mindestens für 15 Jahre gelten. Im Riesengebirge beträgt die Naturzone, in der jeder menschliche Eingriff verboten ist, derzeit fast 20 Prozent der Nationalparkfläche. In weiterer Zukunft sollen über die Hälfte der Fläche zur Naturzone gehören. Bis wann das erreicht werden soll, dafür gibt es bisher kein Datum. Doch dem neuen Gesetz nach muss die Parkverwaltung schon jetzt auf dieses Ziel hinarbeiten. Im Riesengebirge gehören die unbewaldeten Gipfellagen zur Naturzone, die Wälder aber noch nicht, wie der Nationalpark-Direktor erläutert.„Wir beginnen in der heutigen Zone Nummer zwei, die nun ‚naturnahe Zone‘ heißen wird. Diese wurde bislang zwar eingeschränkt, aber doch wirtschaftlich genutzt, das gefällte Holz konnten wir verkaufen und dadurch unsere Einnahmen aufbessern. Dieses Einkommen hat in den vergangenen Jahren etwa ein Viertel unserer Ausgaben gedeckt, damit können wir aber nicht mehr rechnen. Unsere Eingriffe im Wald dürfen nur noch der natürlichen Erneuerung des Bestandes helfen. Fällen wir also einige Bäume, um andere, wünschenswertere Arten zu pflanzen, müssen wir das gefällte Holz im Wald liegen lassen. Schritt für Schritt werden wir den Wald in der naturnahen Zone der Natur überlassen.“
Kritischer Skibetrieb
Wie in allen Nationalparks dreht sich auch im Riesengebirge vieles um den Tourismus. Die Zahl der Besucher steigt jedes Jahr um etwa 20 Prozent, der Druck auf das Anlegen neuer Skipisten, Lifte, Parkplätze oder den Bau von Hotels ist enorm. Die Wintersportarten gehören zwar zur Geschichte des Riesengebirges, mehr touristisches Angebot sei aber mit dem Naturschutz nicht vereinbar, warnen Experten. Seit Jahren gibt es im Nationalpark eine Expertengruppe, die alle beantragten Bauprojekte beurteilt und eine Kompromisslösung sucht. Viele Vorhaben musste sie aber zurückweisen. Robin Böhnisch will bei diesem Vorgehen bleiben:„Bei der Zahl der Skigebiete haben wir bereits die Grenze erreicht. Ob sich einige Gebiete miteinander verbinden lassen, ohne dass die Natur geschädigt wird, das muss von Fall zu Fall beurteilt werden. So ist auch die frühere Leitung des Parks vorgegangen, und daran will ich nichts ändern. Ich möchte jedoch den Autoverkehr im Nationalpark stärker regulieren. Auf vielen markierten Wanderwegen müssen Fußgänger zu oft Autos ausweichen. In der ersten Phase wollen wir zwei problematische Abschnitte für Autos sperren und die Kapazitäten einige Parkplätze reduzieren. Zugleich finden wir es sinnvoll, die geltenden Ausnahmen zu überprüfen und mit den Gastwirten über eine mögliche Reduzierung des Lieferverkehrs zu sprechen. Dieses Projekt hat bereits mein Vorgänger begonnen. Positiv finde ich, dass es in enger Zusammenarbeit mit den Kommunen realisiert wird.“
Das Ziel sei nicht, die Besucher aus dem Riesengebirge zu vertreiben, versichert der Direktor. Ganz umgekehrt: Um die stark besuchten Orte zu entlasten, soll auch für abgelegene, aber nicht weniger attraktive Trassen geworben werden. Wer zum ersten Mal das Riesengebirge besucht und auf Tschechiens höchsten Berg, die Schneekoppe (Sněžka, 1603 m. ü. M.) wandert oder zur Elbquelle, dürfte geschockt sein von den Menschenmassen. Da kommen neue „Geheimtipps“ für Ausflüge unterschiedlicher Länge und Schwierigkeit gerade recht. Sie sollen noch vor der Sommersaison ausgearbeitet sein. Für den Tourismus nicht unattraktiv dürfte auch ein anderer Plan sein. So soll der Nationalpark um einige Teile des angrenzenden Naturschutzgebiets „Isergebirge“ erweitert werden. Darüber wird schon seit vielen Jahren eher nebenher diskutiert, der neue Direktor will das nun forcieren:„In der ersten Etappe könnten sich die höchstgelegenen Teile des Isergebirges dem Nationalpark anschließen. Sie sind dem Riesengebirge sehr ähnlich, und ein Verzicht auf menschliche Eingriffe lässt sich dort relativ einfach umsetzen. Diese Idee kennen sowohl die Kreisverwaltung als auch die betroffenen Kommunen. Sie dürften davon auch wirtschaftlich profitieren, denn bekanntlich ist der Nationalpark eine Marke, die Touristen anzieht. Ich habe die Erweiterung auch in meinem Konzept bei der Bewerbung um die Direktorenstelle präsentiert. Die entsprechende Entscheidung müssen natürlich die Politiker treffen. Vielleicht passiert es nicht in den kommenden fünf Jahren, aber ich will dieses Thema öffnen.“Robin Böhnisch ist übrigens ehemaliger Parlamentsabgeordneter für die Sozialdemokraten. Er wurde 1976 im Riesengebirge geboren und ist dort auch aufgewachsen. Wie der Name verrät, hat seine Familie deutschböhmische Wurzeln. Böhnischs Vorfahren waren in der Zwischenkriegszeit aktiv in der Deutschen sozialdemokratischen Arbeiterpartei in der Tschechoslowakischen Republik (DSAP). Seine Familiengeschichte müsse er jedoch noch genauer erforschen, bekennt der Leiter des Nationalparks.