Massentourismus und Klimawandel: Das Riesengebirge verändert sich und braucht mehr Schutz

Riesengebirge (Foto: Guillaume Narguet)

Das Riesengebirge war in diesem Sommer neben dem Böhmerwald das beliebteste inländische Urlaubsziel der Tschechen. Die neuen Besucherrekorde stellen für die Verwaltung des Nationalparks eine Herausforderung dar. Denn falsches Verhalten der Touristen kann die einzigartige Natur vor Ort zerstören. Und dann gibt es da auch noch den Klimawandel, der die Flora und Fauna langsam aber sicher verändert.

Michal Skalka und Daniel Bílek  (Foto: Romana Marksová)

„Eines der größten Probleme ist für uns, die Besucher auf den vorgesehenen Wegen zu halten. Die Herausforderung besteht darin, ihnen die Gründe für die Vorschrift so zu erklären, dass sie von selbst nicht mehr dagegen verstoßen wollen.“

Das bereitet sicher nicht nur Michal Skalka Kopfzerbrechen. Der Leiter der ökologischen Bildungsprogramme bei der Nationalparkverwaltung blickt auf eine so erfolgreiche wie herausfordernde Besuchersaison im Riesengebirge zurück. Vor dem Problem des Massentourismus stünden seine Kollegen weltweit, sagt er:

Foto: Maciej Brencz,  Flickr,  CC BY 2.0

„Der tschechische Teil des Riesengebirges gehört zu den fünf am meisten belasteten Nationalparks der Welt, wenn es um die Besucherzahl je Quadratkilometer geht. Der Park mit der höchsten Besucherbelastung ist der Karkonoski Park Narodowy, die polnische Seite des Riesengebirges. Also: Houston, wir haben ein Problem! Hier sind zu viele Leute.“

Mit 363 Quadratkilometern ist das Riesengebirge im Weltvergleich ein eher kleiner Nationalpark. Immerhin ist er aber nach dem Böhmerwald der zweitgrößte in Tschechien. 1963 ist das nördliche Mittelgebirge des Landes zum nationalen Schutzgebiet erklärt worden.

Schneekoppe  (Foto: Guillaume Narguet)

Der höchste Bergzug Mitteleuropas nördlich der Alpen beherbergt eine Reihe seltener Ökosysteme. Weite Teile seiner reichen Natur werden zudem von der Unesco als Biosphärenreservat geschützt. Einzigartig ist das Tundragebiet auf den Bergkämmen des Riesengebirges. Um es vor dem erwarteten Besucheransturm zu schützen, entschloss sich die Parkverwaltung zu Beginn der Sommerferien zu einem radikalen Schritt.

„Um den Gipfel der Schneekoppe herum haben wir einen Zaun aus Netzen gezogen, der für großes Aufsehen gesorgt hat. Das sollte eher ein Kommunikationsmittel sein, als dass die Menschen tatsächlich und physisch daran gehindert werden sollten, geschützte Bereiche zu betreten.“

Eingezäunte Schneekoppe

Michal Skalka erklärt, dass er und seine Kollegen mit der Umzäunung die Debatte eröffnen wollten, wie die am meisten gefährdeten Gebiete geschützt werden können. Das ist ihnen gelungen. Die Medien haben breit darüber berichtet und das Thema Massentourismus aufgegriffen. Skalka liefert dazu konkrete Zahlen:

Gipfel der Schneekoppe  (Foto: Kateřina Kohoutová,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)

„Der Gipfel der Schneekoppe wird von vielen Menschen besucht. Am 12. September dieses Jahres haben wir 11.500 Besucher gezählt, an nur einem Tag. Das ist eine irre Zahl. Denn der Platz, der den Menschen da oben zur Verfügung steht, hat nur die Größe eines halben Fußballfeldes.“

Die Besucherzahlen eventuell zu regulieren, ist eine zweischneidige Angelegenheit. Schließlich ist das Riesengebirge als Naherholungsziel für alle da. Und die Parkverwaltung verdient mit den Touristen immerhin auch Geld. Skalka betont, dass es gar nicht darum gehe, ob eine Million mehr oder weniger Menschen die 1603 Meter der Schneekoppe besteigen. Ausschlaggebend sei vielmehr, ob sie die Besucherregeln einhalten:

Foto: ČT24

„Der einfache Besucher, der zum Ausflug ins Riesengebirge kommt, kann eigentlich nur zwei Dinge falsch machen: Er läuft dorthin, wo es verboten ist, verlässt also im geschützten Gebiet die vorgegebenen Wege. Oder er hinterlässt Müll.“

Wenn alle Touristen diese beiden einfachen Regeln einhalten würden, hätten Skalka und das Riesengebirge kein Problem. Aber dazu muss es eine gute Infrastruktur geben. Der Naturschützer räumt ein, dass es auf der Schneekoppe zum Beispiel nicht ausreichend Sitzbänke gibt, auf denen sich die Wanderer ausruhen können:

„Ein Grund dafür, dass die Leute die vorgeschriebenen Wege verlassen, ist ein Mangel an Sitzmöglichkeiten. Also setzen sie sich auf den Rasen, denn auf den Stufen wollen sie nicht sitzen.“

Das Problem dabei ist:

Lokale Art des Löwenzahns  (Foto: Radek Drahný,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)

„Dieser Rasen mag so aussehen, er ist aber kein gewöhnlicher Rasen. Dort gedeihen Pflanzen, die es nirgendwo sonst auf der Welt gibt. Die lokale Art des Löwenzahns wächst direkt auf der Schneekoppe und im Riesengrund. Woanders auf der Welt ist sie nicht anzutreffen. Der Ehrenpreis (ein Wegerichgewächs, Anm. d. Red.) ist nur auf der Schneekoppe zu finden und nirgendwo anders in Tschechien.“

Nun ist auch die Natur in gewisser Weise robust und hat ihre Methoden, sich selbst zu regenerieren. Vegetationszeitraum nennt man die Phase, in der sich ein Naturgebiet von der Nutzung durch die Menschen erholt. In dieser Zeit wachsen Pflanzen und blühen auf, erneuert sich zertrampelter Rasen und zersetzen sich auch biologische Abfälle. Im Prager Park Stromovka zum Beispiel kommen dafür im Jahr über 200 Tage zusammen. Dem Kamm des Riesengebirges ist laut Michal Skalka aber nur ein Vegetationszeitraum von jährlich 70 Tagen vergönnt.

Gebäude der Nationalparkverwaltung  (Foto: Romana Marksová)

Darum ist andauernde Aufklärungsarbeit geboten. Die Bildungsprogramme der Nationalparkverwaltung erfreuen sich bei Schulen großer und andauernder Beliebtheit. Der Rest der Bevölkerung sei schwieriger zu erreichen, beklagt der Lektor Daniel Bílek:

„Was unser Angebot für die Öffentlichkeit angeht, da gibt es noch Potential, und es könnten mehr Leute kommen. Früher hatten wir mehr Besucher, das hat abgenommen. Vielleicht ist es ein gesellschaftlicher Trend, dass Veranstaltungen zum Thema Natur mal in Mode waren, aber jetzt dafür kein tieferes Interesse mehr besteht.“

Verschiebung von Lebensräumen

Dabei ist ökologische Bildung wichtig – nicht nur für den Aufenthalt als Tourist im Riesengebirge, sondern auch für die Lebensführung der Menschen allgemein. Der Klimawandel und die Erderwärmung werden schließlich von uns selbst verursacht. Die Auswirkungen wiederum sind vor allem in der Natur zu beobachten. Allerdings gibt es dabei auch positive Aspekte. Laut Bílek sorgt nicht zuletzt die Erderwärmung dafür, dass sich im Nationalpark Organismen ansiedeln, die bisher eher in wärmeren Gebieten der Republik zu finden waren. Das betrifft etwa bestimmte Algenarten oder die Graue Gartenwanze.

Riesengebirge  (Foto: Magdalena Kašubová)

Nicht immer ist das eine positive Entwicklung. Michal Skalka ergänzt, dass es noch vor 30 Jahren keine Zecken gab auf Höhen ab 1000 Meter, sie heute aber dort ganz selbstverständlich sind. Mit der Verschiebung von Lebensräumen reagiert die Natur auf ihre Weise auf ein verändertes Klima.

„Einen Unterschied macht es auch, wie hoch die Durchschnittstemperatur auf dem Bergkamm ist. Sie steigt langsam an. Das ist ein echtes Problem, denn wenn die Durchschnittstemperatur steigt, steigen auch die Vegetationsmarken. Das heißt, die obere Grenze des Waldes verschiebt sich langsam aber sicher nach oben.“

Skalka führt weiter aus, dass sich die Wintersaison im Riesengebirge deutlich verkürzt hat. Schnee fällt später und oft in geringeren Mengen. Das mag in den Höhenlagen kein großes Problem sein. Wenn sich aber am Fuße des Gebirges, in den besiedelten Gebieten, die Durchschnittstemperatur um nur zwei Grad ändert, kann das für die Bewohner gefährlich werden:

Riesengebirge  (Foto: Guillaume Narguet)

„Es ist egal, ob auf dem Bergkamm minus 12 oder minus 15 Grad Celsius sind. Es ist aber nicht egal, ob es am Fuß des Bergs minus ein Grad oder plus ein Grad kalt ist. Im ersten Fall liegt der Schnee dort vier Monate lang und taut dann langsam weg. Im zweiten Fall schmilzt er früher und fließt auf einmal ab. Das macht einen großen Unterschied.“

Ein weiteres Problem zeigt sich bei den Fichtenwäldern des Riesengebirges. Die längere Sommersaison lässt sie schnell und länger wachsen. Erst wenn es abkühlt, verholzt ihre Außenschicht und verhärtet den Stamm. Bei einem verkürzten Verholzungsprozess ist der Baum schwach und zerbrechlich. Veränderte Niederschlagsverhältnisse tun dann ihr Übriges, so Skalka:

„Auch die Häufigkeit der Niederschläge steigt. Zwar fällt im Jahr etwa genauso viel Regen wie vor 10 oder 40 Jahren, da gibt es nur einen minimalen Rückgang. Aber jetzt sind die Schauer oft sehr intensiv, und in kurzer Zeit fällt viel Regen. Das verursacht Überschwemmungen oder auch schwere Schneestürme. Wenn das auf die zerbrechlichen Fichten trifft, führt das zum Baumbruch.“

Otter  (Foto: Štěpánka Budková)

Trotz Klimawandel und Massentourismus belebt sich die Fauna des Riesengebirges auch wieder. Wölfe, Luchse und Fischotter kehren zurück. Daniel Bílek erläutert, dass es in den Flüssen wieder mehr Fische und damit Nahrung etwa für den Otter gäbe. Und weiter:

„Es ist schon komisch: Obwohl mehr Menschen hier sind, kehren einige Tierarten nach 150 Jahren Abwesenheit wieder zurück. Das liegt zum einen an der Zunahme ihrer Population in den angrenzenden Gebieten, zum Beispiel der Wölfe in Deutschland und Polen. Zum anderen fangen die Tiere an, sich an die Menschen zu gewöhnen und sich ihnen anzupassen. Sie fürchten sich weniger vor den Menschen.“

Borkenkäferschäden  (Foto: Kateřina Kohoutová,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)

Eine Rolle spielt außerdem, dass die Parkverwaltung die Wälder des Riesengebirges zu ihrer ursprünglichen Zusammensetzung zurückzüchten will. Mit weniger Fichten und einer abwechslungsreicheren Bepflanzung kann dann auch der Borkenkäfer nicht mehr so viel Schaden anrichten.

Arbeit gibt es also genug, um den Nationalpark zu schützen und nicht nur für die nächste Touristensaison, sondern für die nachkommenden Generationen zu erhalten. Michal Skalka setzt dabei auf die gute Zusammenarbeit mit den Besuchern:

„Seit etwa zehn Jahren bemühen wir uns sehr um eine gute Kommunikation, und das nicht nur mit den Besuchern, sondern auch mit den Anwohnern. Wir wollen gut und durchdacht das vermitteln, was die Menschen über das Riesengebirge wissen müssen.“

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Autoren: Daniela Honigmann , Romana Marksová
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