Meinungen zur EU-Erweiterung
Chancen und Risiken, das sind wohl die zwei Wörter, die man am letzten Wochenende in Verbindung mit der EU-Erweiterung im In- und Ausland zu hören bekam. Jitka Mladkova hat dazu Meinungen gesammelt:
"Der tatsächliche Wirtschafts- und Handelsraum der EU weitet sich aus. Das ist gerade für die Deutschen eine ungeheure Chance. Wenn man sieht, dass über 60 Prozent des Handelsvolumens mit der EU nach Deutschland geht, dass die EU fast 70 Prozent des gesamten Außenhandels bis heute für die tschechische Seite brachte, dann wird damit schon deutlich, welches Gewicht da ist. Ich sage immer, Leute, ihr müsst sehen, dadurch, dass die Tschechische Republik hereinkommt, steigen gerade für die Deutschen die Chancen, für die deutsche Wirtschaft usw. Wobei ich natürlich auch die Gefahren sehe."
Die Gefahr Nummer Eins, die mittlerweile schon in aller Munde ist, heißt: die Verlagerung von Arbeitsplätzen aus Deutschland in eines der EU-Neuländer, das mit offenen Armen und vor allem mit Steuergeschenken aufwartet. Um so wichtiger sei es, so Helmut Werner, dass man die Chance zu einer echten Kooperation findet. Und dafür bringen die Tschechen gute Voraussetzungen mit, behauptet er. Durchaus positiv sieht den EU-Beitritt Tschechiens auch der Bürgermeister im bayrischen Furth im Wald, Reinhold Macho:
"Die Einheit wird in der Vielfalt liegen. Ich muss sagen, wer die Tschechische Republik kennt, wer Böhmen kennt, wer Mähren kennt, Schlesien kennt, also der weiß, welche kulturelle Vielfalt dieses Land hat. Dann auch welche industrielle Tradition dieses Land hat. Also ich muss auch sagen, welchen Mut die Bürger dieses Landes z.B. im Jahre 1989 entwickelt haben. Also das einzubringen in die Wohlstandsgesellschaft des Westens, das halte ich schon für etwas ganz Wichtiges."
Schriftsteller, Dichter, Diplomat, Tscheche und Deutscher und auch Weltbürger - das alles in einer Person: Jiri Grusa, ehemaliger Botschafter Tschechiens in Bonn und Wien. Nun, was bringen seiner Meinung nach die Tschechen mit in die EU?"Wir bringen den Europäern die echte europäische Mitte zurück. Wie Sie wissen, Prag war vor Jahrhunderten die Hauptstadt Europas. Hier ist die erste europäische Verfassung entstanden. Das ist eigentlich keine schlechte Perspektive. Damit will ich nicht sagen, dass wir das alles hier wieder haben möchten. Ich sage nur, dass ohne Prag und ohne das slawische Element, das jetzt dazu kommt, Europa nicht komplett war."
Erst nach der politischen Wende von 1989 durfte die alte Adelsfamilie Mensdorff-Pouilly offiziell wieder nach Tschechien zurückkehren und sich in ihrem einst von den Kommunisten beschlagnahmten Schloss im südmährischen Boskovice erneut niederlassen. Von hier aus sehe man die EU noch lange nicht, da werde sich eine Zeitlang nicht viel ändern, sagte mir kürzlich Herr Hugo Mensdorff-Pouilly. Aber auch er selbst sieht keinen Grund zur Begeisterung, denn ...
"Ich finde es ist anscheinend keine andere Möglichkeit als in die EU hineinzukommen. Ob es das Glücklichste ist, wird sich erst in ein paar Jahrzehnten merkbar machen. Ich werde es nicht mehr erleben, da wird schon auch die heutige junge Generation alt. Dann wird man erst eigentlich merken, ob es gut war. So wie es heute ist, damit bin ich nicht zufrieden. Die Administrative in Brüssel finde ich zu übertrieben und zu weitgehend."
Kurzum, Tschechiens EU-Beitritt gilt wohl in allen Branchen der heimischen Wirtschaft und überhaupt auf allen Gebieten des Lebens als eine Herausforderung. Stellvertretend für diejenigen, die der neuen Zukunft pragmatisch entgegensehen, brachte es der Chef der tschechischen Weinbauer- und Winzerunion, Jiri Sedlo, auf folgende Formel:
" Da ist keine Wahl. Da sind die Schienen, auf welchen der Zug fahren wird. Wer sich anpasst, der passt sich eben an, und wer nicht, der wird überrollt."