Minderheiten in der Tschechischen Republik (4): Die Roma-Minderheit

Knapp 12000 Menschen - etwa 0,1 Prozent der Gesamtbevölkerung - haben sich bei der letzten Volkszählung 2001 in Tschechien zur Roma-Minderheit bekannt. Allerdings: Die tatsächliche Zahl der Roma, die heute in der Tschechischen Republik leben, liegt vermutlich weit höher und bewegt sich Schätzungen zufolge zwischen 100.000 und 250.000, also zwischen 1% und 4% der Gesamtbevölkerung.

Knapp 12000 Menschen - etwa 0,1 Prozent der Gesamtbevölkerung - haben sich bei der letzten Volkszählung 2001 in Tschechien zur Roma-Minderheit bekannt. Allerdings: Die tatsächliche Zahl der Roma, die heute in der Tschechischen Republik leben, liegt vermutlich weit höher und bewegt sich Schätzungen zufolge zwischen 100.000 und 250.000, also zwischen 1% und 4% der Gesamtbevölkerung. Um sich das Ergebnis der Volkszählung erklären zu können, muss man wissen, dass die Erfassung der nationalen Minderheiten aufgrund ihres eigenen Bekenntnisses erfolgte und sich offensichtlich zahlreiche Roma aus Furcht vor Diskriminierung lieber zur tschechischen Nationalität bekannten.

Integration unter Aufgabe der eigenen nationalen Zugehörigkeit? Ivan Vesely, Vorsitzender der Roma-Vereinigung "Dscheno" ("Mensch") meint, dass die Roma ruhig etwas mehr Stolz an den Tag legen und aktiv gegen Diskriminierung vorgehen könnten:

"Der Diskriminierte muss selber entschlossen sein, seine Interessen zu verteidigen, wenn er wirklich eine gleichberechtigte Stellung erreichen und nicht mehr diskriminiert werden will. Er kann er sich nicht damit zufrieden geben, ein Objekt karitativer Tätigkeit zu sein.. Er muss sich emanzipieren, sich selbstbewusst verhalten und aufhören, sich für seine Verschiedenheit zu schämen, sondern umgekehrt stolz darauf sein."

Und Roma-Priester David Dudas sprach anlässlich des internationalen Roma-Tages am 8. April folgenden Wunsch aus:

"Ich würde den Roma vor allem wünschen, dass sie eine gewisse Passivität verlieren, eine allgemeine Passivität, damit sich alle Roma vereinen. Denn in der Einheit liegt die Kraft."

Ungeachtet einer Vielzahl von Roma-Vereinigungen gibt es in Tschechien bislang keine Organisation, die die Interessen der Roma in ihrer Gesamtheit vertreten würde. Dennoch ist der Vorwurf der mangelnden Organisiertheit fehl am Platz, meint Rudko Kawczynski vom Roma National Congress:

"Es kann nicht Sinn der Sache sein, dass ich freiwillig das Land verlasse, das mich loswerden will. Sondern ich muss hier darum kämpfen, dass sich etwas verändert. Und das bedeutet, dass hier eine zivile Gesellschaft entstehen muss, dass man sich an Recht und Ordnung hält. Das Rassismus zu einem Unrecht erklärt wird, dass Verfolgung zu einem Unrecht erklärt wird. Und Verfolgung bedeutet nicht nur, jemanden totzuschlagen. Es gibt eine verstecktere Form von Verfolgung, eine Ausgrenzung, Entmenschlichung. Da kann ich nicht, wie man es hier in diesem Staat macht, von oben irgendwelche Institutionen einzuberufen, wie diesen Beirat, in den ich dann Leute hineinberufe. Oder irgendwelche Mediatoren einzusetzen. Es geht nicht darum, an den Opfern herumzudoktorn, sondern an der Gesellschaft - und zwar zusammen mit den Menschen, die darin leben. Die Roma sind nicht nur Staatsbürger, sondern sie sind ein Teil dieser Gesellschaft, ob das nun den Tschechen gefällt oder nicht, und das seit 600 Jahren. Und wenn man es in 600 Jahren nicht geschafft hat, diese Minderheit zu integrieren, dann ist etwas falsch an der Gesellschaft, nicht an den Opfern."

Aufsehen erregende Fälle, die die virulente Frage nach dem Verhältnis der Tschechen zu ihrer Roma-Minderheit publik machten, gab es in den letzten Jahren genug. Erinnert sei beispielsweise an den Bau eines Zaunes im nordmährischen Usti nad Labem/ Aussig, durch den die Stadtverwaltung die in der Maticni-Straße lebenden Tschechen vor ihren Roma-Nachbarn auf der anderen Straßenseite glaubte schützen zu müssen.

Oder an die wiederholten Kontrollen britischer Immigrationsbehörden auf dem Prager Flughafen, in deren Folge in den vergangenen Jahren zahlreichen Roma hierzulande die Ausreise nach Großbritannien verwehrt wurde. Gleichwohl bemüht sich die tschechische Regierung, durch unterschiedliche Programme, Anti-Rassismus-Kampagnen sowie durch die von Rudko Kawczynski erwähnten Roma-Assistenten und Mediatoren, die Integration der Roma in die Mehrheitsgesellschaft zu fördern.

An den drängendsten Problemen der Arbeitslosigkeit, der Ausbildungsmöglichkeiten sowie an dem Wohnproblem der Roma hat sich jedoch seitdem nichts Grund legendes verändert. Ivan Vesely bringt es auf die wenig optimistische Formel:

"Trotz der laut deklarierten Programme gilt im realen Leben genau das Gegenteil: Ausgrenzung, Marginalisierung und im Ergebnis eine offene Segregation, mit allem, was dazu gehört, einschließlich Ghetto- und Slumbildung. "

Ein wichtiger Grund für die hohe Arbeitslosigkeit unter den Roma ist in der mangelnden Schulbildung zu suchen. In den allermeisten Fällen werden Roma-Kinder in der Tschechischen Republik auf Sonderschulen geschickt, da sie mangels Sprachkenntnissen und aufgrund eines anderen Umfeldes die Aufnahme in eine "normale" Grundschule nicht schaffen. Die Grundschule in Predlice, einem Vorstadtbezirk des nordböhmischen Usti nad Labem/ Aussig bemüht sich diesem Zustand gezielt entgegenzuwirken, und zwar durch den Einsatz von Roma-Assistenten, die zwischen den tschechischen Lehrern und den Roma-Kindern vermitteln. Für die Kinder haben die Assistenten eindeutig eine Vorbild-Funktion, beobachtet Schulleiter Oldrich Bartak:

"Wenn die Schüler in der Schule einen Roma oder eine Roma sehen, dann ist das für sie ein hervorragendes Beispiel dafür, dass Roma in der Schule arbeiten können. Auch dass sich Roma bemühen, mit sog. Weißen zusammenarbeiten, wirkt sicherlich positiv."

Doch die grundsätzliche Frage bleibt bestehen, warum es hierzulande eigentlich die gängige Praxis ist, dass Roma-Kinder in der Regel auf Sonderschulen landen. Um diese Frage ist am Montag in der tschechischen Regierung ein Streit entbrannt. Der vom Regierungsbeauftragen für Menschenrechte, Jan Jarab, vorgelegte Bericht zur Lage der Menschenrechte im Landes stieß bei Schulministerin Petra Buzkova auf Kritik, und zwar vor allem in dem Teil, der die Bildung der Roma betrifft. Buzkovas Meinung sind die Roma-Eltern selbst mit den Sonderschulen einverstanden. Der Menschenrechtsbeauftragte Jan Jarab setzte dem entgegen, dass viele Roma genauso gut auf gewöhnliche Grundschulen gehen könnten und die Eltern die Sonderschulen allein aus dem Grund nicht ablehnen, weil die Kinder dort in der Gesellschaft anderer Roma-sind. Die Diskussion über den Menschenrechtsbericht wurde jetzt erst einmal bis Mitte Mai auf Eis gelegt.

Neben einem veränderten Bewusstsein der Gesellschaft und verbesserten Ausbildungsmöglichkeiten, muss dringend auch eine entsprechende Legislative her, meint Schulleiter Oldrich Bartak. Rudko Kawczynski bringt es auf den Punkt:

"Rassismus, Überfälle, rassistische Ausgrenzungen sind Rechtsverstöße. Das müssen viele einfach auch in diesem Staat begreifen. Die beste Anti-Rassismus-Kampagne ist das Recht, ein Rechtsstaat. Das heißt, wenn jemand jemand anders diskriminiert, gehört er vor Gericht. Das schärft ein Unrechtsbewusstsein."