Miroslav Zikmund zum 85. Geburtstag: Ein Rückblick auf den "Bericht No. 4"

Miroslav Zikmund

Reisen durch vier Kontinente - die erste durch Afrika in den Jahren 1947-1950 mit dem famosen Tatra 87, 22 Buchpublikationen in 143 Auflagen, insgesamt 6,5 Millionen Bände, 10 Reiseberichte und Bildbände, 702 Reportagen für den Tschechoslowakischen Rundfunk allein von der Afrika-Reise, außerdem unzählige Vorträge im In- und Ausland, Ansprachen und Auftritte wohl in allen Medien des Landes - und und und ... Das alles haben die bekanntesten tschechischen Weltreisenden Jiri Hanzelka und Miroslav Zikmund auf ihrem Konto. Der jüngere von den beiden, Hanzelka, ist am 16.Februar 2003 im Alter von 83 Jahren verstorben, Zikmund feierte am 14.Februar seinen 85.Geburtstag. Über das Leben der beiden Globetrotter könnte man vieles und vor allem lange erzählen. Wenigstens einen kurzen Ausschnitt, erzählt von Miroslav Zikmund persönlich, können wir Ihnen jetzt anbieten. Jitka Mladkova hat ihn im südmährischen Zlin besucht.

Miroslav Zikmund und Jitka Mladkova
Es war in Sibirien. Zikmund und Hanzelka flogen aus Krasnojarsk Richtung Norden über den Polarkreis nach Norilsk. Sie wussten sehr gut, dass der Großteil der Menschen dort Zwangsarbeit leistete, und zwar bei der Förderung einer ganzen Palette von so genannten Polymetallerzen, auf die das sowjetische Weltraumprogramm angewiesen war. Zikmund hatte auch diesmal eine gute Landkarte, in die er, wie gewohnt, verschiedene Notizen, Daten, Höhenangaben u.ä. wie in ein Tagebuch eintragen, oder wie er sagt, kritzeln wollte. So einfach war das aber nicht:

"Wir flogen mit einer Antonov. Ich saß am Fenster, zog meine amerikanische Landkarte heraus, notierte mir die Zeit des Flugzeugstarts und beobachtete, wie sich der Jenissej unter uns durch die Gegend schlängelte. Spätestens nach einer Viertelstunde stand unser russischer Begleiter, der neben mir saß, auf und verschwand im Cockpit. Kurz darauf kam jemand anders und fragte mich: Wo haben Sie die Landkarte her? Es klang recht aggressiv. Ich sagte: wenn Sie die lateinische Schrift links unten nicht lesen können, dann sage ich's Ihnen, was da jeweils als Quelle angegeben wird: Landkarten des Generalstabs der Sowjetarmee, Maßstab so und so, Landkarten des US-amerikanischen Generalstabs, Nachrichtendienst so und so. Nun habe ich ihm das alles aus dem Englischen ins Russische übersetzt und sah, wie seine Adern an den Schläfen immer mehr anschwollen. Wo haben Sie sich dass angeschafft? wollte er erneut wissen. In jeder größeren Buchhandlung in London sind die zu haben, für einen Schilling das Stück, antwortete ich. Der Mann starrte mich eine Weile fassungslos an und sagte auf Russisch:

"Na schön, bei uns sind es je Stück zehn Jahre Gefängnis."

Nun musste aber die Besatzung ihrer Pflicht nachkommen und vermelden, an Bord seien verdächtige Personen mit US-amerikanischen Militärlandkarten. Damals waren aber die Namen Hanzelka und Zikmund auch in Russland schon ein Begriff. Und so konnte bald geklärt werden, dass die beiden Passagiere keine Spione sind. Dass sich ausgerechnet in Krasnojarsk Fabriken befanden, die atomare Sprengköpfe herstellten, haben sie erst 30 Jahre später von einem befreundeten russischen Journalisten erfahren. Ihre Eindrücke und Erlebnisse aus der Sowjetunion haben beide Globetrotter auch diesmal in Büchern, Presseartikeln, Rundfunkberichten und Filmdokumentationen verwertet. Darüber hinaus haben sie ebenso wie bei den vorherigen Reisen ihre Erfahrungen in einem speziellen Bericht ausgewertet. Dieser wurde allerdings nicht für die Öffentlichkeit, sondern für ausgewählte ranghohe Vertreter des tschechoslowakischen Staates bestimmt. Den Bericht Nummer Vier, gewidmet der Sowjetunion, erhielt ohne vorherige Bestellung der Präsident der Akademie der Wissenschaften, und die Kopien gingen an Staatspräsident Antonin Novotny und einige Mitglieder der Staats- und Parteiführung. Und warum? Man wollte - so Miroslav Zikmund - den Leuten, die am Ruder waren, die Augen öffnen. Naiv? Vielleicht, aber die beiden konnten nicht anders. Noch vor der Entstehung des besagten Dokuments äußerte der damalige Kreml-Chef, Leonid Breschnew, bei einem Treffen mit Hanzelka und Zikmund in Moskau höchstpersönlich sein Interesse daran. Wenn es so weit sei, so Breschnew, sollten sie wieder kommen, um gemeinsam bei ihm auf der Datscha über alles zu plaudern. Hanzelka erzählt:

Mit Freude willigte Novotny aber ein, den etwa 120 Seiten umfassenden und zum Großteil kritischen Text von professionellen Übersetzern ins Russische übersetzen zu lassen. Nun sollte auch Genosse Breschnew benachrichtigt werden. Bezüglich der Einladung auf die Datscha haben Hanzelka und Zikmund ihn nämlich beim Wort genommen:

Die Beamtin nahm das Telegramm auf, und schon am nächsten Tag erschien der erboste sowjetische Vize-Botschafter Udalzin in Hanzelkas Wohnung. Die Sache war in Fluss gekommen. Gekommen ist kurz danach auch Genosse Breschnew, der in Prag als Gast am Parteitag der tschechoslowakischen Kommunisten teilnahm. Hanzelka und Zikmund konnten ihm endlich sein Schriftstück übergeben. Breschnew selbst hat es natürlich kaum gelesen. Er hatte seine Männer und das Urteilen über die Tauglichkeit des einen oder anderen Werkes für die Sache des Kommunismus war auch ihr Job. Ihr Urteil über den Bericht Nummer Vier fasst Miroslav Zikmund kurz und bündig zusammen:

" Die haben ihn gelesen und als antisowjetisch, antisozialistisch, kurz um als anti ..., anti... anti bezeichnet."

Unglaublich, aber für Hanzelka und Zikmund hatte dieser Vorfall keine persönlichen Folgen. Ihre enorme Popularität erwies sich als guter Schutzfaktor. Sie konnten weiter publizieren, in den Medien auftreten, Vorträge abhalten usw. Es wurde sogar auf Initiative des Zentralkomitees der kommunistischen Staatspartei (KSC) ein Treffen mit den Chefredakteuren aller Tages- und Wochenzeitungen veranstaltet, bei dem die beiden über ihre Erlebnisse in der Sowjetunion berichteten, ohne sich - wie Zikmund sagt - ein Blatt vor den Mund zu nehmen. Immerhin, ihr Bericht über die Sowjetunion durfte nicht veröffentlicht werden, galt weiterhin als geheim. Man schrieb das Jahr 1965, und bis zur internationalen Bruderhilfe der Warschauer-Pakt-Staaten im August 1968 blieben noch drei Jahre.

Im August 1968 haben sich Hanzelka und Zikmund, der eine in Prag und der andere in Zlin, öffentlich gegen die Okkupation der Tschechoslowakei engagiert. Damit besiegelten sie ihr weiteres Schicksal für die nächsten zwanzig Jahre. Mit drei Jahren Verspätung hat man ihnen auch die Rechnung für den "Bericht Nr. 4" ausgestellt. Von den bis dahin hochgeschätzten Weltreisenden, für die alle Türen auch in den obersten Etagen des Staatsestablishments zu jeder beliebigen Zeit offen standen, wurden sie mit einem Schlag vom Regime der aus Moskau installierten Kommunisten zu unerwünschten, der Sache des Sozialismus feindlichen Personen abgestempelt. Ihre Namen verschwanden aus dem Äther, den Buchhandlungen, den Presseartikeln, kurz um, sie sollten für immer vergessen werden.