Mit Antonín Dvořák durch Mittelböhmen: Geburtshaus, erste Kompositionen und zweites Zuhause

Das Geburtshaus von Antonín Dvořák in Nelahozeves

Kaum ein Tscheche hat einen solchen Ruhm erreicht und die Welt im 19. Jahrhundert so bereist, wie Antonín Dvořák. Trotzdem lässt sich Mittelböhmen als die Region seines Herzens bezeichnen. Begeben wir uns nun auf den Spuren Dvořáks durch den Kreis: In Nelahozeves ist er zur Welt gekommen, in Zlonice begann er zu komponieren, und in Vysoká u Příbramě fand er in den letzten 20 Lebensjahren sein zweites Zuhause.

Nelahozeves / Mühlhausen ist eine Gemeinde am Ufer der Moldau. Sie liegt unter dem gleichnamigen Lobkowicz-Schloss etwa 20 Kilometer nördlich vom Stadtrand Prags entfernt. Hier ist Antonín Dvořák am 8. September 1841 geboren. Man würde kaum eine bessere Zeit finden, das Geburtshaus des Komponisten zu besuchen, als gerade dieser Tage. Die ehemalige Dorfschenke wurde nach mehreren Jahren Instandsetzung im Sommer dieses Jahres nämlich wieder geöffnet. Die Musikologin Eleonore Kinsky ist Kuratorin des Geburtshauses:

Eleonore Kinsky | Foto: Guillaume Narguet,  Radio Prague International

„Die neue Ausstellung ist etwas anders als das, was zuvor da war. Es gibt viele Dvořák-Museen in diesem Land, und uns war es wichtig, nicht etwas zu wiederholen, was es woanders auch schon gibt. Deswegen wollten wir uns auf seine Kindheit fokussieren. Von dieser Zeit gibt es heute nur noch sehr wenige Gegenstände, die man in Vitrinen ausstellen kann. Das hat uns genötigt, das Museum etwas anders zu konzipieren, es sollte sehr interaktiv werden. Es geht vielmehr um das Erlebnis und um die Atmosphäre vom Haus, als um Artefakte aus Dvořáks Leben.“

Mit einem Film zu den Kindheitsjahren des Komponisten sowie einer multimedialen Darstellung der Geschichte von Nelahozeves werden die Besucher in die Ausstellung eingeführt. Dann geht es durch das Haupthaus weiter. Die Familie Dvořák – Vater František, der Fleischer und Gastwirt war, und Mutter Anna – mieteten und bezogen es kurz vor der Geburt ihres ersten Kindes, Antonín. In der ehemaligen Wohnstube blickt man hinter einem Vorhang in jene Ecke, in der die Wiege des späteren Genies stand. Im Saal wird man von einer Dorfkapelle zu Tanz gebeten, im Schankraum kann man etwa ein Brettspiel spielen. Im oberen Geschoss kommen die Besucher dann in eine Dorfschulklasse oder erfahren, wie die mittelböhmische Landschaft den Komponisten inspirierte.

Ausstellung im Geburtshaus von Antonín Dvořík in Nelahozeves | Foto: Markéta Kachlíková,  Radio Prague International

Die Besucher sind mit einem Audio-Guide ausgestattet. Im ganzen Museum gibt es unzählige kleine Scheiben –  manchmal gut sichtbar, manchmal auch etwa unter einem Krug auf dem Tisch versteckt. Richtet man die Fernbedienung des Kopfhörers darauf, kann man selbstverständlich Dvořáks Musik hören, aber auch Volkslieder, die er selbst im Wirtshaus vernehmen konnte, sowie Geschichten über sein Leben, Erinnerungen oder etwa Auszüge aus der Dorfchronik. Und dies alles nicht nur auf Tschechisch, sondern auch auf Englisch und auf Deutsch.

Im Geburtsort Nelahozeves

Antonín Dvořák lebte bis zu seinem zwölften Geburtstag in Nelahozeves. Auch später pflegte er die Beziehung zu seinem Heimatort aber weiter. Eleonore Kinsky:

Foto: Guillaume Narguet,  Radio Prague International

„Er hat seine frühen Kindheitsjahre dort verbracht, bis er die Grundschule fertig hatte. Dann ist er nach Zlonice / Slonitz gegangen, wo ein Onkel wohnte. Seine Familie war aber weiter in Nelahozeves. Das heißt, er reiste immer wieder hin und her und spielte auch weiterhin in der hiesigen Kapelle. Erst als seine Eltern dann 1855 nachgezogen waren, kam er wohl seltener nach Nelahozeves. Aber der Ort war weiterhin für ihn wichtig. Wir wissen, dass er als Erwachsener mehrere Male einfach so nach Nelahozeves kam. Einer dieser Besuche ist auch sehr gut dokumentiert, das war in den 1880er Jahren, wobei ihn die Presse begleitete und Fotos gemacht wurden. Und dazu kommt noch, dass die Bahnstrecke zwischen Prag und Dresden beziehungsweise Hamburg durch Nelahozeves führt. Jedes Mal, wenn Dvořák seinen Verleger Simrock mit dem Zug in Berlin besuchte oder wenn er von Hamburg aus nach England und nach Amerika reiste, fuhr er daher durch Nelahozeves.“

Dvořáks Beziehung zur Musik sei schon in seinem frühen Alter in Nelahozeves geprägt worden, betont die Kuratorin:

„Auf jeden Fall. Ich glaube, Dvořák wuchs mit sehr viel Musik um sich herum auf. Weil der soziale Hintergrund sehr einfach war, bildeten aber keine hochkarätigen Klavierstunden seine musikalischen Erfahrungen, sondern die Dorfkapelle, die Musik und das Singen in der Kirche sowie der Violinen-Unterricht. So wie wir herausgefunden haben, war Musik wirklich allgegenwärtig – von singenden Menschen auf dem Feld bis zu der etwas feierlicheren Musik in der Kirche.“

Ausstellung im Geburtshaus von Antonín Dvořík in Nelahozeves | Foto: Markéta Kachlíková,  Radio Prague International

Musik gespielt und gesungen wird in der Gemeinde bis heute. Am vergangenen Sonntag, dem Geburtstag des Komponisten, wurde in der Gemeinde bereits zum 73. Mal das Festival Dvořáks Nelahozeves veranstaltet. Es bot ein Kammer-und ein symphonisches Konzert, einen Vortrag, einen Workshop für Kinder sowie Besichtigungen des neu renovierten Geburtshauses. Unter musikalischer Begleitung eines örtlichen Chors gedachten Vertreter der Antonín-Dvořák-Gesellschaft, des Kreises Mittelböhmen, der Gemeinde Nelahozeves und der Familie Lobkowicz des Komponisten an dessen Denkmal am Dorfplatz.

Studium in Zlonice

In den Jahren 1853-1856 hielt sich der junge Antonín in Zlonice / Slonitz auf. In diesem Städtchen, knapp 20 Kilometer von Nelahozeves entfernt, lernte er beim dortigen Lehrer und Organisten Antonín Liehmann Violine-, Klavier- und Orgelspiel sowie Musiktheorie. Dort komponierte er auch seine ersten Stücke. An das Städtchen erinnert auch der Beiname von Dvořáks erster Symphonie, die als „Die Glocken von Slonitz“ bezeichnet wird. Sein Aufenthalt in der Stadt wird heute in einem kleinen Museum dokumentiert.

Im Alter von sechzehn Jahren ging Dvořák nach Prag, um an der Orgelschule zu studieren. Nach seinem Studium spielte er Bratsche im Orchester im Interimstheater. Im Laufe der Jahre wohnte er an mehreren Adressen in der Prager Neustadt: am Heuwaagsplatz (Senovážné náměstí), am Karlsplatz oder in der Straße Na rybníčku, von wo aus sich der Blick auf den Glockenturm der Stephanskirche bot. Ganze 27 Jahre lang, bis zu seinem Tod im Jahr 1904, lebte Dvořák mit seiner  Familie im Haus Nr. 14 in der Žitná-Straße. Die Fassade des Gebäudes ist im ersten Stock mit einer Büste des berühmten Bewohners geschmückt. In jener Zeit gewann aber noch ein weiterer Ort in Mittelböhmen für Dvořák und seine Familie an großer Bedeutung: Vysoká u Příbramě / Wissoka.

In dem kleinen Dorf Vysoká u Příbramě in der malerischen Wald- und Hügellandschaft, fand der Komponist Antonín Dvořák für mehr als zwanzig Jahre sein zweites Zuhause. Im dortigen Schlösschen befindet sich heute eine Antonín-Dvořák-Gedenkstätte. Vojtěch Poláček leitet das Museum:

„Antonín Dvořák kam 1877 zum ersten Mal zu einer Hochzeit in diese Region. Graf Václav Robert Kounic heiratete die Schauspielerin Josefina Čermáková, die ältere Schwester von Dvořáks Frau Anna. Die Hochzeit fand in der Kirche in Třebsko statt, gleich hinter dem Wald hier. Und Dvořák war sogar Trauzeuge. Das war also der erste Kontakt.“

Kounic ließ ein Jahr später ein Schloss erbauen, und Dvořák besuchte öfters seine Verwandten. Dabei bewohnte der Komponist zunächst ein Haus im Schlosspark. Dort verbrachte er auch die Ferien 1882. Sein Sohn Otakar hat sich in einer Sendung des Tschechoslowakischen Rundfunks 1961 an seinen Vater erinnert:

„Er fand großen Gefallen an seinem Aufenthalt hier, in diesem Milieu, mitten im tiefen Wald. Aber nicht nur die Landschaft, auch die Leute liebte er sehr. Es waren vor allem die hiesigen Bergleute und die Kleinbauern, mit denen er fast täglich in Kontakt kam. Meinem Vater hat es hier in Vysoká so sehr gefallen, dass er noch im selben Jahr seinen Schwager Kounic bat, ihm einen Meierhof mit einem Schafstall und einem großen Garten am gegenüberliegenden Ende des Dorfes zu verkaufen. Kounic kam ihm entgegen, und mein Vater richtete es dem Bedarf seiner Familie entsprechend ein.“

Sommersitz in Vysoká

Villa Rusalka,  die Sommerresidenz von Anotnín Dvořák | Foto: Hudební festival Antonína Dvořáka Příbram

Das Haus wurde später als Villa Rusalka benannt. Dort hat Dvořák komponiert, aber auch mit Begeisterung gegärtnert und Tauben gehalten. Er fühle sich dort glücklich, schrieb er in Briefen an seine Freunde. An Vysoká dachte er auch während seines Aufenthalts in Amerika, wo er von 1892 bis 1895 wirkte. Vojtěch Poláček:

„Es gibt viele Beweise dafür, dass Dvořák seine Heimatregion und insbesondere Vysoká vermisst hat. Wir haben Briefe, die er an seinen Hausmeister hier in Vysoká geschrieben hat. Er erkundigt sich, wie es dem Garten und den Nachbarn geht. Er schickt ihnen Geld, um in der örtlichen Kneipe zu trinken. Es gibt verschiedene Zitate von Dvořák, in denen er sagt, dass es das Beste wäre, einfach zu Hause in Vysoká zu sitzen, und dass seine Arbeit dort viel besser laufen würde.“

Vojtěch Poláček | Foto: Dana Josefová,  Tschechischer Rundfunk

In der Villa Rusalka verbrachte der Komponist immer die Sommermonate, etwa von April bis Oktober, so Poláček weiter:

„Die hiesige Natur hat ihn besonders inspiriert. Er machte lange Spaziergänge und entwickelte dabei musikalische Ideen. Dvořák war hier fest verwurzelt und mit vielen Einheimischen befreundet, er war ein fester Bestandteil der Gemeinschaft hier.“

Antonín Dvořák mit Tauben | Foto: Výstava 'Antonín Dvořák - Inspirace přírodou'/Národní muzeum

Ein Tag des Komponisten

Wie ein Tag des Komponisten in seinem Sommerhaus aussah, beschrieb sein Sohn Otakar in den Sendungen des Tschechoslowakischen Rundfunks wie folgt:

Rusalkas Teich | Foto: Výstava 'Antonín Dvořák - Inspirace přírodou'/Národní muzeum

„Er stand morgens um vier oder halb fünf auf. Zunächst machte er einen Spaziergang – allein, weil andere Familienmitglieder in der Zeit in der Regel noch schliefen. Nach einer Stunde kam er zurück, frühstückte und machte sich an die Arbeit. Oben in seinem Arbeitszimmer im ersten Stockwerk blieb er bis zwölf Uhr. Zum Mittagessen kamen wir alle unten im Speisesaal zusammen, wobei der Platz meines Vaters auf einem Divan, links am Fenster war. Nach dem Mittagessen zog er sich nach oben in sein Arbeitszimmer zurück, aber nicht um zu arbeiten, sondern um sich auszuruhen. Auf einer Liege, halb sitzend, halb liegend, schlief er zehn bis zwölf, manchmal auch fünfzehn Minuten. Danach machte er wieder einen Spaziergang, und anschließend arbeitete er bis zum Abend.“

Bei den Nachmittagsspaziergängen sei Antonín Dvořák von einem seiner beiden Söhne begleitet worden:

„Sehr oft passierte es aber, dass wir nur einige Hundert Schritte hinter den Garten gegangen sind. Ich sah einmal, dass seine Hand an der Brust quasi Klavier spielt. Das bedeutete, dass ihm neue musikalische Ideen und Motive durch den Kopf gehen. Plötzlich drehte er sich um, ging nach Hause, setzte sich an seinen Tisch und komponierte.“

Nach dem Abendessen begab sich der Vater in die Gaststätte U Fenclů, um ein Glas Bier zu trinken und sich mit den Nachbarn zu unterhalten.

Antonín Dvořák mit seiner Familie und Freunden in Vysoká | Foto: J. V. Sládek,  e-Sbírky,  Nationalmuseum,  CC BY-NC-ND 4.0 DEED

Antonín-Dvořák-Gedenkstätte

Die Villa Rusalka befindet sich bis heute im Besitz der Nachkommen von Dvořák und ist für die Öffentlichkeit nicht zugänglich. Für die Gedenkstätte im Schloss gilt dies allerdings nicht. Vojtěch Poláček lädt zur Besichtigung der aktuellen Ausstellung ein. Sie sei interaktiv und enthalte auch eine Menge Informationen, die nicht ganz wahr seien, deutet er an:

Villa Rusalka | Foto: Výstava 'Antonín Dvořák - Inspirace přírodou'/Národní muzeum

„Der Besucher kann mit Hilfe von Tasten testen, was seiner Meinung nach wahr ist und was nicht. Die Ausstellung heißt ‚Mistr řezník‘, also ‚Der Fleischermeister‘. Denn einer der am weitesten verbreiteten Mythen über Dvořák ist, dass er ein ausgebildeter Fleischer gewesen sei. Das ist nicht wahr. Sein Lehrbrief existiert zwar, er ist aber eine Fälschung aus den 1930er Jahren.“

Die Gedenkstätte sei jedoch nicht nur ein Museum, das eine Dauerausstellung biete und verschiedene Ausstellungen organisiere, betont der Leiter. Sie wolle zudem eine Art lebendiger kultureller Ort sein:

„Wir geben hier viele Konzerte. Im Moment möchte ich auf jeden Fall zu unserer regelmäßigen Konzertreihe ‚Musikherbst‘ einladen, die von September bis November läuft. Und dann werden wir noch eine Reihe von Adventskonzerten veranstalten. Sie finden in den umliegenden Gaststätten statt, in denen Dvořák regelmäßiger Gast war.“

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