Mit der Weinflasche zum Arzttermin – Korruption in Tschechien
Korruption: Kaum ein Wort ist so häufig in den tschechischen Medien vertreten. Allerdings ist es schwierig einzuschätzen, wie häufig Korruption tatsächlich vorkommt. Die Nichtregierungsorganisation „Transparency International“ bringt mit ihrem globalen Korruptionsbarometer Licht ins Dunkel. In der Sendereihe „Forum Gesellschaft“ erfahren Sie mehr über die Resultate aus Tschechien.
„Haben Sie in den letzten zwölf Monaten einen Angestellten der öffentlichen Verwaltung bestochen?“ Gemäß „Transparency International“ beantwortet weltweit jeder Vierte diese Frage mit „Ja“. In Tschechien ist es immerhin noch jeder Achte. Jiří Buriánek, Dozent für Soziologie an der Prager Karls-Universität, warnt allerdings vor solchen länderübergreifenden Vergleichen:
„Das ist eine sehr heikle Angelegenheit. Der Unterschied zwischen Bestechung und einer Gefälligkeit wird in jedem Land anders wahrgenommen. Es ist deshalb allgemein bekannt, dass internationale Rankings sehr problematisch sind – doch sie erregen nun einmal am meisten Aufmerksamkeit. Sobald wieder eine solche Bewertung publiziert wird, diskutieren wir ganz aufgeregt darüber, wieso Tschechien jetzt auf dem 54. statt auf dem 52. Platz gelandet ist. Doch eigentlich ist das überhaupt nicht wichtig.“Im Gegensatz zu solch klassischen Ranglisten erlaubt es das Barometer von „Transparency International“, die Entwicklungen innerhalb eines einzelnen Landes nachzuvollziehen. Es ist weltweit das einzige seiner Art: Keine andere Studie beschäftigt sich so eingehend mit dem Thema der Korruption. Fast 115.000 Menschen in 107 Ländern wurden für die diesjährige Ausgabe befragt. In Tschechien standen 1000 Personen den Meinungsforschern in persönlichen Gesprächen Rede und Antwort. Aus wissenschaftlicher Sicht seien diese Daten äußerst wertvoll, so Buriánek:
„Wir sollten uns viel stärker auf nationale Trends konzentrieren, statt auf internationale Vergleiche. Und zudem müssen wir die politische Kultur eines Landes und die lokalen Gepflogenheiten in die Analyse mit einbeziehen. Denn diese können eine entscheidende Rolle spielen.“Doch wo endet geschickte Strategie und wo beginnt systematische Bestechung? Über diese Frage wurde in den letzten Wochen hierzulande heftig diskutiert. So ließ etwa Ex-Premier Petr Nečas kurz vor seinem Rücktritt verlauten, dass Absprachen und Tauschhandel nun mal zum Geschäft eines Politikers gehören würden. Relativ klar ist die Antwort für Radim Bureš, Programmdirektor von Transparency Tschechien:
„Wichtig ist, dass ein nachweislicher Zusammenhang zwischen einer bestimmten Entscheidung und einem persönlichen Vorteil besteht. Hat ein solches Eins-zu-Eins-Geschäft stattgefunden, handelt es sich ganz klar um einen Tatbestand. Auf der anderen Seite gibt es politisches Postengeschacher. Dadurch gelangen zum Beispiel linientreue Parteimitglieder in Funktionen, für die sie nicht genügend qualifiziert sind. Das ist zwar nicht zwingend ein Fall von Korruption, aber es ist schädlich für die Gesellschaft und insofern auch unmoralisch.“Auf Letzteres weisen auch die Autoren der Studie hin: Korruption verursache nicht nur materielle Schäden, sondern untergrabe auch das Fundament einer Gesellschaft, heißt es von Seiten von Transparency. Diese Überzeugung scheint auch in der Bevölkerung stark verbreitet zu sein: 83% der Tschechen empfinden die Korruption in ihrem Land als schwerwiegendes Problem. Doch was bedeutet dies genau? Versuchen wir einmal, die Zahlen der Studie zum Leben zu erwecken.
In einer typischen tschechischen „Hospoda“, einer Kneipe, sitzt eine Gruppe von zehn Personen um ihren Stammtisch. Männer und Frauen sind gleichermaßen vertreten, das Durchschnittsalter beträgt etwa 40 Jahre. Ein Mitglied dieser fiktiven Runde geht sich gerade ein Bier holen; zählen wir diesen darum erstmal nur halb. Da wir von 83% ausgehen, würde dies bedeuten, dass nur ein einziger der Anwesenden am Tisch behauptet, Korruption sei in Tschechien kein ernstzunehmendes Problem. Er will wissen, wer denn von ihnen im letzten Jahr wirklich jemanden bestochen habe. Da wird es auf einen Schlag ziemlich still in der Runde. Alle schauen peinlich berührt in ihre Gläser, bis schließlich eine junge Frau etwas kleinlaut zugibt, sie habe letztens im Krankenhaus mit ein paar hundert Kronen nachgeholfen. Der Zehnte an der Bar bekommt das Geständnis mit und prostet ihr solidarisch zu: Auch er habe seinem Arzt beim letzten Termin eine Weinflasche mitgebracht. Damit wären wir bei einem nächsten Resultat der Studie: Im Gesundheitsbereich hat Transparency International eine Korruptionsrate von 15% festgestellt. Direktor Radim Bureš:„Mir erscheinen diese Zahlen nicht besonders hoch. Es wird sehr häufig über das Problem der Korruption diskutiert und auch in den Medien ist es ein allgegenwärtiges Thema. Gemessen daran, erscheint mir das Ausmaß der konkreten Erlebnisse im Alltag weit weniger bedeutend.“Tatsächlich ist der Gesundheitsbereich bei Weitem am meisten betroffen. Bei Justiz und Polizei beträgt die festgestellte Korruptionsrate nur drei, beziehungsweise vier Prozent. Zudem fürchtet nur ein Bruchteil der Befragten, ohne Bestechung keine ausreichende medizinische Versorgung zu erhalten. Die meisten sehen ihre Zahlungen als persönliches Dankeschön für die erbrachte Dienstleistung oder hoffen, damit gewisse Abläufe zu beschleunigen.
Wenn persönliche Erfahrungen also eher selten sind, woran denken dann unsere zehn fiktiven Freunde, wenn sie sagen, dass Korruption ein so großes Problem sei? Der große Verlierer der Umfrage sind die politischen Parteien: In 51 Ländern werden sie als die korruptesten Instanzen überhaupt wahrgenommen. Das ist auch in Tschechien nicht anders. In unserem fiktiven Beispiel empfinden sieben unserer zehn Trinkkumpanen die Parteien als korrupt. Dasselbe gilt für die Beamten – auch da wären sich sieben der zehn einig. Wenn es um das Parlament geht, würden noch sechs die Hand heben.
Doch inwiefern sind diese Zahlen vom politischen Tagesgeschehen, insbesondere von großen Skandalen, beeinflusst? Oder anders gesagt: Wie hätte unsere Stammtisch-Runde abgestimmt, wenn man sie wenige Tage nach der Razzia im Regierungsamt befragt hätte? Laut Soziologe Buriánek wären ihre Urteile vielleicht noch härter ausgefallen:„Selbstverständlich spielt die Darstellung in den Medien eine große Rolle. Aber in Tschechien beobachten wir schon seit fünf Jahren eine dramatische Zunahme der Wahrnehmung von Korruption. Politische Skandale haben eine lange Halbwertszeit. Viele Korruptionsfälle, die sich in den 1990er Jahren ereignet haben, gelangen erst jetzt langsam ins öffentliche Bewusstsein. Einige wurden nie richtig aufgearbeitet oder die Verfahren wurden infolge der umstrittenen Amnestie auf Eis gelegt. Doch dies ändert nichts daran, dass sich solche Erfahrungen kumulieren und die Wahrnehmung der Bürger beeinflussen.“
Doch die Studie brachte durchaus auch erfreuliche Resultate zutage: Besonders die Gemeinnützigen Organisationen scheinen in der Bevölkerung großes Vertrauen zu genießen. In unserer erfundenen Kneipenrunde sind acht der zehn Freunde der Ansicht, dass NGOs und Hilfswerke vor Korruption gefeit sind. Nur ein weiterer Bereich hat genau so gut abgeschnitten: Die Medien. In der Schweiz und in Deutschland dagegen haben die Medien zum ersten Mal schlechter abgeschnitten, als die öffentliche Verwaltung und das Parlament. Aus tschechischer Sicht ist allerdings beunruhigend, dass nur knapp die Hälfte der Befragten glaubt, dass gewöhnliche Leute etwas gegen Korruption ausrichten können. Und ebenfalls nur die Hälfte würde einen Korruptionsfall einer zuständigen Institution melden. In Deutschland liegt diese Zahl bei fast 90%. Die Tschechen begründen ihr Stillschweigen damit, dass sie nicht wüssten, an wen sie sich wenden sollten – die Antikorruptions-Hotline des Innenministeriums wurde zum Beispiel vor zwei Jahren eingestellt. Zudem besteht die Angst vor negativen Konsequenzen, und die Ansicht, dass eine Meldung ja sowieso nichts nützen würde.Petr Leyer arbeitet als Rechtsberater bei Transparency Tschechien. Seine Erfahrungen zeigen ein anderes Bild: Zehn bis zwölf Mal pro Woche werden er und seine Kollegen von Menschen kontaktiert, die mit Korruption in Kontakt gekommen sind – und den meisten lasse sich relativ einfach helfen.
„Die Palette ist sehr breit. Die Mehrheit besteht aus einfachen Anfragen wie Schwierigkeiten bei Baubewilligungen. Da reicht oft eine kurze Beratung per Email aus, um den Klienten zufrieden zu stellen. Doch zwei bis dreimal im Monat erreichen uns auch schwierigere Fälle. Da geht es zum Beispiel um die Vergabe öffentlicher Aufträge oder um die unrechtmäßige Verwaltung von öffentlichem Eigentum.“Dass ein Grossteil der Bevölkerung solche Bedenken hat, ist für Leyer allerdings keine Überraschung. Er versteht die Arbeit von Transparency deshalb nicht nur als Aufklärung, sondern auch als Appell:
„Wir möchten den Leuten zeigen, dass es Möglichkeiten gibt, sich gegen Korruption zu wehren. Wir richten uns vor allem an die öffentlichen Einrichtungen: Jene Menschen, die den Mut haben, mit einem Korruptionsfall an die Öffentlichkeit zu gehen, müssen besser geschützt werden. Zudem traut sich nicht jeder, direkt zur Polizei zu gehen. Deshalb ist es wichtig, dass der Staat verschiedene Wege anbietet, Korruption anzuzeigen.“Was die politischen Parteien betrifft, täten diese laut Radim Bureš gut daran, an ihrem Image zu arbeiten – das sei ja letztendlich in ihrem eigenen Interesse.
Aktuelle Resultate aus allen Ländern finden Sie unter www.transparency.org