Tschechischer Wiederaufbauplan: Intransparenz und Sammelsurium
Im Dezember hat die EU das größte Hilfspaket ihrer Geschichte beschlossen. Dieses soll die Wirtschaft in Europa nach der Corona-Krise wieder in Schwung bringen. Für Tschechien liegen dort 7,3 Milliarden Euro bereit. Das ist ein großer Batzen Geld. Wie also soll die Wiederbelebung der tschechischen Wirtschaft aussehen?
Der Zeitrahmen steht: Derzeit schauen sich die einzelnen Ministerien den tschechischen Wiederaufbauplan an. Das soll noch bis Freitag dauern. Danach beurteilt das Regierungskabinett als Ganzes das Papier, das über 500 Seiten stark ist. Und Anfang Mai will Prag das Konzept nach Brüssel schicken.
Federführend in der Ausarbeitung ist das Ministerium für Industrie und Handel. Am Dienstag vergangener Woche stellte dessen Chef, Karel Havlíček (parteilos), den Wiederaufbauplan erstmals öffentlich vor:
„Wir wollen die Infrastruktur im Land weiterentwickeln. Dies umfasst sowohl eine unternehmerische Komponente als auch weitere Bereiche wie Ökologie, Klima, Forschung und Entwicklung, Gesundheit oder die Digitalisierung der öffentlichen Sphäre. Der Plan basiert auf bereits beschlossenen Reformkonzepten, die in den kommenden Jahren in großem Maß durch die bereitgestellten Mittel gefördert werden. Aber es fließen auch Gelder in eine ganze Reihe weiterer Bereiche.“
Havlíček bezeichnete es als vernünftig, dass die Europäische Kommission erlaube, sich auf bereits bestehende Pläne zu stützen. Unter anderem verwies der Minister darauf, dass die amtierende Regierung in Prag nach vielen Jahren endlich eine Strategie für die Digitalisierung des Landes entworfen hat. Dasselbe gelte auch für den Bereich der Innovationen. Als geradezu revolutionär bezeichnete Karel Havlíček die entsprechenden Vorhaben, die vor zwei Jahren entstanden sind.
Klimaziele und Digitalsierung
Zugleich betonte der Industrieminister, dass man längst nicht auf die Wünsche aller eingehen konnte, die an der Diskussion über den Plan beteiligt waren. Andernfalls hätte man das Gesamtziel aus den Augen verlieren können, befürchtet Havlíček. Nicht zuletzt hat die Europäische Kommission sehr konkrete Vorgaben gemacht. So sollen mindestens 37 Prozent der Gelder für die Erreichung der Klimaziele genutzt werden und 20 Prozent für die digitale Transformation. Das kann Prag laut Havlíček auch erfüllen:
„Falls der Plan von der Regierung genehmigt wird, sind dort 40 Prozent der Gelder für Klimaprojekte vorgesehen und 23 Prozent für die Digitalisierung. Die geforderten 37 Prozent können wir nicht allgemein für eine Ökologisierung verwenden, sondern es müssen dort Maßnahmen für die Erreichung unserer Klimaziele für 2030 oder 2050 deutlich sichtbar werden. “
Eine andere Auflage aus Brüssel war, dass eine breite gesellschaftliche Diskussion über die Verteilung der Gelder geführt werden muss. In seiner Präsentation im tschechischen Abgeordnetenhaus sprach Karel Havlíček von 50 Organisationen und Verbänden, mit denen sein Ministerium für den Wiederaufbauplan zusammengearbeitet habe. Doch das war ganz offensichtlich übertrieben. So sind auf der Website seines Ressorts nur 24 Partner aufgelistet. Ursprünglich standen dort noch zwei weitere: die Umweltverbände Zelený kruh (Grüner Kreis) – das ist ein Zusammenschluss mehrerer Organisationen – und Hnutí Duha (Bewegung Regenbogen bzw. Friends of the Earth).
„Wir haben mehrfach unsere Anmerkungen zum Aufbauplan ans Ministerium geschickt, aber meist keine Reaktion darauf erhalten. Deswegen würde ich da nicht wirklich von einer Zusammenarbeit sprechen. Es war mehr unser Bemühen, unsere Anmerkungen einzureichen und die Entstehung des Plans zu beeinflussen. Aber eine Rückmeldung dazu gab es im Grunde nicht“, so Anna Kárníkova, Leiterin von Hnutí Duha, in den Inlandssendungen des Tschechischen Rundfunks.
Weitere potentielle Gesprächspartner beklagten, dass sie nicht rechtzeitig die nötigen Unterlagen erhalten hätten. Eine erste Version des Aufbauplans vom Februar wurde zudem noch kurzfristig umgearbeitet. Dabei war die breite Beteiligung gesellschaftlicher Gruppen eine der zentralen Forderungen aus Brüssel. Pavlína Žáková ist Wirtschaftsexpertin an der Vertretung der EU in Prag:
„Die Forderung nach einer öffentlichen Konsultation ergibt sich schon aus den Gesetzen zu dem neuen EU-Fonds. Die Mitgliedsstaaten sollen sowohl die Erstellung des Plans, als auch wenn möglich seine Implementierung mit allen relevanten Akteuren konsultieren – das sind die Sozialpartner, die lokalen und regionalen Verwaltungen sowie die Zivilgesellschaft.“
Zwar kam es zu Treffen mit den Beteiligten, allerdings wurden praktisch keine Zwischenergebnisse veröffentlicht. Dies kritisiert zum Beispiel Daniel Münich vom Think-Tank Cerge-EI:
„Der Entstehungsprozess fand auf extreme Weise hinter verschlossenen Türen statt. Die Entscheidungen sind daher intransparent. Erst auf großen Druck wurden Inhalte veröffentlicht, aber meist geschah dies mit solch großer Verspätung, dass keine relevanten Anmerkungen mehr möglich waren.“
Dieses Problem ist im Übrigen genauso in vielen weiteren Ländern aufgetaucht. Ähnliche Klagen sind etwa aus Österreich zu hören. Dazu beigetragen hat sicher auch der sehr enge Zeitrahmen, den Brüssel gesetzt hat.
Ökologen fordern mehr Landschaftssanierung
Die Folgen sind allerdings im tschechischen Plan auch inhaltlich sichtbar. Etwa bei den klimapolitischen Maßnahmen. Angesichts mehrerer trockener Jahre will die tschechische Regierung eigentlich Projekte ankurbeln, um die Wasserspeicherfähigkeit des Bodens zu erhöhen. Denn das bietet sowohl Schutz vor den Folgen des Klimawandels als auch eine künftige Verringerung des CO2-Ausstoßes. Allerdings finden Ökologen, Klimaforscher, Biologen und weitere Wissenschaftler, dass im Wiederaufbauplan bisher zu wenig Geld für entsprechende Maßnahmen vorgesehen ist. Deswegen haben sie Mitte März einen offenen Brief an Premier Andrej Babiš (Partei Ano) geschrieben. Jaromír Bláha von Hnutí duha erläutert die Gründe gegenüber Radio Prag International:
„Die Landschaftssanierung sollte bei allen Investitionsplänen der tschechischen Regierung absolute Priorität haben. Wegen des Klimawandels und der langfristigen Belastung der Umwelt durch Emissionen wird der Boden entwässert. Die früheren Formen der Landwirtschaft und leider auch die Praktiken der heutigen Agrar-Großbetriebe haben die Böden ausgelaugt und Grünflächen aus der Landschaft verschwinden lassen. Dadurch wurde die Wasseraufnahmefähigkeit zerstört, hinzukommen die Drainagesysteme, die ebenfalls schädlich sind. Mehrere Milliarden Kronen müssten investiert werden, um all dies wieder rückgängig zu machen. Deswegen hat uns unangenehm überrascht, wie wenig davon im Wiederaufbauplan zu finden ist. Dabei sind entsprechende Maßnahmen eine Win-win-Situation. Sie sind zum einen von großem wirtschaftlichen Nutzen, weil damit die Natur wieder mehr Wasser speichern kann. Zum anderen sind sie auch sozial verträglich, da Dutzende Arbeitsplätze geschaffen werden können – und das gerade auf dem Land, wo dies nötig ist.“
Außerdem kritisieren die Unterzeichner des offenen Briefs, dass im Aufbauplan das Landwirtschaftsministerium für die entsprechenden Maßnahmen zuständig sein soll. Dieses Ressort habe überhaupt gar keine Erfahrung mit Renaturierungen, wendet Jaromír Bláha ein. Ähnlich bedenklich seien die Wiederaufforstungspläne nach der Borkenkäferplage. Anstatt auf die natürliche Erneuerung zu setzen, werde wie früher schnelles Wachstum bevorzugt – und das könnte laut den Ökologen erneut Monokulturen in den tschechischen Wäldern entstehen lassen.
Der zweitgrößte Batzen an Geld geht in die Digitalisierung. Auch da vertraut das Industrieministerium auf die aktuelle Strategie der Regierung. Demnach sollen Wirtschaft und öffentliche Verwaltung für die Welt des Internets fit gemacht werden. Und zwar im 5G-Netz. Das sei jedoch nicht vorausschauend, findet der Senator Zdeněk Nytra. Er leitet in der oberen Parlamentskammer die gemeinsame Fraktion von Bürgerdemokraten und Top 09.
„Für den Aufbau des 5G-Netzes sind große Geldsummen eingeplant. Das ist prinzipiell fein. Dennoch stellt sich die Frage, warum wir nicht schon im vergangenen EU-Finanzrahmen die entsprechenden Mittel dafür genutzt haben. Außerdem schreitet die Entwicklung in diesem Bereich enorm schnell voran, und vielleicht sollten wir ambitionierter sein und bereits die Infrastruktur für die nächste Generation des Mobilfunknetzes aufbauen“, so der konservative Politiker.
Im Senat haben sich gleich sieben Ausschüsse mit dem Aufbauplan beschäftigt. Laut Nytra kamen sie zu dem Ergebnis, dass dort – entgegen den Beteuerungen von Minister Havlíček – etwas Wichtiges fehlt:
„Wir haben überhaupt keine grundlegende Zielrichtung des Plans gefunden, also in welche Richtung sich Tschechien mit den 190 Milliarden Kronen bewegen soll.“
Stattdessen bestehe dort ein Sammelsurium an Projekten, hieß es. So wiesen die Senatoren auch auf einen krassen Ausrutscher hin: Ursprünglich sollte aus den Geldern für den Wiederaufbau auch ein Zuschuss für die Rentenkassen des Staates abgezweigt werden. Diese Ausgaben wurden dann aber schnell noch gestrichen.