Mit Steinen muss man leben, um sie zu lieben

Aragonit, foto: Karelj, Wikimedia Commons

Der Übergang zur postindustriellen Gesellschaft wird unübersehbar von den dynamischen Umwandlungen ihrer Strukturen begleitet. Auch die tschechische Gesellschaft hat seit der politischen Wende, die sich im November 2009 zum 20. Mal jähren wird, einen deutlichen Strukturwandel durchgemacht. Junge Menschen wenden sich immer mehr von der manuellen Arbeit ab. Wesentlich attraktiver für sie sind Berufe wie Immobilienmakler, Versicherungsagent oder Handelsreisender. Immer weniger Schulabgänger wollen anschließend eine Fachberufsschule besuchen. Die Berufsschulen haben daher manches Fach bereits von ihrem Lehrplan streichen müssen. Das alte Sprichwort, das besagt, dass das Handwerk goldenen Boden habe, hat heutzutage offensichtlich seine Bedeutung verloren. Das traditionelle Handwerk stirbt aus. Radio Prag stellt Ihnen in der Sendereihe „Heute am Mikrophon“ einen Mann vor, der sein Handwerk mit Herz und Seele liebt.

 Ametyst,  foto: Parent Géry,  Wikimedia Commons
Wie gesagt, traditionelles Handwerk stirbt aus, oder es gilt schon oft als Attraktion auf Jahrmärkten, in Freilichtmuseen und Museen schlechthin. Da bietet sich die Frage an: Wer wird in Zukunft noch manuell arbeiten, zum Beispiel die Schuhe, Uhren, Fernsehapparate oder die Waschmaschinen reparieren oder die Schornsteine fegen? Oder Steine schleifen?

„Ich heiße František Vorel und lebe mit meiner Familie in Roztoky bei Jilemnice, wo wir uns unserem Handwerk widmen. Es ist ein Handwerk, das wir von unseren Vorfahren geerbt haben – die so genannte ´Steingalanterie´. Ich bin also Steinschleifer. Heutzutage wird dieser Beruf in Tschechien an keiner Schule mehr ausgebildet.“

Wenn ein Sohn oder eine Tochter denselben Beruf hat wie die Eltern oder ein Elternteil, wird gesagt, dass der Apfel nicht weit vom Stamm gefallen ist. Wie war es bei Ihnen?

„Ich kann bereits auf vier Generationen von Steinschleifern in meiner Familie zurückblicken. Vor vielen Jahren haben es meine Vorfahren so praktiziert: Einen Teil des Jahres haben sie als Kleinbauern auf dem Feld gearbeitet. Im Winter waren sie mit dem Steinschleifen beschäftigt.“

Das Rohmaterial, dem Sie durch die Bearbeitung eine Form geben, sind Steine. Welche Steinsorten verwenden Sie?

Aragonit,  foto: Karelj,  Wikimedia Commons
„Wir verwenden viel Karlsbader Sprudelstein aber auch Steine aus dem Riesengebirge. Außerdem bearbeiten wir oft Aragonit aus der Slowakei, konkret Aragonit aus der Region von Spiš oder den goldenen Onyx aus der Region von Levice. Ansonsten arbeiten wir auch mit Steinen aus der ganzen Welt. Zum Beispiel aus Thailand oder aus Pakistan. Das ist im Prinzip auch eine Art Sprudelstein, das Kalziumkarbonat.“

Heutzutage gibt es in Geschäften eine ganze Vielfalt von Ziergegenständen oder Schmuck aus Stein zu kaufen. Vieles wird auch importiert. Das war früher anders.

„Nach der Wende, als auf einmal so viele Minerale aus der ganzen Welt, vor allem aus Südamerika, nach Tschechien importiert wurden, waren wir sehr erstaunt darüber, wie viele Steinarten es gibt. Das waren Steine, von denen wir bis dahin keine Ahnung hatten. Als wir die breite Skala von Steinen gesehen haben, waren wir echt begeistert.“

Sie sind also ein Steinschleifer und verwenden verschiedene Gesteine. Welches Sortiment fertigen sie in ihrer Werkstatt an und wie gehen Sie mit dem Steinmaterial um?

„Das ist die so genannte Steingalanterie: Schüsseln, Vasen, Aschenbecher, Tintenfässer, Lampenständer oder auch Schmuck. Es ist kein Problem, einen Stein zu bearbeiten. Es kommt aber auf die Struktur des jeweiligen Steins an. Das ist schon eine feine Arbeit. Man muss seine Struktur akzeptieren und dem Stein seine Schönheit abgewinnen. Es ist kein Problem eine Schüssel oder eine Vase herzustellen. Da steckt etwas drin in dem Stein und das muss man herauskriegen, damit der steinerne Gegenstand schön aussieht.“

Onyx,  foto: Simon Eugster,  Creative Commons 3.0
Der Stein ist ein hartes Material. Wie hart muss das Werkzeug sein, um dem Stein die gewünschte Form zu geben?

„Früher hat man hat viel mit dem Karborund gearbeitet. Heute funktioniert im Prinzip alles auf der Basis der Diamantenverwendung. Sei es beim Schneiden, Bohren oder Schleifen.“

Arbeiten Sie in einer großen Werkstatt?

„Wir haben keine große Werkstatt. Es ist Staub drin. Auch wenn man den Stein unter Wasser bearbeitet, wird trotzdem der Steinstaub durch die Geräte aufgewirbelt. Wir könnten dort zehnmal pro Tag sauber machen. Halt wie in jeder Steinmetzwerkstatt.“

In dem Moment, wo Sie einen Stein in die Hand nehmen, wissen Sie da schon, was aus ihm entstehen wird?

„So was passiert auch. Wenn ich morgens in die Werkstatt gehe, weiss ich eigentlich nicht, was ich machen werde. Ich nehme einen Stein in die Hand, schaue ihn mir an und suche etwas in dem Stein. Dann sage ich mir zum Beispiel: Aus diesem Stein da werde ich doch keinen Kerzenleuchter anfertigen, wenn er mich mit seiner Struktur dazu aufruft, eine schöne Schüssel aus ihm entstehen zu lassen. Es kommt auch vor, dass ein Stein mehrere andersfarbige Schichten hat. Dann kann man aus ihm zum Beisiel eine schöne Christus-Statuette schleifen. Man kann nicht den Stein einfach nur so in die Hand nehmen und irgendetwas daraus zu machen. Man muss den Stein eine Weile beobachten und sich fragen, wozu er geeignet ist. Wenn man es dann weiß, muss man versuchen, es auch dem Stein abzugewinnen. Es ist nämlich drin, und man ist verpflichtet, es herauszubekommen.“

Jaspis,  foto: Wikimedia Commons
Achat, Ametyst, Bergkristall. Jaspis, Malachit, Rosenquarz, Tigerauge – das sind nur einige wenige Namen von Steinen, die man sich kauft, weil sie so schön sind. Den Steinen wird auch eine magische Kraft zugeschrieben und sie werden mit den Sternzeichen verbunden. Auch Sie haben diese Steine im Angebot.

„Wissen Sie, ich glaube, dass alles durch den Kopf gehen muss. Wenn jemand zu mir kommt und sagt, er möchte einen Stein gegen Probleme mit der Gallenblase, dann empfehle ich ihm einen Doktor aufzusuchen. Den Stein soll er sich aber auch kaufen, denn es gilt doch: Glaube und dein Glaube heilt.“

Wie viel Mühe kostet es, so einen Stein zu bearbeiten?

„Das ist unterschiedlich. Wenn man sein Brot in diesem Metier verdienen will, dann versucht man, den einzelnen Stein maximal zu nutzen. Man schneidet daraus größere Stücke, und dann sucht man eine Verwendung auch für die restlichen etwa zwei bis zehn Zentimeter großen Steinstücke. Sie werden geschliffen und poliert. Wenn man sich nur auf einen Gegenstand konzentriert, und sich nur mit ihm bis zu seiner Vollendung beschäftigt, dann ist es unrentabel.“

Das Steinschleifen kann hierzulande auf eine alte Tradition zurückblicken. Kann man sich aber in der heutigen Zeit von diesem Metier noch leben?

„Wenn wir davon nicht leben könnten, würden wir es nicht machen. Auf keinen Fall wird man dadurch finanziell reich. Man wird aber anders reich. Man kreiert etwas und arbeitet mit einem Naturprodukt. Und das ist daran unsagbar schön. Meine Stimme wird weich, denn es geht mir zu Herzen. Kurzum, es ist der Stein, und man muss mit ihm leben.“