„Moralische Pflicht“: Diskussion über Flüchtlinge geht weiter

Tomáš Halík, Foto: Pavla Kopřivová, Archiv des Tschechischen Rundfunks

Auf einer Uno-Konferenz haben sich vor kurzem die westlichen Länder verpflichtet, bis 2016 insgesamt etwa 100.000 Flüchtlinge aufzunehmen, die vom Konflikt in Syrien betroffen sind. Die Regierung hierzulande blockt aber derzeit ab in dieser Frage. Ihr Verhalten gegenüber den Flüchtlingen war am Sonntag dann das Thema in einer Talkshow des öffentlich-rechtlichen Tschechischen Fernsehens.

Tomáš Halík,  Foto: Pavla Kopřivová,  Archiv des Tschechischen Rundfunks
Die tschechische Regierung hat vor einer Woche verlauten lassen, Tschechien habe keine Kapazitäten, um mehrere Tausend syrische Flüchtlinge aufzunehmen, und außerdem bestünden Sicherheitsbedenken. Das Kabinett soll mittlerweile aber angeboten haben, wenigstens syrische Kinder mit ihren Eltern nach Tschechien zu bringen sowie kranke oder verletzte Kinder in tschechischen Kliniken behandeln zu lassen. Tomáš Halík ist Theologe, Priester und Professor der Prager Karlsuniversität. In der Fernsehdebatte am Sonntag erklärte er, Europa habe eine moralische Pflicht, Flüchtlinge aus dem Nahen Osten und Afrika trotz eventueller Risiken aufzunehmen.

„Die heutige Zeit ist, was die Migration von Menschen betrifft, mit der Epoche des Zerfalls des Römischen Reichs vergleichbar. Migranten flüchten nicht, weil sie ein angenehmeres Leben führen wollen, sondern sie fliehen vor dem Tod. Die Zahl der verfolgten Menschen liegt heute viel höher als zuvor, und konkret ist die Zahl der verfolgten Christen stark angestiegen. Europa ist verpflichtet, sich den Verfolgten zu öffnen. Dies birgt natürlich bestimmte Risiken im Wirtschafts- und im Sicherheitsbereich. Es ist aber notwendig, über die Art der Integration dieser Minderheiten nachzudenken. Einfacher ist es in Ländern, in denen Flüchtlinge bereits auf eine größere Gruppe ihrer Landsleute treffen.“

Dies ist in Tschechien kaum der Fall. Halík zufolge sei jedoch dringend notwendig, sich mit den Verfolgten solidarisch zu zeigen. Seiner Meinung stimmte auch der Wirtschaftswissenschaftler Jan Švejnar zu. Er sei selbst politischer Flüchtling gewesen, erklärte Švejnar:

Jan Švejnar,  Foto: Anna Duchková,  Archiv des Tschechischen Rundfunks
„Die Frage ist, wie die neue Welle von Flüchtlingen zu integrieren ist, damit diese Menschen vorübergehend oder langfristig wirklich Mitglieder unserer Gesellschaft werden. Es ist notwendig, darüber mit der Bevölkerung hierzulande zu diskutieren und sie aufzuklären.“

Im schlimmsten Fall könnten die Bemühungen um eine Integration auch mit einem Anwachsen von Intoleranz und Radikalismus enden. Dabei dürften die Flüchtlinge nützlich sein für die europäischen Länder, so Švejnar. Denn ganz Europa brauche hauptsächlich junge Menschen.

Der tschechische Innenminister Milan Chovanec erwähnte vor kurzem die Möglichkeit, ein Referendum über die Aufnahme von Flüchtlingen durchzuführen. Derartige Vorschläge hält Jan Hartl für sinnlos, er leitet das Meinungsforschungsinstitut Stem. Hartl glaubt, dass Tschechien im Unterschied zu den Ländern Westeuropas nicht darauf vorbereitet sei, Fremde aufzunehmen.

„Für viele Menschen hierzulande stellen die Flüchtlinge eine imaginäre Bedrohung dar, einfach etwas, das sie nicht kennen. Darum haben sie eine negative Haltung gegenüber einer eventuellen Aufnahme von Migranten. Hierzulande ist eine langfristige und geduldige Arbeit mit der Öffentlichkeit notwendig. Wir sind zu einem unnatürlich homogenen Volk geworden, nachdem wir die deutsche Minderheit vertrieben haben. Mit einer Welle von Flüchtlingen aus einer anderen Kultur wissen sich hierzulande weder die Politiker, noch die Behörden einen Rat. Auch demokratische Parteien zögern, weil sie keine Wählerstimmen wegen einem so sensiblen Thema verlieren wollen. Die Menschen dürfen aber nicht glauben, dass das Problem gelöst sei, wenn wir die Augen und die Türen verschließen.“