Nachlese zu den tschechischen Senatswahlen
Im heutigen Schauplatz wirft Robert Schuster noch einmal einen Blick auf die Ergebnisse der jüngsten tschechischen Senatswahlen, die nicht nur der gegenwärtigen Opposition einen erdrutschartigen Sieg brachten, sondern bei denen insbesondere die Wahlbeteiligung auf ein neues Rekordtief fiel.
Vorvergangenes Wochenende fand in Tschechien die Stichwahl zum Senat, der zweiten Kammer des tschechischen Parlaments statt. Wohl noch nie sind aber nach den Wahlen in diese Parlamentskammer bei Politikern und Parteien die Emotionen vergleichbar hochgegangen, wie diesmal. Die oppositionelle rechtsliberale Demokratische Bürgerpartei (ODS), welche die Wahlen haushoch gewonnen hat, forderte angesichts der schwachen Ergebnisse für die Parteien der Mitte-Links-Regierung des sozialdemokratischen Premierministers Stanislav Gross, die Auflösung der ersten Kammer, also des Abgeordnetenhauses und vorzeitige Neuwahlen. Die Sozialdemokraten wiederum, die in der Stichwahl drei ihrer Kandidaten hatten, aber letztendlich leer ausgingen, forderten gar die Abschaffung des Senats und begründeten das mit der konstant niedrigen Wahlbeteiligung, die angeblich der Beweis für die geringe Akzeptanz des Senats wäre.
Für die tschechischen Sozialdemokraten war es übrigens nicht das erste Mal, dass sie bei den Senatswahlen derart schlecht abgeschnitten haben. Schon in der Vergangenheit musste die Partei auf einige Senatssitze, die bereits als sicher galten, letztlich verzichten. Die schlechten Ergebnisse für die stärkste Regierungspartei verwundern vor allem im Vergleich mit ihrer schärfsten Konkurrentin, der rechtsliberalen ODS. Der Politikwissenschaftler Zdenek Zboril von der Prager Karlsuniversität, mit dem wir uns im Folgenden unterhielten, meint die Gründe dafür zu wissen:
"Ich denke, dass die sozialdemokratische Partei zwar fast gleich so viele Mitglieder hat, wie die Bürgerdemokraten, aber im Gegensatz zu ihrer großen Konkurrentin hat sie eine bedeutend geringere Vertretung in den Bezirken und Kreisen. Bei Wahlen, die nach dem Mehrheitsprinzip verlaufen, sind dann die sozialdemokratischen Kandidaten weniger bekannt. Wenn man dann noch die Kampagne dazurechnet, bei der mit dem Gesicht des Parteivorsitzenden geworben wird, der gar nicht zur Wahl steht, dann ist das eine gute Vorrausetzung dafür, dass so eine Partei bei diesen Wahlen scheitert."Ein weiteres Thema, dass bei den jüngsten Senatswahlen für Gesprächsstoff sorgte und wie bereits kurz angedeutet, die Sozialdemokraten dazu veranlasste laut über eine Abschaffung des Senats nachzudenken, war die niedrige Wahlbeteiligung. Mit diesmal knapp 19 Prozent bei der zweiten Runde fiel sie sogar auf ein neues Rekordtief. So wie auch in den Jahren zuvor, gab es auch diesmal insbesondere zwischen dem ersten Durchgang und der Stichwahl große Unterschiede, was damit zusammenhängt, dass die erste Runde der Senatswahlen stets mit einem anderen Wahlgang verbunden wird - z.B. mit den Kommunal- oder Regionalwahlen, was die Wähler motiviert die Wahllokale aufzusuchen.
Lässt sich also die traditionell geringe Wahlbeteiligung bei der Stichwahl zum Senat so interpretieren, wie es die Sozialdemokraten tun - nämlich, dass die Wähler die Existenz der zweiten tschechischen Parlamentskammer prinzipiell ablehnen? Dazu meint der Politologe Zboril:"Ich würde sagen, dass dies nur teilweise zutrifft. Natürlich kann man das auch als Ausdruck einer gewissen Politikverdrossenheit interpretieren, aber das muss bei weitem nicht bedeuten, dass der Senat nicht wichtig wäre. Es ist eher so, dass viele Wähler nicht genügend über die Aufgaben der zweiten Kammer informiert sind. Gerade in den vergangenen Jahren hat sich aber gezeigt, dass es durchaus Sinn macht eine parlamentarische Kontrollinstanz zu haben, die parallel zum Abgeordnetenhaus arbeitet, ebenso eine Institution, die sich die Zeit für eine gut überlegte Auswahl der Verfassungsrichter nehmen kann. Die Unkenntnis über diese wichtigen Aufgaben des Senats führt dazu, dass viele dann die Wichtigkeit des Senats unterschätzen."
Obwohl die tschechische Verfassung, die ab 1. Januar 1993 in Kraft trat von Beginn ein parlamentarisches System mit zwei Kammern vorsah, dauerte es weitere drei Jahre, bis tatsächlich die ersten Wahlen zum Senat stattfanden. Der Grund für diese Verzögerung war in erster Linie die lange Suche nach einem geeigneten Wahlmodus, der die damalige Koalitionsregierung vom Ministerpräsident Vaclav Klaus permanent entzweite. Obwohl die Verfassung relativ klar eine Mehrheitswahl festlegte, ging es bei den langen Beratungen um die Details. Im Vordergrund standen natürlich in erster Linie Befürchtungen der kleinen Regierungspartner, sie könnten von der ODS als stärksten Regierungspartei, überrundet werden. Letztlich wurde der jetzige Modus vereinbart, wonach für den Fall, dass kein Bewerber im ersten Durchgang die absolute Mehrheit erreicht, es zu einer Stichwahl kommt, bei der nur die relative Mehrheit entscheidend ist. Wider Erwarten hat aber dieses System gerade den kleinen Parteien oft unerwartete Siege gebracht, auch wenn deren Bewerber nach dem ersten Durchgang nur auf Platz zwei landeten. Auf Grund der in der zweiten Runde eingetretenen niedrigeren Wahlbeteiligung und einer Art Solidaritätseffekt der anderen Parteien gegen den Sieger der ersten Runde, konnten dann oft die ursprüngliche Reihenfolge der Kandidaten umgedreht werden. Das ist eine Entwicklung, die von vielen Politikexperten allgemein begrüßt wird, da auf diese Weise in der Vergangenheit einige profilierte Persönlichkeiten aus der Sphäre der Kommunalpolitik den Sprung in den Senat schafften, wie der Prager Politikwissenschaftler Zdenek Zboril des weiteren ausführt:
"In den Senat werden zunehmend Persönlichkeiten und Politiker gewählt, die in ihrem bisherigen Wirkungskreis sehr bekannt und größtenteils auch erfolgreich sind. Viele von diesen Politikern haben, würde ich sagen, heute sogar europäisches Format und zwar in dem Sinne, dass sie durchaus auch fähig wären jederzeit nach Brüssel oder Strassburg zu gehen. Dort zeigt sich, dass die Politiker, die vorher Senatoren waren, eine gute Grundvorbereitung haben, nicht zuletzt auch deshalb, weil sie ihre Wähler relativ gut kennen und sie auf eine gewisse Tätigkeit zu Gunsten der Allgemeinheit verweisen können. Ansonsten sollten wir nicht vergessen, dass der Senat nach diesen Wahlen farbiger sein wird, als das Abgeordnetenhaus. Die Zahl der Senatoren, die heute keiner der großen Parteien angehören, beträgt mittlerweile 23. Das ist fast schon ein Drittel aller Senatoren."Es bleibt abzuwarten, ob die jüngste Debatte über die Ergebnisse der Senatwahlen und insbesondere die geringe Wahlbeteiligung zu irgendwelchen Konsequenzen führen wird. Die Politiker haben in diesem Zusammenhang in den vergangenen Tagen jedenfalls eine ganze Reihe von Vorschlägen präsentiert, wie z.B. die Streichung der Stichwahl, oder die künftige Besetzung des Senats durch Vertreter der tschechischen Regionalparlamente. Wie real sind eigentlich diese Vorstellungen? Hören Sie dazu abschließen noch einmal den Politikwissenschaftler Zdenek Zboril von der Prager Karlsuniversität:
"Ich denke, dass alles beim Alten bleiben wird und dass die bitteren Trauben, so wie Ministerpräsident Gross im Zusammenhang mit der verheerenden Niederlage seiner Sozialdemokraten präsentierte, sich bald in Luft auflösen werden. Viele Politiker verkennen nämlich, dass es sich um einen dramatischen Eingriff in die Verfassung handeln würde und vergessen was ebenfalls alles geändert werden müsste. Ganz zu schweigen von den ganzen möglichen Nebeneffekten, die gegenwärtig vielleicht noch gar nicht abzusehen sind. Ich nehme an, dass das wieder vergehen und sich periodisch nach den nächsten Senatswahlen wiederholen wird - je nach dem, welche Partei dann zu den Gewinnern oder Verlieren zählen wird."