Nemorino sucht nach mehr Selbstbewusstsein: Donizettis „Liebestrank“ in der Staatsoper

Gaetano Donizetti - Liebestrank (L‘elisir d‘amore)

In der Prager Staatsoper findet an diesem Freitagabend die erste Premiere dieser Spielzeit statt. Die Neuinszenierung von Gaetano Donizettis Oper „Der Liebestrank“ studierte der Musikdirektor der Staatsoper, Andriy Yurkevych, ein. Kurz vor der Premiere hat Martina Schneibergová mit der Regisseurin Julia Burbach, dem künstlerischen Leiter der Oper des Prager Nationaltheaters und der Staatsoper, Per Boye Hansen, und dem Tenor Petr Nekoranec gesprochen, der die Titelrolle des Nemorino singt. 

Frau Burbach, wovon sind Sie beim Regiekonzept ausgegangen?

Julia Burbach | Foto: Martina Schneibergová,  Radio Prague International

„Wenn ich eine Oper bekomme, setze ich mich zuerst mit dem Titel und der Musik auseinander. Mein erster Schritt dabei ist, nach dem menschlichen Kern und dem Thema zu suchen. Dabei suche ich in mir selbst, in meiner Umwelt und im Text. Ich suche dabei nach etwas, was echt und ehrlich ist. In diesem Fall ist das ganz klar der Protagonist Nemorino, der den Hauptkonflikt dieser Oper austrägt. Bei ihm geht es um das Verhältnis zum Selbstbewusstsein. Das ist ein wirklich ernstes Thema, was aber auch jeder verstehen kann. Das Besondere am Selbstbewusstsein ist, dass man in der Privatsphäre sehr verwundbar ist. Und ich hatte den Gedanken, dass es toll wäre, wenn wir eine Welt hätten, in der wir seinen Konflikt mit dem eigenen Selbstbewusstsein und seiner Unsicherheit besser darstellen könnten. So bin ich auf die Idee mit den Wolken gekommen. Ich habe da immer Bilder etwa von Magritte vor dem inneren Auge und merke dabei: Wolken sind sehr bedeutungsstark. Sie können viel ausdrücken, sie können melancholisch sein, romantisch, kontemplativ, lustig oder atmosphärisch. Für mich stehen sie auch für den Surrealismus. Mir war wichtig, dass wir in einem realistischen Ambiente, hier dem Hotel, auch eine surrealistische Komponente haben, denn in einem Hotel gibt es keine Wolken. Wir haben Wolken, die geflogen kommen und welche, die Tänzer sind. Sie sind sozusagen kleine Freunde von Nemorino und unterstützen ihn: ‚Komm‘, sagen sie, ‚mach mal‘, ‚du schaffst das‘. Das ist im Grunde der Subtext, der ihn auf den richtigen Weg bringt. Und diese Ebene haben wir hinzuerfunden, eigentlich gibt es sie gar nicht.“

Gaetano Donizetti - Liebestrank  (L‘elisir d‘amore) | Foto: Zdeněk Sokol,  Nationaltheater Prag

Wie gewinnt Nemorino an Selbstbewusstsein?

Gaetano Donizetti - Liebestrank  (L‘elisir d‘amore) | Foto: Zdeněk Sokol,  Nationaltheater Prag

„Im Grunde hat er nur ein bisschen Unterstützung gebraucht. Wir wissen ja: Das Elixier existiert eigentlich nicht, es ist nur eine Flasche Rotwein. Aber er glaubt daran. Der Chor am Anfang lacht sich auch kaputt darüber, weshalb meiner Meinung nach klar ist, dass niemand in dieses Elixier vertraut. Nemorino ist der einzige, der dies tut, weil er daran glauben muss. Ich denke, wir Menschen halten manchmal an Dingen fest, von denen wir glauben wollen und müssen, dass sie uns eine Stütze bieten. Da er so fest an die Kraft des Elixiers glaubt, beruhigt er sich. Er ist nicht mehr so unsicher, hat mehr Selbstvertrauen und dadurch auch ein anderes Auftreten. Ab dem Moment, an dem Nemorino Adina nicht mehr hinterherläuft und ihr weniger Aufmerksamkeit schenkt, ist sie sehr fragil und verwundbar. Ich denke, dass die Unsicherheit der Menschen etwas ganz Wichtiges ist. Auf der Bühne verbringe ich viel Zeit damit, sie zu suchen und in den Charakteren zu kreieren. Das Publikum sieht auch sehr gern Verwundbarkeit und ehrliche Emotionen. Ich glaube, da erkennen wir uns selber wieder. Daher ist es so wichtig, dass sich die Sänger öffnen und verwundbar zeigen. Ich denke, dass sich in dieser Begegnung von Nemorino und Adina die Regeln ändern und plötzlich sieht sie ihn anders. Zudem glaube ich nicht, dass Adina auch nur für eine Sekunde an Belcore interessiert ist, in den kann man sich eigentlich nicht verlieben.“

Gaetano Donizetti - Liebestrank  (L‘elisir d‘amore) | Foto: Zdeněk Sokol,  Nationaltheater Prag

Wie funktioniert die Zusammenarbeit mit den Sängern?

Gaetano Donizetti - Liebestrank  (L‘elisir d‘amore) | Foto: Zdeněk Sokol,  Nationaltheater Prag

„Ich liebe meine Sänger sehr. Ich freue mich immer über die Zusammenarbeit mit den Menschen und die Nähe zwischen uns. Und wie alle haben auch sie ihre Stärken und Schwächen, Vorlieben, Muster und Erfahrungen. Und so lernt man sich kennen. Ich versuche, jeden so zu bestärken, dass er das Beste aus sich rausholt. Gerade auch die Arbeit mit zwei Besetzungen ist immer spannend, weil sie sehr verschieden sind, sich aber gegenseitig gut unterstützen. Eine gute Atmosphäre und gute Teamarbeit sind mir da sehr wichtig. Da alle Künstler sehr verschieden sind, entstehen zwei unterschiedliche Endprodukte, obwohl sie an derselben Produktion arbeiten.“


Vincenzo Taormina | Foto: Martina Schneibergová,  Radio Prague International

Herr Hansen, ist „Der Liebestrank“ Ihre erste Zusammenarbeit mit Julia Burbach?

„Ich habe ein paar Inszenierungen von ihr gesehen und mir war sofort klar, dass sie eine Regisseurin ist, die sehr detailliert mit den Sängern arbeitet. Sie hat die Fähigkeit, alles auf der einen Seite sehr narrativ klar darzustellen, und auf der anderen Seite hat sie immer die Hintergründe, den Untertext erläutert. Sehr spannend finde ich auch, wie sie mit dem Bühnenbildner Herbert Murauer zusammenarbeitet, mit dem wir bereits früher kooperiert haben. Sie war Assistentin von Christof Loy, einem sehr bekannten Regisseur. Ich sehe, dass sie ihr Handwerk sehr gut gelernt hat. Insgesamt bin ich enorm glücklich über die Arbeit, die sie hier geleistet hat.“

Wird das Publikum diesmal neue Sänger in dieser Inszenierung erleben?

 Andrij Jurkevych | Foto: Martina Schneibergová,  Radio Prague International

„Ja. Vincenzo Taormina ist ein hervorragender italienischer Buffo-Bassbariton oder Bariton. Es macht einen Unterschied, dass wir einen echten Italiener dabei haben. Unsere Leute sprechen und singen sehr gut italienisch, aber trotzdem ist es sehr inspirierend, wenn wir jemanden im Ensemble haben, der Muttersprachler ist. Der wunderbare Petr Nekoranec singt zum ersten Mal den Nemorino. Pavel Kubáň ist ein Bariton, der sehr gewachsen ist. Er war fantastisch in der konzertanten Aufführung von Lucia di Lammermoor. Als Belcore ist er jetzt wirklich ein Klassesänger, den wir im Ensemble haben. Die lettische Sopranistin Vera Talerko, die eine hervorragende Sophie im ,Rosenkavalier‘ war, singt die Partie der Adina – zusammen mit Jana Sibera. Wir haben auch den italienischen Tenor Matteo Desole dabei. Da es zwei Besetzungen gibt, meine ich, dass das Publikum zweimal kommen muss, um den Abend richtig genießen zu können.“

Vera Talerko | Foto: Martina Schneibergová,  Radio Prague International

Herr Nekoranec, Sie haben vor kurzem gesagt, dass viele Ihrer Träume inzwischen im Prager Nationaltheater in Erfüllung gegangen sind. Welche Opernrollen haben Sie damit gemeint?

Petr Nekoranec | Foto: Martina Schneibergová,  Radio Prague International

„In Prag hatte ich wirklich viele Möglichkeiten, verschiedene Partien zu singen – beispielsweise den Romeo, den Ottavio in ,Don Giovanni‘, den Tamino in der ,Zauberflöte‘ und jetzt den Nemorino im ,Liebestrank‘. All das ist ziemlich schnell gekommen, und ich bin sehr dankbar dafür.“

Wie finden Sie die neueste Partie des Nemorino?

„Für einen Tenor um die 30 Jahre ist er ein Traum. Ich bin auch so ein Nemorino in meinem Leben, von daher ist die Rolle für mich schauspielerisch ganz einfach. Ansonsten ist die Partie für einen Sänger aber doch ziemlich anstrengend.“

Gaetano Donizetti - Liebestrank  (L‘elisir d‘amore) | Foto: Zdeněk Sokol,  Nationaltheater Prag

Die Regisseurin Julia Burbach sieht Nemorino als einen jungen Mann, dem es an Selbstbewusstsein mangelt…

„In unserer Produktion ist er zweifelsohne kein Idiot, er ist einfach ein ganz normaler junger Mann, mit dem sich vermutlich viele Menschen identifizieren können. Ich habe zuvor die einzelnen Arien schon öfter gesungen, habe sie aber noch nie in einer Vorstellung vorgetragen.“

Die Premiere der Neuinszenierung von Donizettis „Liebestrank“ findet an diesem Freitag um 19 Uhr in der Prager Staatsoper statt. Es gibt noch Restkarten.