Neue Nachwuchsschmiede für Germanisten

Das Wendejahr 1989 hat in der damaligen Tschechoslowakei einen Umbruch mit sich gebracht - schlagartig und flächendeckend. Neben Politik und Wirtschaft gab es auch viele andere Bereiche, die auf den revolutionären Wandel der gesellschaftlichen Verhältnisse mit der Gründung neuer Einrichtungen und Institutionen zu reagieren hatten. Gleich zu Beginn dieser neuen Gründerzeit erwies sich die herbeigesehnte Grenzöffnung als ein ausschlaggebender Faktor für den allgemeinen Aufschwung. Mit ihr hat aber auch ein großer Nachholbedarf an Fremdsprachenkenntnissen Einzug ins Land gehalten. In Nordböhmen hat man flexibel auf die neue Situation reagiert: Am 28. September 1991 wurde in Usti nad Labem /Aussig offiziell eine neue Universität gegründet. Doch noch vor diesem Datum hat man an der Pädagogischen Fakultät in Usti den Lehrstuhl für Germanistik ins Leben gerufen, der sich mittlerweile nicht nur als Nachwuchsschmiede junger Deutsch-Lehrer einen Namen gemacht hat. Mit der stellvertretenden Leiterin Renata Cornejo unterhielt sich kürzlich Jitka Mladkova am Rande einer tschechisch-deutschen Literaturkonferenz:

Frau Cornejo, wer hat sich das Thema der Konferenz, veranstaltet vom Lehrstuhl für Germanistik an der Universität in Usti nad Labem, einfallen lassen?

"Das war eigentlich das Resultat einer Teamarbeit. Wir haben natürlich überlegt, welches Thema für die Konferenz zu wählen ist, nachdem ähnliche Konferenzen bereits in Ceske Budejovice (Budweis) und Brno(Brünn) stattgefunden haben. In Budweis war es das Thema des Kosmopolitismus in der modernen österreichischen Literatur, und ein Jahr darauf in Brünn gab es das Leitmotto 'Kunst und Musik, Literatur und Musik'. In Absprache mit Professor Schmidt-Dengler von der Wiener Universität und mit meinem Kollegen Ekkehard Harring sind wir auf das Thema 'Wendezeit' gekommen. Wir fanden es ganz aktuell, und dies auch in Bezug auf Usti, da unser Lehrstuhl für Germanistik eigentlich auch ein Wendekind ist. Wir sind nach 1989 entstanden. Damals gab es hier keine Germanistik. Dies ist eigentlich erst durch die Wende möglich geworden."

Da will ich gleich einhaken: Waren Sie dabei, als der Lehrstuhl für Germanistik in Usti aus der Taufe gehoben wurde?

"Das kann ich im Prinzip bejahen, weil ich im September 1990 hier in Usti angefangen und auch bei der Gründung der Universität offiziell mitgemacht habe. Vorher gab es hier einen Lehrstuhl für Fremdsprachen, der dann in einzelne Abteilungen umgebaut wurde, und so entstand auch die 'selbstständige' Germanistik. Die haben wir in den nachfolgenden Jahren ausgebaut und wir können uns heutzutage, glaube ich, mit unseren Pendants ganz gut messen - und dies nicht nur im Rahmen der Tschechischen Republik."

War es schwer, einen funkelnagelneuen Studiengang aufzubauen? Gab es dabei Probleme, Stolpersteine, Hindernisse, oder lief alles reibungslos?

"Das erstere war der Fall. Es war ein schwieriger Weg. Besonders am Anfang war es wichtig, vor allem Kontakte mit ausländischen Germanistikinstituten zu knüpfen - nach Deutschland, nach Österreich. Das ist uns aber allmählich gelungen, sodass wir jetzt auch etliche Gemeinschaftsprojekte umsetzen können. Erst durch diese Kontakte war es nach und nach möglich, z.B. eine Bibliothek zu gründen. Am Anfang hatten wir überhaupt nichts. Um die technische Ausrüstung hat sich zum Teil das tschechische Ministerium für Bildungswesen gekümmert, aber die Beschaffung von Fachliteratur, die Herstellung von Kontakten, die unseren Studenten auch das Ausreisen ermöglichen, das allgemein betrachtet für Germanistikstudierende und künftige Lehrer sehr wichtig ist, also das alles war in der Tat ein schwieriger und langfristiger Weg. Nun aber, denke ich, haben wir ihn gut gemeistert, und heute können wir mit Zufriedenheit auf die zurückliegenden 15 Jahre zurückblicken."

Eine positive Bilanz also!

"Durchaus eine positive Bilanz! Wir konnten u.a. einen multimedialen Studienraum für unsere Studenten mit Video-, Satelliten- und Computertechnik sowie mit Fachliteratur einrichten, der im Rahmen unserer Republik glaube ich einmalig ist. Wir haben aber auch mehrere Bibliotheken, nicht nur diese Mediothek, sondern auch eine eigene Lehrstuhlbibliothek, eine Österreichische Bibliothek oder eine Schweizer Bibliothek. Es ist uns auch gelungen, unser Lehrangebot durch Gastvortragende zu bereichern, die immer sehr gerne aus den deutschsprachigen Ländern zu uns nach Usti kommen."

Das hört sich gut an. Das ist vielleicht auch ein Vorteil, wenn man etwas sozusagen auf der grünen Wiese neu aufbaut. Wie viele Stundenten und Studentinnen haben Sie und wie groß ist das Interesse, hier in Usti zu studieren? Ich nehme an, hier studieren Menschen nicht nur aus dieser, sondern auch aus anderen Regionen des Landes.

"Das war eigentlich der Grund, warum hier die Germanistik entstanden ist, weil natürlich unsere nordböhmische Region einen sehr hohen Bedarf an Deutschlehrern hat. Die deutsche Sprache, auch wenn die Schulministerin vielleicht anderer Meinung ist, wird hierzulande vor allem in den Grenzregionen immer als eine wichtige Kommunikationssprache eine wichtige Rolle spielen. Wir haben derzeit etwa 300 Studenten und Studentinnen. Vorwiegend sind es aber junge Frauen, die bei uns als angehende Lehrerinnen studieren. Wie Sie selber angedeutet haben, decken wir nicht nur den Bedarf der nordböhmischen Region, sondern es melden sich bei uns mittlerweile auch Bewerber aus anderen Gebieten der Republik, weil sie sehr zu schätzen wissen, dass sie bei uns ein gutes Klima zum Studium finden und dass wir sie individueller behandeln, als es die großen Universitäten mit Tausenden von Stundenten können. Um dem Bedarf in der Region oder überhaupt dem landesweiten Bedarf an Deutschlehrern zu entsprechen, haben wir zunächst aufgrund einer Studie feststellen müssen, dass es weiterhin sehr viele unqualifizierte Lehrkräfte für Deutsch an tschechischen Schulen gibt, und wir haben in der Folge ein kombiniertes Studium in diesem Semester angeboten. Es geht um Lehrer, die bereits unterrichten und sich bei uns für das Fach Deutsch voll qualifizieren können. Sie kommen einmal pro Woche und ergänzen ansonsten ihre Kenntnisse auch durch Selbststudium, um faktisch dasselbe wie die Studenten im Direktstudium zu absolvieren. Ab nächstem Jahr werden wir zum Bakkalaureatsstudium die interkulturelle Germanistik anbieten. Ich glaube, dass das auch sehr attraktiv sein wird. Wir sind die ersten in der Republik, die dieses Studienfach, das höchst interdisziplinär konstruiert wird, einführen werden. Es geht um ein breit gefächertes Spektrum, zu dem z.B. auch das Studium von Musik oder Architektur gehört. Wir wollen Leute ausbilden, die nicht nur über gute Deutschkenntnisse, sondern auch über viele kulturelle Kenntnisse aus dem Bereich der tschechisch-deutschen Beziehungen verfügen. Da versprechen wir uns einen großen Zulauf."

Usti nad Labem hat eine gute Lage, liegt ja nur einen Katzensprung von der deutschen Grenze entfernt. Wie sieht es mit den Beziehungen zu dem Nachbarland aus?

"Wir haben eine sehr enge Beziehung zu unserem Nachbarland Sachsen, insbesondere zu Dresden. In der Anfangsphase, also in der Aufbauphase unseres Lehrstuhls für Germanistik, als es bei uns an qualifizierten Lehrkräften gemangelt hatte, hatten uns unsere Kollegen aus Dresden ausgeholfen. Außerdem hatten wir von dort zwei langjährige nun schon ehemalige Kollegen, die uns von Beginn an tatkräftig halfen. Wir haben in unser Studienangebot z.B. auch eine Exkursion eingebunden, die vorsieht, dass jeder Deutschlehrer nach Dresden und nach Sachsen fährt, um dieses Land kennen zu lernen. Wir haben hier auch eine Studenteninitiative gehabt, aus der im Jahr 1999 eine Studentenvereinigung mit dem Namen Janua entstanden ist. Die hat sich inzwischen in GFPS CZ umbenannt und setzt sich für die Vertiefung der Beziehungen zwischen jungen Tschechen und Deutschen ein. Sie bietet Sprachkurse an, vermittelt Stipendien, veranstaltet gemeinsame Treffen usw."

Das alles klingt sehr positiv. Gibt es auch etwas, wo die Lehrkräfte oder die Studenten und Studentinnen der Schuh drückt? Haben Sie auch noch irgendwelche Probleme?

"Es gibt sicherlich immer etwas, womit man nicht zufrieden ist, aber das sind eher Probleme, die wir nur schwer beeinflussen können. Ich denke, mit unserer Arbeit können wir zufrieden sein. Die Frage ist, inwieweit wir uns auch künftig im Rahmen der international vorgesehenen so genannten Bologna-Umstrukturierung behaupten können. Ob wir dann z.B. auch Lehrer für Gymnasien werden ausbilden können, das ist ja eine existenzielle Frage. Der Schuh, der uns drückt, ist nach wie vor die Entlohnung der Lehrkräfte, denn es gilt: Je qualifizierter, desto schwieriger ist es für uns, eine Lehrkraft zu gewinnen. Das ist aber nicht nur unser Problem, das gilt für die ganze Republik."

Abschließend zurück zu der Konferenz. Wo sehen Sie das Ziel dieses Symposiums, das mit hochkarätigen Literaturwissenschaftlern besetzt ist?

"Sicherlich ist eines der Ziele, dass sich die Universität und unser Lehrstuhl und damit auch unsere Stadt präsent machen, indem ihnen durch die Anwesenheit der Experten eine bestimmte Bedeutung verliehen wird. Es ist sicher auch wichtig, dass sich das Treffen auf die österreichische Literatur konzentriert, weil diese seit längerer Zeit auch einen der Schwerpunkte unserer Forschungen darstellt. Des Weiteren verfolgten wir damit das Ziel, Fachkollegen zusammenzuführen, denn dabei entstehen oft sehr interessante Ideen. Von diesen können wir dann weitere fünf Jahre oder sogar noch länger leben. Nicht zuletzt ist es auch eine gute Gelegenheit für unsere Studenten, mal den Ablauf so eines internationalen Gremiums aus der Nähe zu sehen, weil sie sonst kaum die Möglichkeit haben, an einer derartigen Konferenz im Ausland teilzunehmen. Das ist ein Gewinn für sie."

Vielen Dank für das Gespräch.