Trilaterales Historikerseminar in Prag

Ende November fand in Prag ein besonderes Geschichtsseminar statt: Studenten aus Wien, München und Prag diskutierten über die gemeinsame Geschichte. Im nun folgenden Kapitel aus der tschechischen Geschichte berichtet Katrin Bock über diese internationale Lehrveranstaltung.

Prof. Ivan Wilhelm
Rund 40 Studentinnen und Studenten hatten sich Ende November in der Prager Karlsuniversität versammelt - nichts besonderes auf den ersten Blick, doch diese Studierenden kamen von drei verschiedenen Universitäten in drei verschiedenen Ländern, um in Deutsch über die Entstehung und Geschichte der Tschechoslowakei zu diskutieren. Prof. Arnold Suppan von der Wiener Universität erläutert, wie es zu diesem Projekt kam:

"Die Initiative zu diesem trilateralen Seminar ging vom Prager Rektor, Prof. Wilhelm aus, der bei einem Rektorentreffen den Wiener Rektor, Prof. Winkler angesprochen hat und mit entsprechenden logistischen Unterstützung seitens der Rektoren, womit natürlichen auch entsprechende finanzielle Zuschüsse gemeint sind, haben wir dieses Seminar im Oktober in Wien gestartet, also ungefähr vor vier Wochen saßen wir zwei Tage in Wien zusammen und haben das Thema Tschechen und Deutsche in den böhmischen Ländern in der Habsburger Monarchie also von 1848 bis zum Ersten Weltkrieg abgehandelt. Jetzt erfolgt hier der zweite Teil an der Karlsuniversität über die Zwischenkriegszeit und der dritte Teil - Zweiter Weltkrieg und Nachwehen - kommt dann Ende Januar 2005 in München."

Das Interesse an diesem besonderen Seminar war an allen drei Universitäten enorm groß. Dies lag bestimmt auch an der Möglichkeit, die anderen beiden Städte zu besuchen. Wie sieht es aber ansonsten mit dem Interesse an tschechischer Geschichte in Wien und München aus? Hören wir zunächst einmal etwas über die Lage in Wien von Professor Suppan:

"Das Interesse an der Geschichte der böhmischen Länder ist relativ hoch, wenn man es vergleicht mit anderen Ländergeschichten - wenn ich eine Vorlesung oder ein Seminar zur Geschichte der Böhmischen Länder mache - das gilt auch für die frühe Neuzeit - kann ich sicher sein, dass ich mehr Studierende zusammenbringe als zur Geschichte Skandinaviens, Spaniens oder auch der britischen Inseln. Das Thema fassen schon die meisten so auf, dass es Teil unserer gemeinsamen, mitteleuropäischen Vergangenheit ist - es ist also nicht so ein Allerweltsthema, sondern zählt sozusagen zu unseren Themen."

Auch in München interessiert man sich für die Geschichte des Nachbarlandes, wie Prof. Martin Schulze-Wessel bestätigt:

"Aber ich stelle auch sonst fest, dass das Interesse an tschechischer Geschichte groß ist. Ich hatte im letzen Semester eine Vorlesung über tschechische Geschichte mit 100 Hörern. Und das Interesse Tschechisch zu lernen, nimmt auch zu."

Was meinen Sie, woran liegt das?

Professor für Geschichte Osteuropas an der Ludwig-Maximilians-Universität München Martin Schulze-Wessel
"Dass es im Moment zunimmt, hängt sicherlich mit der EU-Erweiterung zusammen auch damit, dass an einzelnen Schulen in Deutschland ja Tschechisch schon unterrichtet wird und auch damit, dass es selbstverständlicher wird, nach Tschechien zu reisen."

Für Julian Schilling, Geschichtsstudent in München, gibt es mehrere Gründe, sich für die tschechische Geschichte zu interessieren:

"Vielleicht auch persönlich, weil ich einen tschechischen Freund hatte in der Schule, mit dem ich immer mal nach Prag gefahren bin, aber ich fand sehr spannend, gerade auf Grund der sozialistischen Vergangenheit. Ich bin mit dieser kalten Krieg Welt aufgewachsen und habe mich nun nach Westen orientiert und auf einmal war die Mauer weg oder der Eiserne Vorhang weg und Europa wieder vereinigt oder zumindest zugänglich und das finde ich sehr spannend."

Dr. Alena Miskova unterrichtet an der Karlsuniversität. Die Frage, ob das Interesse tschechischer Studenten an deutscher bzw. österreichischer Geschichte groß ist, beantwortet sie wie folgt:

"Ja, eindeutig schon. Obwohl nach der Wende, Anfang 90er war ja das Interesse noch viel größer. Das ist ja ziemlich logisch, weil vorher konnte man diese Themenbereiche nicht bearbeiten, das waren ja Ausnahmen und eher im Dissent. Aber nach der Wende 89 gründete man in Prag den Lehrstuhl für deutsche und österreichische Studien und da besteht ja noch immer Interesse. Obwohl, dieser Boom ist schon gewissermaßen vorbei.Es ist vielleicht ja auch besser, heute kann man sagen, es sind ja wirklich Interessenten, die Studenten, die das Thema wirklich irgendwie anzieht, und abgefallen sind die Studenten, die gerade nur diesem Boom entsprochen haben."

Das erste Treffen des trilateralen Seminars fand also, wie gehört, bereits im Oktober in Wien statt, in Prag traf man sich nun zum zweiten Mal - wie sieht die Zwischenbilanz aus? Hören wir zunächst Prof. Suppan aus Wien:

"Es war wirklich das erfreulichste Ergebnis der Wiener Zusammenkunft, dass nach sehr geringen Anlaufschwierigkeiten schon am zweiten Halbtag in Wien es nicht mehr wirklich feststellbar war, höchstens vom einen oder anderen Akzent, wer jetzt eigentlich welche Meinung vertritt, jeder Studierende eben seine Meinung und das gilt ja auch für uns Professoren und so ist es hier jetzt sofort ohne Anlaufschwierigkeiten so weiterging. Das kann ich als sehr erfreuliches Ergebnis feststellen, dass diese Zugänge völlig offener geworden sind in der jüngeren Generation."

Als positives Ergebnis sieht Dr. Miskova von der Prager Karlsuniversität die Möglichkeit, Studierende aus anderen Ländern kennen zu lernen:

"Am Anfang war das nur ein Experiment - man wusste nicht, was daraus wird. Die Studenten haben in Wien schon viel Zeit gemeinsam miteinander verbracht untereinander diskutiert auch unabhängig von uns Professoren und das ist vielleicht ja auch eins der sehr wichtigen Ergebnisse dieses Seminars."

Dass es inzwischen wirklich keine rein nationalen Standpunkte mehr gibt, bestätigt auch Prof. Wessel-Schulze aus München:

"Das Interessante an dem Seminar ist, dass im Grunde keine nationalen Positionen gegeneinander aufgebaut werden, sondern dass einfach eine lebhafte Diskussion zwischen jungen Studierenden stattfindet, Unterschiede bestehen nicht mehr in den nationalen Sichtweisen, sondern eher in der Art und Weise, wie in einem Hauptseminar diskutiert wird und das ist auch vorteilhaft, dass man so etwas mal austauscht und kennen lernt."

Einen weiteren großen Vorteil des trilateralen Seminars hob in diesem Zusammenhang Prof. Suppan aus Wien hervor:

"Es erweist sich als gut, ich habe irgendwie das Gespür, dass das Trilaterale schon etwas mehr bringt als das Bilaterale - das Trilaterale lockert es von vornher mehr auf. Es ist gar nicht möglich A oder B zu sagen, es ist schon ein dritter dabei, der eine ganz andere Fragestellung einbringt. Das hat man in Wien gesehen. Die deutschen Kollegen sind ja mit den Fragen der Geschichte der Habsburger Monarchie nicht so vertraut. Dieses spezifisch altösterreichische, dieser Sprachenkampf ist vielen außerhalb, also auch den Deutschen nicht so geläufig. Und siehe da, es haben einige deutsche Studierende so ganz, scheinbar unschuldige Verständnisfragen gestellt, die uns dann eigentlich zu ganz anderen Antworten gezwungen haben - das hat sofort gezeigt, der trilaterale Ansatz ist schon vom Ansatz her wichtiger als der bilaterale."

Wie hat es nun den Studenten gefallen? Wie Z.B. Madla Kordova aus Ceske Budejovice:

"Ja das ist ganz interessant, es gibt nicht so viele Möglichkeiten, dass sich diese drei Unis treffen, deshalb finde ich es ganz toll."

Stellvertretend für die deutschen Studenten lassen wir noch einmal Julian Schilling zu Wort kommen:

"Es wurde hier eigentlich im Nachhinein klar, wie sehr man dieselbe Fachliteratur benutzt, und mal verschiedene Meinungen aus dem anderen Lager zu hören, war spannend, weil in München sind sich eigentlich fast immer alle einig - und hier dann also diese feinen kleinen Unterschiede, die dann doch bei aller Harmonie auftreten, die sind eben spannend, und das interessiert mich an dem Seminar."

Nach so viel positiver Resonanz kann die Frage nach einer Fortsetzung des trilateralen Seminars natürlich nicht fehlen.

"Ich möchte das unbedingt fortführen. Es hat auch meinen Kollegen in Wien, die zugehört haben, also sofort gefallen, es haben sofort einige gesagt, das möchte ich im nächsten Jahr auch machen, sage ich, o.k. mach, ich unterstütze dich als Institutsvorstand und der Rektor ist sicher bereit einige Euro zu spenden."

Neben Prof. Suppan aus Wien plädiert auch seine Kollegin, Dr. Miskova für eine Fortsetzung:

"Es wäre ja schön, es können ja vielleicht auch andere Themenbereiche sein, selbstverständlich können auch Fehler, die wir jetzt begangen haben ja wieder korrigieren. Unser Thema war ja vielleicht zu breit, aber eindeutig kann man sagen, es hat einen Sinn, gemeinsam diese Seminare zu halten und im Prinzip, diese Seminare sind ja die ganz offizielle Lehrveranstaltung einzelner Universitäten einbezogen worden."