Neue umfassende Dokumentation und Präsentation des Werkes von Adolf Loos

Villa Müller in Prag

Seine Werke werden meist im Zusammenhang mit Wien gesehen. Etwa sein ebenso berühmtes wie umstrittenes Haus am Michaelerplatz. In Prag hat es sein Spätwerk, die Villa Müller, zu einiger Berühmtheit gebracht. Es geht um den Architekten Adolf Loos. Der heftige Kritiker der angewandten Kunst verfasste zahlreiche scharfe Artikel zu essentiellen Geschmacksfragen. In seiner Streitschrift „Ornament und Verbrechen“ wandte er sich im Jahr 1908 ganz entschieden gegen alle überflüssigen Verzierungen an Gebrauchsgegenständen. Diese seien schlicht überflüssig und eine reine Kraftverschwendung. Weit weniger bekannt ist das Werk von Adolf Loos in Böhmen und Mähren. Tschechische Kunsthistoriker haben sich auf Spurensuche begeben und im Rahmen eines mehrjährigen Projektes die noch vorhandenen Teile des umfassenden Schaffens von Adolf Loos dokumentiert. Die Ergebnisse sind derzeit im Museum der Hauptstadt Prag zu sehen. Daniel Kortschak war bei der Eröffnung.

Adolf Loos
„Adolf Loos wurde im Jahr 1870 in Brünn geboren. Als Architekt sah er sich eigentlich gar nicht. Dennoch hat er mit seinen Ansichten und vor allem durch sein Werk die Generation seiner Zeitgenossen sowie diejenige seiner Nachfahren entscheidend beeinflusst. Seine Artikel und Vorträge, in denen Adolf Loos für die Sachlichkeit, den Pragmatismus, die Sparsamkeit und die Rationalität im architektonischen Denken eintrat und sein Schaffen als Gestalter von Innenräumen und Architekt riefen in Wien schon vor dem Zweiten Weltkrieg heftige Diskussionen hervor. Die Radikalität seiner Ansichten relativierte Loos in seinem Werk: Seine von der Verwendung nobler Materialien und die nüchterne Formensprache ihres Äußeren gekennzeichneten Bauten kontrastieren die behaglichen und geschmackvollen Interieurs.“

So Maria Szadkowska, die Kuratorin der Ausstellung. Besonders hervor getan habe sich Loos durch den radikalen Bruch mit dem Jugendstil und seinem figuralen und ornamentalen Dekor. Die Idee des so genannten Raumplans geht auf ihn zurück. In einem Vortrag in Pilsen im Jahr 1930 erklärte Loos diesen „Raumplan“ so:

„Meine Architektur ist überhaupt nicht in Plänen konzipiert, sondern in Räumen beziehungsweise Kuben. Ich plane keinerlei Grundrisse, Fassaden, Aufrisse. Sondern Räume. Bei mir gibt es kein Erdgeschoss, keinen ersten Stock und so weiter. Bei meinen Entwürfen geht es nur um zusammenhängende, kontinuierliche Räume, Zimmer, Vorräume, Terrassen et cetera. Die Geschosse verfließen ineinander und knüpfen aneinander an.“

Villa Müller in Prag
Gerade die Villa Müller in Prag ist eines der besten Bespiele für das revolutionäre Raumkonzept von Adolf Loos. Damit schuf er auch die Grundlage für viele architektonische Konzepte, mit denen die Generation seiner Nachfolger erfolgreich war.

„Trotz seines ausgeprägten Sinns für soziale Fragen gehörte Loos nicht zu den Anhängern sozialer Experimente in der Architektur. Aber durch sein Schaffen ebnete er dem Konstruktivismus und dem Funktionalismus den Weg. Zu den bekanntesten Werken von Loos gehören das Haus Steiner und das Geschäftshaus Goldman & Saatsch in Wien. Und die Villa Müller in Prag. Nach der sorgfältigen Restaurierung wurde sie wieder der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Die detailgenaue Untersuchung und der eigentliche Renovierungsprozess erlaubten zum ersten Mal in der Geschichte der tschechischen Denkmalpflege sich intensiver mit dem Werk von Loos auseinander zu setzen. Teilweise hat das schon an archäologische Arbeiten erinnert. Nach dem Ende dieser so inspirierenden Arbeit stellten wir fest, dass man auch die weiteren Bauten von Adolf Loos in Tschechien erfassen sollte. Dazu hat das in der Villa Müller beheimatete Adolf-Loos-Forschungs- und Dokumentationszentrum im Jahr 2002 ein ausgedehntes Forschungsprojekt gestartet. Und zwar in dem Wissen, dass es sich dabei um ein Thema handelt, das bisher auch von Fachleuten nur teilweise erforscht und niemals umfassend präsentiert wurde.“

Villa Müller in Prag
Daher sei es von Anfang auch das Ziel der Architekturhistoriker gewesen, die neu gewonnen Erkenntnisse nicht nur zu dokumentieren, sondern auch im Rahmen einer Ausstellung der breiten Öffentlichkeit zu präsentieren. Dank der Zusammenarbeit mit dem Museum der Hauptstadt Prag sei dies auch gelungen. In der ersten Phase des Projektes sei zunächst eine Bestandsaufname der bisher durchgeführten Forschungen zum Werk von Adolf Loos gestanden. Bereits in den 1960er-Jahren habe man in der damaligen Tschechoslowakei allmählich den Wert der Bauten von Loos erkannt und sich intensiver damit auseinander zu setzen begonnen.

Kuratorin Maria Szadkowska: „Das Ergebnis ist die Zusammenstellung einer kompletten Bibliographie, eines Katalogs aller Hinterlassenschaften von Adolf Loos, die Zusammenführung sämtlichen erhaltenen Archivmaterials, das die ursprüngliche Konzeption seiner Bauten wiedergibt und nicht ihre spätere Ausführung und die vielen weiteren Veränderungen in den darauf folgenden Jahren. Durch die Zusammenarbeit mit verschiedenen Institutionen aber auch die Kooperation mit zahlreichen privaten Eigentümern ist es uns gelungen, eine Menge neuer, bisher unbekannter Materialien über das architektonische Schaffen von Adolf Loos in Tschechien aufzuspüren. Besonders spannend war die Arbeit vor Ort. Im Rahmen des Forschungsprojektes haben wir alle Orte, an denen Adolf Loos etwas realisiert hat besucht. Während der Besichtigungen haben wir den derzeitigen Zustand der Objekte aufgenommen und genauestens dokumentiert. Eine ziemlich große Überraschung war für uns, dass der Grad der Zerstörung schon sehr hoch ist. Von den Projekten, die Loos in Tschechien realisiert hat, wurden fünf überhaupt abgerissen.“

Villa Müller in Prag
Diese Erkenntnis habe den Anstoß dazu gegeben, diese teilweise alarmierenden Forschungsergebnisse umfassend zu präsentieren, um ihre Bewahrung zu unterstützen. Dazu hat das Museum der Hauptstadt Prag Ende des Jahres 2003 in Pilsen auch ein internationales Symposium veranstaltet, das sich zu einer wertvollen Plattform zur Rettung des Werkes von Adolf Loos entwickelt habe. Als unmittelbare Folge des Projektes konnten in Pilsen bereits in Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung bereits drei wertvolle Interieurs restauriert werden. Bei drei weiteren laufen gerade die Vorbereitungsarbeiten. Und auch in Brünn widme man sich seit einiger Zeit intensiv der Bewahrung des architektonischen Erbes von Adolf Loos.

In der Ausstellung im Museum der Hauptstadt Prag ist auf zahlreichen Schautafeln eine umfassende Dokumentation der Werke von Adolf Loos zu sehen. Anhand von zahlreichen Fotografien wird der frühere wie der gegenwärtige Zustand der Interieurs und Bauten gezeigt.

Villa Müller in Prag
„Das wertvollste Sammlungsobjekt des Museums in diesem Zusammenhang ist die Fotodokumentation. Dank des Forschungsprojektes und der Ausstellung verfügt das Museum der Hauptstadt Prag über die größte Kollektion von Fotos über den derzeitigen und früheren Zustand des gesamten Werks von Adolf Loos. Wir werden damit zu einer Sammlung, die es durchaus mit der Sammlung des Adolf-Loos-Archivs der Wiener Albertina aufnehmen kann.“

Ergänzt wird die Präsentation durch einige in den Ausstellungsräumen gezeigte Original-Möbel und weitere von Loos entworfene Gegenstände. Im Zuge der Recherchen konnte das Forschungsteam auch so manch höchst interessanten Fund machen, so Kuratorin Szadkowska:

„Hier haben wir das erste Projekt überhaupt von Adolf Loos. Das Haus der Maria Loos in Nedvědice. Dieser Entwurf wurde bisher nie veröffentlicht. Man wusste nichts davon. Erst vor einem Jahr hat man diesen Bau entdeckt. Es ist das Haus, das Adolf Loos 1896 für seine Mutter geplant hat. Es handelt sich dabei um einen für Loos völlig untypischen Entwurf: Eine ganz normale Villa, die man auch in vielen anderen Orten in Mähren und Schlesien finden kann. Allerdings verrät der Grundriss schon klare Anzeichen des für Loos so charakteristischen fließenden Interieurs. Daran ist eindeutig zu erkennen, dass Loos der Autor des Entwurfs ist.“

Mitunter half auch der Zufall bei der Entdeckung und Dokumentation der Interieurs des Architekten Adolf Loos. So etwa in Brünn:

„Ein weiteres sehr interessantes Interieur ist der Umbau eines Reihenhauses in der Jirasková-Straße. Auch von dieser Innenraumgestaltung wusste man lange Zeit nichts. Seine Datierung haben wir vor einem halben Jahr direkt vor Ort vorgenommen: Der neue Eigentümer, der das Haus im Zuge eines Restitutions-Verfahrens bekommen hat, hat sich an uns um Unterstützung bei der Restaurierung gewandt. Unter einer der Original-Tapeten hinter einem Schrank haben wir eine Zeitung gefunden, die als Untergrund für die Tapezierung gedient hat. Und genau auf diesem Stück Zeitung ist das Datum 10.Mai 1910 zu lesen.“

Die Ausstellung findet unter der Patronanz des tschechischen Kulturministers Václav Jehlička statt. Anlässlich der Eröffnung strich der Minister die Bedeutung von Adolf Loos für Tschechien heraus:

„Diese Ausstellung will dem heimischen wie dem internationalen Publikum das unfangreiche Schaffen von Adolf Loos hier bei uns in Tschechien vorstellen. Seine herausragenden Werke sind bei uns bei weitem nicht so bekannt wie zum Beispiel in Österreich oder in Frankreich. Das ist ein Versäumnis, das wir mit diesem Projekt und dieser Ausstellung beseitigen wollen. Ich bin überzeugt, dass sich die Arbeit einer so bedeutenden Persönlichkeit der Weltarchitektur unsere maximale Aufmerksamkeit und Unterstützung verdient. Und mit dieser heute eröffneten Ausstellung wird sie Adolf Loos endlich zuteil. Ich wäre sehr froh, wenn sie dazu beiträgt, das Schaffen des Architekten einer breiteren Öffentlichkeit näher zu bringen.“

Villa Müller in Prag
Der Bürgermeister des sechsten Prager Stadtbezirks, Tomáš Chalupa, betonte die besondere Bedeutung der Villa Müller für seinen Bezirk. Es sei das schönste, was Prag 6 zu bieten habe. Seine Vorfahren allerdings teilten diese Sichtweise nicht unbedingt.

„Meine Familie wohnt ganz in der Nähe der Villa Müller. Als das Haus in der Ersten Republik entstanden ist, hat meine Großmutter gesagt, dass es einen riesigen Aufruhr gab: ‚Niemand hätte erwartet, dass es jemand wagen würde, so etwas Hässliches ausgerechnet im Stadtviertel Střešovice zu bauen. Schau‘ es doch an. Diese Fassade hat nicht einen einzigen Schnörkel.‘ “

Genau diese Schmucklosigkeit hatte man Adolf Loos schon fast 20 Jahre zuvor nach der Fertigstellung seines Geschäftshauses am Wiener Michaelerplatz vorgeworfen. Nicht ein Fenstersims habe sein Gebäude. Und das in unmittelbarer Nachbarschaft zur barocken Pracht der Hofburg. Einer Legende nach habe sich Kaiser Franz Joseph I. bis zu seinem Tod geweigert, einen Blick auf das „Loos-Haus“ zu werfen.