Farben, Materialien, Raumaufteilungen: Die Villa Müller zeigt alle Facetten des Genies Adolf Loos
Dank seiner phänomenalen Raumgestaltungen gehörte Adolf Loos zu den wichtigsten europäischen Architekten des frühen 20. Jahrhunderts. Er scheute sich nicht, Materialien, Ausstattungen und Licht auf unkonventionelle Weise einzusetzen. Bis heute beeindrucken seine Arbeiten durch ihre innovative Wirkung. Aus Anlass des 150. Geburtstages des Architekten haben wir der Villa Müller in Prag einen Besuch abgestattet.
Eines der Meisterwerke von Adolf Loos befindet sich an einer vornehmen Adresse im Prager Stadtteil Ořechovka. Die Villa Müller, in der Zeit des Wiener Jugendstils erbaut, ist von außen ein funktionalistischer Würfel. Im Inneren begeistert sie durch eine wunderschöne und gleichzeitig praktische Ausstattung. Es ist ein Gegenentwurf zu den klassischen Formen.
Adolf Loos kam am 10. Dezember 1870 als Sohn eines Bildhauers in Brno / Brünn zur Welt. Nach der Gründung der Tschechoslowakischen Republik 1918 entschied er sich für deren Staatsbürgerschaft. Von Loos stammt das Konzept, das sich in der Geschichte der Architektur unter dem Namen Raumplan eingeschrieben hat. Als Vertreter der architektonischen Moderne unterteilte er einen Innenraum nicht in Fußböden und Zimmer. Ausschlaggebend sind für Loos die funktionalen Zusammenhänge, und diese können auch Räume auf mehreren Ebenen verbinden. Maria Szadkowská ist die Kuratorin der Villa Müller:
„Loos war nicht nur Architekt, sondern auch ein Theoretiker der Architektur und des Wohnstils. Er hielt es für wichtig, den Menschen einen modernen Lebensstil näherzubringen, der von gesellschaftlichen Konventionen und Verzierungen befreit war. Mit dieser Idee arbeitete er sein ganzes Leben lang.“
Ein berühmtes Zitat formuliert seinen Grundgedanken zum Thema Wohnen: „Das haus hat allen zu gefallen. Zum unterschiede vom kunstwerk, das niemandem zu gefallen hat.“ Mit diesem Verweis kommt Kuratorin Szadkowská zur Geschichte der Villa Müller:
„Die Müllers kannten Adolf Loos schon aus Pilsen, denn dort tat er seine ersten professionellen Schritte auf tschechischem Boden. Das waren vor allem Gestaltungen einiger Innenräume für Pilsner Honoratioren, also bedeutende Finanziers, Ärzte und Anwälte. Zufällig war die Firma Kapsa & Müller als wichtigstes Bauunternehmen vor Ort mit der Ausführung einiger Entwürfe von Loos betraut. So kam es zu einem ersten Zusammentreffen. František Müller beauftragte Adolf Loos dann mit dem Entwurf für seinen Familiensitz in Prag.“
Jedes Möbelstück hatte einen spezifischen Zweck
Über den Architekten ist bekannt, dass er sich seine Kunden selbst auswählte und dabei sehr anspruchsvoll war. Loos legte Wert auf Harmonie und wollte mit seinen Partnern auf einer Wellenlänge liegen. Über František Müller ließ er verlauten, dass er „der beste und angesehenste Investor“ sei, mit dem er je zusammengearbeitet habe. Maria Szadkowská führt uns in die zentrale Halle von Müllers Wohnhaus:
„Wir befinden uns jetzt im Wohnzimmer. Das ist der größte und repräsentativste Raum der Müller-Villa. Hier lässt sich die Nutzung des Grundrisses gut erkennen. Er erteilt der klassischen Stockwerksaufteilung eine Absage. Der Raumplan baut sich um eine gedachte Treppe auf und ordnet auf mehreren Ebenen verschiedene Räume an, die wiederum ihren jeweiligen Zweck haben.“
Auch die Möbelstücke haben ihre spezifische Aufgabe. Über diese hat sich der Architekt ganz besondere Gedanken gemacht:
„Das Wohnzimmer diente als Gesellschaftsraum. Hier kam die Familie oder der Besuch zum Entspannen zusammen. Die Kaminecke stattete Loos mit mehreren Sitzgelegenheiten aus, die je nach einem bestimmten Grad an Müdigkeit von der Familie genutzt wurden. Er unterschied also zwischen verschiedenen Müdigkeitstypen.“
In Sachen Einrichtungsstücke war Adolf Loos auch ein Vorreiter des Recyclings:
„Loos hat selbst auch Möbel umgebaut und neu hergerichtet. Denn er war der Meinung, dass keine komplett neuen und modernen Stücke erdacht werden müssen, wenn schon vorher jemand etwas Geniales entworfen hat. Das betraf etwa die Lesesessel, in denen es sich gemütlich sitzen und ausruhen ließ. Des Weiteren gibt es hier Sessel, die von ihrer Höhe her an Autositze erinnern – konkret an die Ausstattung eines Opels, den Loos sehr mochte.“
Vom Wohnzimmer aus geht der Blick in das höher gelegene Esszimmer. Den steinernen runden Tisch hat Loos nach den Wünschen der Dame des Hauses, Milada, entworfen. Er ist ausziehbar, sodass seine Größe der Anzahl der Gäste angepasst werden konnte. Auf der Zwischenetage gegenüber befindet sich das Boudoir – der Damensalon. Hier spielte Milada Müller eine wichtige Rolle, erläutert Marie Szadkowská:
„Im Haus wurden etwa Geschäftstreffen abgehalten, bei denen die Männer unter sich sein wollten. Dann war es die Aufgabe von Frau Müller, die Damen im oberen Stockwerk zu versammeln und sie dort zu bewirten und zu unterhalten.“
Loos-Werke in Wien: Café Museum und Looshaus
Die offene Gestaltung der Villa Müller hatte auch ihre Nachteile. So war das Haus sehr hellhörig und ließ sich schlecht beheizen. Neben dem Ehepaar Müller und seiner Tochter Eva wohnten dort auch die Köchin Mařka und das Dienstmädchen.
Adolf Loos selbst lebte hauptsächlich im Waggon des Orient Express und anderer Fernzüge. Weil er unermüdlich Reisen unternahm, kannte er sich gut in verschiedenen Kulturen aus. Das war sein Lebensstil, immer unterwegs zwischen Paris, Griechenland oder Italien. Dort ließ er sich inspirieren, fand neue Materialien und verinnerlichte die Farben der Häuser im Mittelmeergebiet.
In Wien hatte Loos nur eine kleine Wohnung, die aus einem Wohnzimmer und einem luxuriösen Schlafzimmer bestand. Die Immobilie kaufte er, als er sich 1902 mit der Schauspielerin Lina Obertimpfler vermählte. Marie Szadkowská verweist auf die Spuren, die der Architekt in der österreichischen Hauptstadt hinterlassen hat:
„Am interessantesten sind seine frühen Arbeiten. Das Café Museum in Wien zum Beispiel ist ein wunderschönes Kaffeehaus. Weil es so sparsam eingerichtet ist, wurde es lange als ‚Café Nihilismus‘ bezeichnet.“
Ein weiterer Bau trägt heute sogar den Namen Looshaus:
„Das prächtige Kaufhaus Goldman & Salatsch nämlich, ein kontrovers diskutierter Bau auf dem Michaelerplatz in Wien. Dabei handelte es sich ursprünglich um eine Schneiderei und ein Kaufhaus in einem, bestens angesiedelt im Stadtzentrum gegenüber der Hofburg. Hier hat Loos seinen ersten Raumplan umgesetzt, wobei er sich von Kaufhäusern in Chicago und New York inspirieren ließ. In dem Gebäude ist heute die Raiffeisenbank angesiedelt. Es ist aber zu Besichtigungszwecken für die Öffentlichkeit zugänglich.“
In Paris wiederum hat Loos einen Raumplan für den Dichter Tristan Tzara umgesetzt. Ein weiteres eindrucksvolles Werk des Architekten befindet sich in Tschechien: die Bauer-Villa in Hrušovany (Rohrbach).