Nicht an Aktualität verloren: Essays von Jiří Gruša – zweisprachig
Jiří Gruša war tschechischer Schriftsteller und Politiker. Vor der Wende lebte er als Dissident und Emigrant in Deutschland, nach 1989 übernahm er unter anderem den Posten eines Botschafters in der Bundesrepublik und auch in Österreich. Seit 2014 erscheint eine Gesamtausgabe seiner Werke parallel auf Tschechisch und Deutsch. Am Dienstag wurden im Österreichischen Kulturforum Prag die neuesten Bände vorgestellt.
„Ich habe das sehr schnell nach seinem Tod initiiert, weil man weiß, dass das zwei oder drei Jahre dauert. Und auch die größten Köpfe werden vergessen, wenn man nicht immer wieder nachlegt und etwas in die Wege leitet. Vor allem war mir klar: Es muss im tschechischen und im deutschen Sprachraum erscheinen, weil man ihn nicht in einer Sprache allein verorten konnte.“
Für die deutsche Werkausgabe plant man zehn Bände. Der neueste, siebte Band vereint die wichtigsten Essays und Studien, die Jiří Gruša von 1990 bis zu seinem Tod verfasste. Der Literaturwissenschaftler Hans Dieter Zimmermann hat die Redaktion übernommen:
„Das ist der zweite Band von Essays. Er ist sehr interessant, weil er das Leben von Jiří Gruša widerspiegelt. Der erste Band waren Essays bis 1990, bis zur Samtenen Revolution, das waren tschechische Essays. Wir mussten sie für die deutsche Ausgabe ins Deutsche übersetzten. Die tschechischen Kollegen, die die tschechische Ausgabe in Brünn machen, mussten sie nicht übersetzen. Und jetzt war es umgekehrt. Diese Essays von 1990 bis 2011 sind in deutscher Sprache von ihm geschrieben worden. Also haben wir nichts übersetzen müssen.“Die Editionsreihen auf Tschechisch und auf Deutsch sind nicht identisch. Für die tschechische Herausgabe verantwortet Dalibor Dobiáš von der tschechischen Akademie der Wissenschaften:
„Die deutschsprachige Edition ist eine Leserausgabe. Die tschechische Ausgabe ist umfangreicher. Sie beinhaltet alle gedruckten Texte von Jiří Gruša und auch viele Handschriften, ergänzt um einen kritischen Kommentar.“
Gruša hat in seinen Texten Stellung genommen zur politischen und geistigen Lage in Europa. Hans Dieter Zimmermann nennt die wichtigsten Themen:„Natürlich ist es die tschechische Geschichte, die aber mit der österreichischen zusammenhängt (also die Habsburgs 1620 bis 1918). Und es ist die deutsch-tschechische Geschichte, die durch Nationalsozialismus und das, was da erfolgte, belastet ist. Er sieht immer diesen, wie ich sagen würde, mitteleuropäischen Zusammenhang. Das ist seine Haltung. Er ist eher gegenüber den Tschechen kritisch als gegenüber den Deutschen. Das finde ich sehr gut. Jeder sollte seinen eigenen Fehler bedenken, und das macht er auch. Und er hat immer die europäische Perspektive. Also, dass wir zusammengehören und das dass, was der Nationalismus in der Vergangenheit gemacht hat, nie mehr passieren darf.“
Für Frau Gruša bedeutet die Arbeit an der Reihe, die Werke ihres Mannes wieder zu lesen. Bei den großen Werken habe sie nichts Neues entdeckt, sagt sie. Anders sei es bei den kleineren Sachen, wie etwa den Essays:„Als ich das jetzt wieder las, habe ich gedacht: Mein Gott, er war wirklich gut und vorausschauend. Da kommt Neues auf mich zu. Das ist wunderbar. Ich liebe das, es hält mich am Leben und hilft mir auch über den Verlust hinweg.“