Schriftsteller und Diplomat Jiří Gruša gestorben

Jiří Gruša (Foto: ČTK)

Der tschechische Schriftsteller, Lyriker, Dissident und Diplomat Jiří Gruša ist tot. Der frühere tschechische Botschafter in Deutschland und Österreich sowie Präsident des internationalen Schriftstellerverbands PEN starb während einer Herzoperation am Freitag in Deutschland, im Alter von 72 Jahren.

Jiří Gruša  (Foto: ČTK)
Deutsch sei die Sprache seiner Freiheit, pflegte Jiří Gruša zu sagen - ein tschechischer Schriftsteller, der in den 1980er Jahren zur Emigration gezwungen war und einen Teil seines Werkes auf Deutsch verfasst hat. Die Identität liege für ihn allerdings nicht in der Sprache, sagte Gruša in einem Gespräch für Radio Prag:

„Nein, die Identität ist mehr als die Sprache. Die Identität ist, so wie ich sie verstehe, das, womit man sich identifiziert. Und die Definition der Identifikation ist eigentlich die Kunst. Es war doch nicht meine Absicht. Die kleine Sprache, in der man sich eine Position erkämpft hat, verlässt man doch nicht freiwillig. Die Sprache hat mich doch verlassen, hat mich ausgewiesen. Die Absurdität meines Lebens besteht darin, dass die deutsche Sprache zu der Sprache meiner Freiheit wurde.“

Als Übersetzer war Gruša ein Vermittler der deutschen Literatur für die Tschechen, als Diplomat ein Brückenbauer zwischen Deutschland beziehungsweise Österreich und der Tschechischen Republik. Er bereitete den Weg für das Deutsch-Tschechische Nachbarschaftsabkommen von 1992 sowie die Erklärung von 1997. Die Deutsch-Tschechische Erklärung sah Gruša im Rückblick, in einem Gespräch für Radio Prag vom Frühling dieses Jahres, als das entscheidende Dokument im bilateralen Verhältnis:

„Ja, so sehe ich das. Denn dort sind zwei Selbstreflexionen enthalten, die eine psychologische Balance zwischen den beiden Partnern oder bis damals noch Feinden schaffen. Diese Selbstreflexion, doppelt aber separat, ermöglichte das Verlassen der alten Rituale, die darin bestanden, den anderen zu beschuldigen und ihn damit nicht zum Nachdenken zu zwingen. Das psychologische Gleichgewicht bedeutet, dass beide Seiten das eigene Negative endlich einmal betrachten können. Das ermöglicht letztlich eine positive Lebenshaltung. Und das ist uns damals gelungen.“

Roman Dotazník  (Fragebogen)
Doch Grušas Weg zur tschechischen Diplomatie führte – wie bereits gesagt – über den Exil in Deutschland. Er wurde am 10. November 1938 in eine mittelständische Familie in Pardubice geboren. Nach dem Studium der Philosophie und Geschichte an der Karlsuniversität arbeitete er als Redakteur und Schriftsteller in mehreren Literaturzeitschriften. 1968 beteiligte sich Gruša gemeinsam mit anderen Intellektuellen am Prager Frühling, worauf ein Berufsverbot und Veröffentlichung seiner Werke im Samizdat folgten.

1977 unterzeichnete Gruša die Charta 77, und ein Jahr später wurde er wegen seines regimekritischen Romans Dotazník (Fragebogen) verhaftet. Seit 1981, nachdem ihm das kommunistische Regime in der damaligen Tschechoslowakei die Staatsbürgerschaft entzogen hatte, lebte er in der Emigration in Deutschland. Nach der Wende von 1989 war Gruša als tschechoslowakischer und tschechischer Botschafter in Deutschland und später in Österreich, dazwischen war er kurz auch tschechischer Bildungsminister. Später war er Direktor der Diplomatischen Akademie Wien und sechs Jahre lang stand er als Präsident an der Spitze des Internationalen Pen-Klubs.

Heinz Fischer
Zu den bedeutendsten literarischen Werken zählen etwa die Gedichte-Sammlungen Cvičení mučení (Lernen-Leiden) und Modlitba k Janince (Gebet an Janinka) oder die Novelle Dámský gambit (Damengambit). Auf Deutsch erschien 1999 Grušas „Gebrauchsanweisung für Tschechien“. Auf Deutsch schrieb er auch sein letztes Buch „Beneš als Österreicher“, das in diesem Jahr in tschechischer Übersetzung erschienen ist. Die Herausgabe im deutschen Original durfte Gruša aber nicht mehr erleben.

Schock und Überraschung rief der unterwartete Tod Grušas unter seinen Freunden und Kollegen hervor. Als einer der ersten reagierte der österreichische Bundespräsident Heinz Fischer auf die Nachricht. Er bezeichnete Gruša als hochgeschätzten und klugen Botschafter und einen Brückenbauer zwischen Prag und Wien. Schockiert zeigte sich Ex-Präsident Václav Havel, ein langjähriger Freund von Gruša: Er denke an ihn als an einen seiner nahen Menschen, die er sehr geschätzt habe und die in der letzten Zeit die Welt verlassen hätten, schreibt Havel auf seinen Webseiten.