Nicht einheitlich aber transparent: Die Zukunft der Bildung in Europa

Jaroslav Müllner

Ende vergangener Woche trafen in Wien die Bildungsminister der Europäischen Union zusammen. Eines der wichtigsten Gesprächsthemen: Die Absteckung des so genannten Europäischen Qualifikationsrahmens. Was genau hat es damit auf sich? Und welche Vorbereitungen trifft die Tschechische Republik in diesem wichtigen Bereich? Gerald Schubert hat war in Wien dabei und hat dort mit dem Vertreter Tschechiens, Vizeminister Jaroslav Müllner, über diese Fragen gesprochen:

Angenommen ein Tscheche bewirbt sich in Österreich um einen Job. Derzeit gelten dort zwar noch Übergangsfristen, die den Zugang zum Arbeitsmarkt beschränken, aber spätestens im Jahr 2011 ist damit Schluss. Dann wird nicht mehr entscheidend sein woher jemand kommt, sondern wie gut er oder sie qualifiziert ist.

Jaroslav Müllner
Auf der Visitenkarte unseres Bewerbers steht vor dem Namen ein Ing. Unser Bewerber ist also Ingenieur. Und damit fangen die Probleme vielleicht auch schon an. Denn während die Ausbildung eines österreichischen Ingenieurs im oberen Sekundarschulbereich angesiedelt ist, hat ein tschechischer Ingenieur ein Hochschulstudium abgeschlossen und ist Akademiker. Bloß dass das in Österreich kaum jemand weiß. Durch den "Europäischen Qualifikationsrahmen", der nun in Wien von den EU-Bildungsministern verhandelt wurde, sollen Kompetenzen künftig besser nachgewiesen bzw. festgestellt werden können. Seinen Kern bilden acht so genannte Referenzniveaus, die die gesamte Bandbreite vom angelernten Arbeiter bis zum Doktorat abdecken.

In Tschechien wird derzeit ein Gesetz vorbereitet, das eine Flexibilisierung von Ausbildungswegen zum Ziel hat. Auf den ersten Blick hat es mit dem Europäischen Qualifikationsrahmen gar nichts zu tun. Und doch sieht man es in Prag auch als Vorbereitung auf den großen Wurf der EU. Warum, das erklärt der stellvertretende tschechische Bildungsminister Jaroslav Müllner:

"Wenn Sie heute in Tschechien einen Lehrabschluss erwerben oder das Abitur ablegen wollen, dann müssen Sie sich dazu hier in eine Schule einschreiben. Vielleicht nicht in die erste Klasse, vielleicht auch nicht mit täglichem Schulbesuch - denn es gibt ja auch andere Formen wie Fernunterricht und dergleichen. Aber Sie müssen Schüler werden und dann die entsprechende Prüfung ablegen. Das neue Gesetz soll auch Leuten, die ihre Kompetenz außerhalb der Schulbänke erworben haben, den Zugang zu einer Abschlussprüfung ermöglichen."

Dieses Gesetz teilt nämlich jedem Beruf und jedem Ausbildungsweg so genannte Teilqualifikationen zu:

Österreichische Bildungsministerin Elisabeth Gehrer
"Zum Beispiel: Jemand erwirbt in Tschechien einen Lehrabschluss. Später legt er dann noch einige Prüfungen ab - sagen wir im Bereich Bauwesen, damit er mit bestimmten Technologien arbeiten kann. Danach geht er für zwei Jahre nach Deutschland, lernt dort deutsch, und kann das auch formal mit irgendwelchen Zeugnissen belegen. Wenn er sich dann hier meldet und alle Anforderungen erfüllt, die vorgeschrieben sind, dann kann er theoretisch auch gleich zum Abitur antreten."

Die Bedeutung dieses Gesetzes liegt aber nicht nur im erleichterten Zugang zu Prüfungen, sagt Müllner:

"Nehmen wir etwa den Beruf Maurer: Ein Maurer muss nicht nur eine Mauer aufstellen können, sondern auch verputzen, ein Fundament betonieren und dergleichen. Man kann die Voraussetzungen für diesen Beruf also in mehrere Gruppen von Subqualifikationen einteilen. Mit dem neuen Gesetz wird man diese Teilqualifikationen einzeln erwerben können, und sie werden dann auch von den Arbeitgebern anerkannt. Auch die jeweiligen Teilprüfungen werden in Zusammenarbeit mit Unternehmerverbänden, also etwa mit der Wirtschaftskammer, vorbereitet."

Damit das alles funktioniert, so Müllner, muss es ein nationales Qualifikationssystem geben. Dort muss genau festgelegt sein, welche Subqualifikationen zum Beispiel für den Maurerberuf nötig sind, beziehungsweise wo und zu welchen Bedingungen welche Prüfungen abgelegt werden müssen. Ähnliche Pläne verfolgt man auch in anderen EU-Staaten. Und genau hier liegt der Schlüssel zur Europäisierung der Ausbildung:

EU-Kommissar Jan Figel´
"Die nationalen Qualifikationssysteme in den verschiedenen Ländern werden miteinander vergleichbar sein. Und genau dazu soll der Europäische Qualifikationsrahmen dienen. Sein Ziel ist es, dass Qualifikationen sozusagen in andere Länder transferiert werden können. Es wird eine Art Informationssystem entstehen, wo die Bausteine der jeweiligen Qualifikationen miteinander verglichen werden, und wo beurteilt werden kann, inwieweit sie kompatibel sind oder nicht. So wird es dann leichter möglich sein, erworbene Zeugnisse auch im Ausland geltend zu machen", sagt der stellvertretende tschechische Bildungsminister Jaroslav Müllner.

Mit anderen Worten: Große Ausbildungspakete, die in den einzelnen EU-Staaten oft recht unterschiedlich aussehen, sind nur schwer aufeinander abzustimmen. Zerlegt man diese Pakete aber in ihre Einzelteile, dann erhält man Bildungsbausteine, die sehr wohl miteinander vergleichbar sind. Es entsteht also eine Art Qualifikationspuzzle, mit dessen Hilfe man auch im Ausland nachweisen kann, was man gelernt hat. Und zwar ohne dass die historisch gewachsenen Bildungssysteme der einzelnen Länder zu einem Einheitsbrei verarbeitet werden.


Übrigens: Nicht nur mit der inneren Transparenz der Bildungssysteme haben sich die Ressortvertreter in Wien beschäftigt, sondern auch mit finanzieller und organisatorischer Unterstützung für die Bildungssysteme auf dem Westbalkan - also etwa in Kroatien, Serbien und Montenegro oder Albanien. Jaroslav Müllner, stellvertretender tschechischer Bildungsminister:

"Diese Länder haben eine ziemlich komplizierte Geschichte hinter sich. Das hat natürlich in verschiedenen Bereichen seine Spuren hinterlassen, unter anderem im Bereich der Bildung. Die Europäische Union will mithilfe diverser Pogramme vor allem den Studentenaustausch und auch den Austausch von Lehrern unterstützen. Junge Leute aus den westlichen Balkanstaaten sollen so etwa die Möglichkeit bekommen, eine Zeitlang an einer Universität in einem EU-Land zu studieren. Ich würde sagen: So wie Tschechien in den neunziger Jahren ähnliche Programme genutzt hat, die uns halfen, uns auf die EU vorzubereiten und Kontakte nach Westeuropa zu knüpfen, genauso sollte das nun auch diesen Ländern ermöglicht werden."

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