Palais Kinsky und Bertha von Suttner
Willkommen zum heutigen Spaziergang durch Prag. Es begrüßen Sie Olaf Barth und Martina Schneibergova. Wie wir Sie bereits im Januar informiert haben, möchten wir Ihnen in der jeweils letzten Ausgabe des Spaziergangs im Monat eine berühmte Frauenpersönlichkeit vorstellen, die mit Prag, bzw. mit einer Prager Sehenswürdigkeit verbunden ist. Vor zwei Wochen führten wir Sie in das Haus U Halanku, das im vergangenen Jahrhundert auf Initiative von Anna Naprstkova zum Treffpunkt führender tschechischer Intellektueller geworden ist. Auch heute wird die Rede von einer international bekannten Frau sein, deren Tätigkeit zu ihrer Zeit ein Dorn im Auge aller passionierten Kriegsführer war. Die Popularität dieser Dame in den böhmischen Ländern ist indirekt der bereits erwähnten Familie Naprstek zu verdanken. Denn auf Initiative des tschechischen Patrioten und Forschungsreisenden Vojtech Naprstek wurde in Beauforts Bildungsbibliothek 1896 die tschechische Übersetzung des Buches "Die Waffen nieder!" herausgegeben. Mehr über ihre Autorin Bertha von Suttner und deren Prager Geburtshaus erfahren Sie in den folgenden Minuten.
Der Kinsky-Palast auf dem Altstädter Ring ist in der Vorstellung literarisch interessierter Besucher von Prag mit Franz Kafka verknüpft. Sein Vater Heinrich hatte im Erdgeschosses des Gebäudes ein Galanteriewarengeschäft. Der Sohn besuchte hier - jedoch zwei Stockwerke höher - das deutschsprachige Humanistische Gymnasium. Viel weniger bekannt ist die Tatsache, dass das Palais Kinsky Geburtshaus der weltberühmten Friedenskämpferin und Schriftstellerin Bertha von Suttner ist, die dort am 9. Juni 1843 als Gräfin Kinsky geboren wurde. Aus diesem böhmischen Adelsgeschlecht stammten hervorragende Staatsmänner und auch Heerführer. Berthas Mutter - Sophie Körner - stammte jedoch aus einer bürgerlichen Familie, mit 20 Jahren heiratete sie den 50 Jahre älteren Untermarschall Franz Josef Kinsky. Die Taufpatin ihrer 1843 geborenen Tochter Bertha Sophie war das tschechische Dienstmädchen Barbora Krtickova. Die gräfliche Abstammung bedeutete für Bertha Kinsky keinesfalls nur ein Leben in Samt und Seide. Nach dem baldigen Tod ihres Vaters verbrachte sie viel Zeit im mährischen Brno/Brünn - bei ihrem Vormund, Fürst Fürstenberg. Dort konnte sie ihre sprachliche und humanistische Begabung entwickeln - dank guter Erzieherinnen und einer reichhaltigen Bibliothek.
Berthas Mutter, Sophie Gräfin Kinsky, nahm die Tochter bereits früh mit in die Gesellschaft, auf Bälle und in die Spielcasinos. Das Familieneigentum ist mit der Zeit zusammengeschrumpft. Berta lehnte es ab, einen von ihrer Familie ausgesuchten standesgemäßen Mann zu heiraten, und entschied sich, selbst ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Mit 29 Jahren wurde sie Erzieherin der Töchter des Freiherrn von Suttner in Wien, und verliebte sich in den um 7 Jahre jüngeren Sohn des Hauses. Familie Suttner war von dieser Beziehung nicht begeistert und wollte den eventuellen Skandal vermeiden. Für Bertha fand man eine Zeitungsannonce, in der ein älterer, gebildeter und reicher Mann in Paris nach einer qualifizierten Sekretärin gesucht hat.
Gräfin Kinsky verabschiedete sich von ihrem Freund Artur Suttner und von Wien und reiste nach Paris. Bereits aus dem Briefwechsel wusste sie, dass es sich bei dem reichen Herrn der Zeitungsannonce um den berühmten schwedischen Erfinder Alfred Nobel handelte. Überrascht stellte sie in Paris fest, dass der Erfinder des Dynamits keineswegs ein Militarist, sondern ein hochgebildeter Mensch humanistischer Prägung war. Die Begegnung mit Alfred Nobel sollte Berthas spätere Tätigkeit stark beeinflussen. Bertha Kinsky blieb nicht lange in Paris, sie kehrte bald nach Wien zurück und heiratete heimlich Arthur Gundaccar von Suttner. Zuflucht suchte das Ehepaar bei einer Freundin Berthas im Kaukasus. Fast zehn Jahre verbrachten sie in Tiflis. Arthur Suttner schrieb Zeitungsartikel über das Leben im Kaukasus und Berichte von der russisch-türkischen Front, und auch Bertha begann neben Artikeln Essays und Romane zu schreiben. 1885 kehrten sie nach Österreich zurück und siedelten in das Schloss Hermannsdorf um. Dort beginnt die wichtigste Etappe im Leben der Schriftstellerin, die sich von nun an mit allen Kräften für die Friedensidee einsetzt. 1889 schrieb sie ihren bekanntesten Roman "Die Waffen nieder!", der großes Aufsehen erregte und in viele Sprachen übersetzt wurde.
Machen wir nun einen Abstecher in die Geburtsstadt von Bertha von Suttner, dorthin, wo der Roman "Die Waffen nieder!"- wie bereits erwähnt - auf Initiative von Vojtech Naprstek erschien. Hier ein Auszug aus einer zeitgenössischen Rezension, die in der ersten Nummer des ersten Jahrgangs der Zeitschrift "Zensky svet" 1896 veröffentlicht wurde. Autorin des Beitrags war eine gewisse Eliska R.:
"...Bertha von Suttner hat mit ihrem Roman eine international wichtige Frage zur Diskussion gestellt. Auch wenn Bertha von Suttners Lehre nur als eine Utopie bezeichnet wird, ist es klar, dass ihre Worte nicht ohne Resonanz geblieben sind. Davon zeugt die Gründung einer "Internationalen Frauenliga für eine allgemeine Abrüstung".
Bertha von Suttner knüpfte Kontakte zu Pazifisten in der ganzen Welt an. 1891 gründete sie die österreichische Gesellschaft der Friedensfreunde, sie war außerdem Vizepräsidentin des Internationalen Friedensbüros in Bern. 1905 erhielt Bertha von Suttner als erste Frau der Welt den Friedensnobelpreis. Als sie 8 Jahre später eine Reise durch Amerika unternahm, schrieb die bereits erwähnte tschechische Zeitschrift "Zensky svet":
"Die berühmte Friedenskämpferin, Frau Bertha von Suttner, oder "die Friedensbertha" - wie sie von den Deutschen genannt wird - kehrte von einer 7 Monate langen USA-Reise zurück, sie reiste von einer Stadt zur anderen und hielt bis zu 3 Friedensvorträge täglich. In englischen und deutschen Zeitungen schreibt man, dass ihre Reise einem Siegeszug glich. Die Friedensbewegung in Amerika ist jedoch viel fortgeschrittener als bei uns. Frau Suttner räumt selbst ein, dass sie durch die dortigen Kenntnisse über Friedensaktivitäten und den Friedensunterricht an den Schulen überrascht worden sei..."
Dieselbe tschechische Frauenzeitschrift beschrieb etwas später - jedoch noch im selben Jahr, d.h. 1913, die Tätigkeit der Friedenssektion des Verbandes der Frauenvereine. Diese ließ sich von Bertha von Suttner inspirieren und protestierte im internationalen Maßstab gegen den Missbrauch von Aviatik im Krieg und gegen die steigende Aufrüstung. In der Zeitschrift hieß es weiter:
"... Die Friedenssektion wird beim böhmischen Landesschulrat auch den Antrag stellen, dass der 18. Mai an den Schulen als Friedenstag gefeiert werden kann. An diesem Tag sollten die Wichtigkeit der Friedensbewegung und Bedeutung des Weltfriedens erläutert werden. Die Friedenssektion übermittelte Bertha von Suttner ein Glückwunschtelegramm zu ihrem 70. Geburtstag ..."
Soweit die Frauenzeitschrift "Zensky svet" im Jahre 1913. Bertha von Suttner starb am 21. Juni 1914 in Wien. Eine Woche nach dem Tod der berühmten Pazifistin fielen die verhängnisvollen Schüsse in Sarajevo.
Wie wir anfangs versprochen haben, möchten wir Sie noch über Bertha von Suttners Prager Geburtshaus informieren. Das Palais Kinsky stellt eine Dominante der Ostseite des Altstädter Rings dar. Das Gebäude wurde nach dem Entwurf von Anselm Lurago in den Jahren 1755-1765 erbaut. Anstelle der heutigen Frontseite des Palastes stand in der romanischen Zeit ein Haus, von dem noch ein Saal mit einem Portal erhalten blieb. An der Nordseite des romanischen Hauses wurden Reste eines gotischen Gebäudes gefunden, von dem auch ein Feld des Kreuzgewölbes erhalten blieb. Im 14. Jahrhundert war dort eine Wechselstube untergebracht, die den Käufern von dem naheliegenden Ungelt zur Verfügung stand. Das Haus hieß deswegen "Zur alten Währung".
1615, als das Haus Heinrich Pichlberger gehörte, residierte dort die exotische Botschaft, die vom türkischen Sultan zu Kaiser Matthias entsandt worden war. Ein interessantes Schicksal hatte auch das südlichere Haus in dem Gebäudekomplex - das sog. "Muglicerovsky oder Hodejovsky"-Haus. Dort nahm Sigismund von Luxemburg von den Prager Bürgern den Treueid entgegen. Knapp zwei Jahre später tat dasselbe auch Sigismunds Schwiegersohn Albrecht. Das Haus wurde deswegen mit Recht das Haus "Zum königlichen Stuhl" genannt. Nach 1506 ließ der höchste böhmische Kanzler Albrecht Kolowrat die beiden Häuser, die sich am Ort des heutigen Palastes befanden, miteinander verbinden. Unter den Jagiellos wurde in diesem Objekt eine offizielle Residenz für Gäste aus den höchsten Kreisen eingerichtet. In den 60er Jahren des 16. Jahrhunderts wurde das südliche Gebäude in ein luxuriöses zweistöckiges Renaissancehaus verwandelt. Gotische- sowie Renaissancemauerwerke sind bis heute in dem Barockobjekt erhalten geblieben.
In den Jahren 1750-1755 gingen die beiden Gebäude, die sich auf dem Grundstück des künftigen Palastes befanden, in den Besitz des Grafen Jan Arnost Golz über. Der Bau des Palastes wurde vielleicht schon 1765 beendet, Graf Golz starb bald danach. Seine Witwe verkaufte das Haus 1768 samt der Ausstattung für 35.000 Gulden an Frantisek Oldrich Fürst Kinsky, der kaiserlicher Geheimrat und bekannter tschechischer Patriot war. Das Palais gehörte der Familie Kinsky bis 1945. Unter Rudolf Fürst Kinsky - 1836 - wurde die ganze Residenz umgebaut. Dem Gebäude wurde das frühere Haus "Zu Pechanec" angeschlossen, wo sich am Ende des 18. Jahrhunderts Gerles bekannter öffentlicher Lesesaal befand. Fürst Rudolf Kinsky erlebte die Fertigstellung der die renovierten Residenz nicht mehr. Der namhafte tschechische Diplomat starb im Jahre 1836 im Alter von 34 Jahren.
Im Kinsky-Palais sind seit 1945 die Sammlungen der Zeichnungen und der Graphik der Nationalgalerie untergebracht. Das Palais wurde nach einer fünfjährigen Rekonstruktion voriges Jahr wieder geöffnet.