Geschichte des tschechisch-deutschen Verhältnisses - Teil 4
Willkommen zur Sendung Geschichtskapitel auf Radio Prag. Wir setzen die Reihe "Geschichte des deutsch-tschechischen Verhältnisses" weiter fort, heute mit Teil vier, in dem wir über den letzten Versuch eines Zusammenlebens sprechen wollen, nämlich die Jahre 1920-1933. Am Mikrophon sind Jitka Mladkova und Danilo Höpfner, Redaktion der Sendung hat Lenka Cabelova.
Den letzten Teil unserer Serie haben wir mit der Annahme der Verfassung der ersten tschechoslowakischen Republik beendet. Dieses Grundgesetz beinhaltete auch den Begriff der "offizielen Staatssprache". Das war die sogenannte tschechoslowakische Sprache, also die Sprache einer sogenannter "tschechoslowakischen Nation".
Das Konzept der tschechoslowakischen Nation, zu deren Verfechter vor allem Präsident Masaryk gehörte, wurde konzipiert, um gegenüber den Deutschen eine Art Vormachstellung zu besitzen, nicht zuletzt dehsalb, weil die Deutschen zweistärkste Nation im Lande waren, vor den Slowaken.
Die Staatsprache hatte eine herausgehobene Stellung. Die Staatsorgane, die staatlichen Unternehmen und die öffentlich-rechtlichen Körperschaften waren verpflichtet, allein die Staatssprache zu benzutzen. Das mag zunächst logisch klingen, nicht aber wenn 35 % der Staatsbürger eine andere Sprache sprechen. Wie konnten sich also diese, sagen wir nichttschechoslowakisch sprechende Menschen mit dem tschechosloakischen Staat identifizieren? Es ging um Menschen, die nie im Leben daran gedacht hatten, daß sie eines Tages, sozusagen über Nacht, werden tschechisch sprechen müssen.
In der CSR existierten sogenannte Minderheitenbezirke, d.h. Bezirke, in denen mehr als 20% Bürger anderer Nationalität lebten. Dort durfte auch weiterhin die Muttersprache an den Behörden benutzen werden. Zwar gab es dabei bestimmt Einschränkungen, im Großen und Ganzen war die Sprachgesetzgebung, wie es die tschechisch-deutsche Historikerkommission charakterisiert, im Prinzip korrekt. Sie weist aber gleichzeitig darauf hin, daß sie in der Anwendung häufig unterlaufen wurde.
So war es auch mit dem vom Völkerbund, dem Vorläufer der UNO, garantierten Minderheitenschutzvertrag, der in der Verfassung verankert wurde. Die tschechisch-deutsche Kommission meint dazu: Vergleichsweise weitgehende Bestimmungen wurden jedoch durch eine kleinliche Nadelstichpolitik seitens der tschechoslowakischen Behörden nicht selten entwertet.
Die Bezeichning "Nadelstichpolikit" könnte auch als Hauptcharakteristik dieser Epoche dienen. Die Amtssprache war nur die tschechische bzw. slowakische. Die Staatsbeamten mußten eine Sprachprüfung ablegen, was in der Praxis dann so aussah, dass sich z.B. auch Eisenbahner einer solchen Sprachprüfung unterziehen mussten.
Die Abgeordneten konnten im Parlament in ihrer Muttersprache sprechen, jedoch wurden die Reden nicht simultan gedolmetscht. Wenn ein Abgeordneter in einer Staatsfunktion eine Rede hielt, so konnte dies nur auf Tschechisch oder Slowakisch geschehen.
Ein Dauerthema der tschechisch-deutschen Verhandlungen war schon zur Zeit der Monarchie das Schulwesen. In der Tschechoslowakei hatten die Deutschen die Möglichkeit, den ganzen Ausbildungsprozes in ihrer Muttersprache zu absolvieren. Es gab deutsche Grundschulen, Realschulen, Gymnasien, in Prag gab es auch eine deutschsprachige Universität, in Brünn die deutsche Technische Hochschule.
An den deutschen Schulen lehrte man Tschechisch als Pflichtfach, an den tschechischen Schulen wurde Deutsch gelehrt. Die Gemeinden mußten eine Nationalschule oder zumindest eine Klasse einrichten, wenn dort mehr als 40 Kinder einer Nationalität angehörten, die nicht tschechoslowakisch war. Ein Hauptargument der deutschen Kritik war die Schließung zahlreicher deutscher Schulen. Tatsächlich wurden mehrere deutsche Schulen geschlossen, doch lag dies an der überproportional grossen Anzahl deutscher Schulen, die auf die Politik der Monarchie zurückzuführen war. Übrigens, nur 2% deutscher Kinder mußten eine tschechische Schule besuchen, weil es in der Umgebung ihres Wohnortes keine deutschsprachigen Unterrichtsmöglichkeiten gab.
Was aber als ein berechtigter Grund für die Unzufriedenheit der Deutschen gelten kann, war der versprochene, in Böhmischen Ländern aber nie verwirklichte Gauaufbau des Staates. Die Tschechen hatten nämlich die Befürchtung, daß in manchen Gaubezirken die Deutschen eine Mehrheit hätten haben können. Man ließ also den Staat zentralistisch geordnet, was alles in allem den Tschechen zuspielte, denn im Zentrum spielten sie die erste Geige.
Lassen wir die Historikerkommission die Situation der Sudetendeutschen zusammenfassen: Eine gezielte soziale oder wirtschaftliche Diskriminierung fand nicht statt. Gerade die deutsche Minderehit konnte ihr gut entwickleltes Schul- und Bildungssystem, die kulturellen Einrichtungen und ein breites Pressespektrum in der Ersten Republik mit relativ großzügiger staatlicher Förderung aufrechterhalten, wenn auch Klagen über Behinderungen nie verstummten.
Über wichtige Angelegenheiten wie Staatsaufträge, Staatsinvestitionen und Sozialpolitik entschieden nun vor allem die tschechischen Staatsbeamten. Der Anteil der deutschen Staatsbeamten hat sich bis 1931 von 30 % auf 15 % reduziert. Dadurch verringerte sich auch die Teilnahme der deutschen Minderheit an den Entscheidungsprozessen des Staates. Eine sogenannte Quotenregelung im heutigen Sinne kannte man damals noch nicht.
Es ist heute schwer zu beurteilen, ob die einen oder die anderen auf diesem Gebiet benachteiligt wurde. Erst Ende der 30er Jahre begannen Politiker daran zu denken, eine Quote der Staatsinvestitionen festzulegen, die in die von Minderheiten bewohnten Gebiete hätte fliessen sollen. Erst um das Jahr 1937 herum haben die tschechischen Politiker daran gedacht, aß man vielleicht etwas wie eine Konzeption der Nationalitätenpolitik gebrauchen könnte, eine Konzeption also, wie man das Zusammenleben der Tschechen und Deutschen in der CSR organisieren sollte, damit sich keine der Nationen von den anderen unterdrückt, bedroht oder benachteiligt fühlt.
Schauen wir uns nun das politische Spektrum jener Zeit ein. Es gab deutsche Parteien in der CSR, deren Politik stets gegen die tschechoslowakische Republik gerichtet waren - die Deutsche Nationalsozialistische Arbeiterpartei und die Deutsche Nationalpartei. Andere Parteien, wie die Deutsche Christlichsoziale Volkspartei und der Bund der Landwirte, später auch die Deutsche Sozialdemokratische Arbeiterpartei, zeigten dagegen Bereitschaft, an dem politischen Leben der Republik teilzunehmen.
Seit 1925 fanden diese sogenannten aktivistischen Parteien bei der sudetendeutschen Bevölkerung eine Mehrheit und seit 1926 waren ihre Politiker regelmässig an der Regierung beteiligt. Das war im damaligen Mitteleuropa etwas aussergewöhnliches, was jedoch zu keinen nennenswerten Erfolgen in der Minderheitspolitik geführt hat . Wieder waren die "Nadelstiche" zu spüren. Die tschechischen Parteien waren gewöhnt, untereinander verschiedene Zweckvereinbarungen zu schliessen, ganz nach Tagesbedarf oder Bedarf der Partei. Sie versuchten nicht eine langfristige Konzeption der Staatspolitik zu schaffen. Probleme hat man immer irgendwie gelöst, die Lösungen waren aber oft mehr den Parteien, als den Bürgern, von Nutzen.
So war es auch mit den Verhandlungen mit den deutschen Partnern. Die Nationalitätenpolitik als Thema gab es im Prinzip nicht, man wußte, dass es auf diesem Gebiet kaum eine Einigung geben konnte. Die deutschen aktivistischen Politiker konnten ihren Wählern nur wenige Erfolge vorweisen. Fassen wir zusammen. Die Tschechoslowakei hat die damaligen internationalen Minderheitenstandarde oft mehr als erfüllt. Man hat aber nicht Bedinungen dafür geschaffen, daß sich die Sudetendeutschen mit der Republik innerlich identifizierten, und daß sie sich nicht als ein ungewolltes und lediglich geduldetes Element fühlten.
Auf der anderen Seite muß man sich fragen, ob die deutschen Ambitionen und Vorstellungen nicht übertrieben oder gar unerfüllbar waren, ob ihre Verwirklichung eher zum Zerfall des Staates, als dessen Stärkung geführt hätte. Wenn man an die 30. Jahre denkt, sind solche Fragen nicht unberechtigt. In den ruhigen 20er Jahren fanden die Tschechen und Deutschen keinen Weg zueinander. Dann kam die Weltwirtschaftskrise und die Ruhe war vorbei. Doch das ist unser Thema im nächsten Teil, heute in 14 Tagen.