Weinfeste in der "Mährischen Slowakei"

Fast überall auf der Welt wird der Jahreskreis von diversen, aus verschiedenen Brauchtümern hervorgegangenen Festen begleitet. Manche Regionen tun sich aber in der Pflege jener Traditionen ganz besonders hervor. Dies gilt zum Beispiel für jenes südostmährische Gebiet, das auf Tschechisch "Slovacko" genannt wird, und für das die deutsche Sprache nur eine unzureichende und etwas irreführende Bezeichnung parat hat, nämlich "Mährische Slowakei". Mehr über diesen Landstrich und vor allem seine aktuellen Festivitäten erfahren Sie im folgenden "Schauplatz" von Gerald Schubert:

Mährische Slowakei: Irreführend mag dieser Name zwar sein, ganz falsch liegt man mit ihm aber dennoch nicht. Denn auch, wenn die Region auf tschechischem Gebiet liegt, so geht der dort gesprochene Dialekt schon eindeutig ins Slowakische, und auch andere Merkmale der örtlichen Kultur, wie etwa die Trachten oder die Musik, haben teilweise schon eher slowakischen Charakter. Und: Anders als in Böhmen, das als Land der Bierbrauer und Biertrinker bekannt ist, ist hier in Südostmähren die Weinkultur tonangebend.

Unter den Volksfesten, die hier gefeiert werden, nimmt denn auch der Wein eine besondere Stellung ein. Und zwar werden im Herbst in den verschiedenen Gemeinden der Region stets die sogenannten "Hody" abgehalten, was wir behelfsmäßig einfach als "Weinfest" übersetzen wollen.

Ich lade Sie nun zu einem Kurzbesuch in das 4500 Einwohner zählende Städtchen Vracov ein, wo dieses Fest am vorvergangenen Wochenende stattfand. Zunächst habe ich den Vizebürgermeister der Stadt, Herrn Jaromir Repik, danach gefragt, warum gerade in der genannten Region jene Tradition so besonders gepflegt wird:

"Hier gibt es keine Industrie, hier ist alles eher eine Frage der Tradition. Denn es gibt in dieser Gegend seit jeher eine starke landwirtschaftliche Produktion, und die Menschen hier beschäftigten sich eben schon immer in erster Linie mit landwirtschaftlichen Tätigkeiten. Das tradiert sich in Vracov bis heute. Wir sind eher ein kulturelles Zentrum, würden auch gerne vermehrt ein touristisches Zentrum sein, aber Industrie gibt es hier eben nicht. Das heißt, man kann sagen, hier handelt es sich eher um den malerischen Teil Südmährens, mit einer sehr reichen Folkore. Und dazu gehören eben auch unsere Vracover Weinfeste."

Die von Herrn Repik beschriebene Ausrichtung auf die Landwirtschaft gilt eigentlich für die gesamte Region. Das heißt aber nicht, dass sich die Formen der Brauchtumspflege in den einzelnen Gemeinden aufs Haar gleichen würden. Ganz im Gegenteil: Jedes Städtchen legt Wert auf seine ganz spezifischen Eigenheiten, und es kann schon mal vorkommen, dass sich die Tracht in dem einen Dorf von der Tracht im nur wenige Kilometer entfernten Nachbardorf ganz wesentlich unterscheidet. Auch die Symbolik der Feste kann sehr unterschiedlich sein. In Vracov etwa haben die genannten "Hody" den Beinamen "s vencem a kacerem", also "mit Kranz und Erpel". Was es damit auf sich hat, erklärt uns ebenfalls Vizebürgermeister Repik:

"Das ist eigentlich ein Spezifikum von Vracov: Der Umzug am Samstag ist einem jungen Trachtenpärchen gewidmet. Und alle, die in Trachten an der Feier teilnehmen, ehren dabei als Symbol einen grünen Kranz mit allerlei Blumenschmuck. Am zweiten Tag dann wird in einem Korb ein lebender Enterich getragen. Und das ist eben das zweite Symbol dieser Feierlichkeiten. Auf diese Art wird also das fest in zwei Teile geteilt: Für junge, noch ledige Paare ist der erste Tag ein Symbol, und am zweiten Tag sind es ältere, verheiratete Paare. Daher ist also der erste Tag der mit dem Kranz, der zweite der mit dem Erpel."

Gesichert ist die Herkunft dieser Symbolik laut Herrn Repik nicht. Auf den ersten Blick mag sie vielleicht einleuchtend sein: Der Blumenkranz als Fruchtbarkeitssymbol, der Enterich als Zeichen des leiblichen Wohlergehens im Alter. Doch Vorsicht: Die Entwicklung lokaler Folklore und ihrer Symbolik ist oft weit komplexer als es eben auf den ersten Blick scheint.

Begeben wir uns aber nun auf den Hauptplatz von Vracov, vor das Rathaus, wo das Fest offiziell beginnt. Bevor es jedoch so weit ist, muss ein junger Mann aus der sogenannten Chasa, das ist die Dorfjugend, die die Hody vorbereitet, den Bürgermeister auf dem Balkon des Rathauses trickreich um Erlaubnis bitten:

"Im Namen der ganzen Chasa verspreche ich Ihnen, dass das Fest lustig wird, und dass wir Ihnen keine Schande machen werden. Und damit Ihnen die Erlaubnis leichter fällt, haben wir Ihnen diesen Wein hier zum Kosten mitgebracht."

Der Bürgermeister trinkt, berät sich kurz mit den anderen Ratsherren, und meint schließlich:

"Liebe Chasa! Wir sind übereingekommen, dass alles funktioniert und dass alles in Ordnung ist. Also: Das Fest kann stattfinden!"

Beim anschließenden Umzug habe ich dann eine junge Besucherin gefragt, was sie an diesem Tag nach Vracov geführt hat:

"Ich bin einfach zu einem Weinfest gekommen, ich wollte die Leute sehen, wie sie hier in ihren Trachten einen Umzug veranstalten. Es ist ganz interessant und gefällt mir bisher gut! Ich selbst komme aus Prag, bin also Gast hier. Eine Freundin von mir wurde hier geboren, und sie hat mich eingeladen."

Die junge Pragerin passt somit gut in das Bild, das Vizebürgermeister Repik von den Gästen zeichnet, die zu den "Hody" nach Vracov kommen. Nach der Rolle befragt, die der Tourismus dabei spielt, meinte er nämlich:

"Die Touristen, die zu uns kommen, sind meist Bekannte oder Familienangehörige von Bewohnern. Aber eigentlich sind die Vracover 'Hody' keine Touristenattraktion, denn wir haben hier nicht so viele Unterbringungsmöglichkeiten, und wir haben auch sonst gar nicht die Kapazitäten, um daraus ein kommerzielles Folklorefest zu machen. Das heißt, es kommen wirklich nur die Gäste der einzelnen Familien. Man veranstaltet das Fest in Vracov auch nicht, um auf die Stadt aufmerksam zu machen, sondern es handelt sich eben um eine Unterhaltung der örtlichen Bewohner und ihrer Besucher, die Lust haben, hierher zu kommen und sich an dem Fest zu beteiligen."

Diejenigen, die nun auf den Geschmack gekommen sind, muss ich auf die südmährischen Weinfeste vertrösten, die vereinzelt noch diesen November, oder eben dann im nächsten Jahr wieder stattfinden. Vorerst tut es aber vielleicht auch ein Glas Wein, und ein kurzes Stück der für die Region typischen, leicht schwermütigen Musik, die auf der samstäglichen Abendveranstaltung gespielt wurde. Und die können Sie hier hören: