Die deutschsprachigen Sendungen in der Tschechoslowakei III.

1925 hatte das Radiojournal, wie sich der tschechoslowakische Rundfunk damals nannte, begonnen, regelmäßig deutschsprachige Sendungen für die 20prozentige deutsche Minderheit im Lande auszustrahlen. Zunächst wurde dreimal wöchentlich gesendet, Anfang der 30er Jahren waren es bereits über anderthalb Stunden täglich. Mit der Machtergreifung Hitlers hörten die deutschen Bewohner der Tschechoslowakei über die Reichssender mehr und mehr antitschechische Propaganda. In Prag wurde man sich bewusst, dass die drei Millionen Deutschen im Staate einen eigenen Sender benötigen.

Das deutschsprachige Programm des Radiojournals wurde vom Volksbildungsverein Urania vorbereitet, einem intellektuellen Verein, der in Prag saß und dem die Nöte und Ängste der Landbevölkerung oftmals fremd waren. So kritisierte das tschechoslowakische Außenministerium in einem Bericht von 1935 den deutschen Volksbildungsverein Urania mit den Worten:

"Die Urania hat die wichtigsten Bedürfnisse der Staatspropaganda vergessen, ihr Programm ist langweilig, es bringt nichts Neues und am Mikrophon sind Personen zu hören, die kein Vertrauen in der Bevölkerung haben."

Lobende Worte für die Arbeit des Bildungsvereins fand allerdings der Schriftsteller Thomas Mann während seines Aufenthaltes in Prag 1936:

"Ich habe diese Tätigkeit seit meiner ersten Bekanntschaft mit ihrem Institut mit größter Sympathie und Anteilnahme verfolgt. Bei meinen verschiedenen Aufenthalten in Prag hatte ich ja Gelegenheit, mich mit diesen musterhaften Einrichtungen bekannt zu machen, die die große und schöne Möglichkeit bieten, weiten Kreisen der Bevölkerung geistiges Gut, Bildungsgut auf freie und genussreiche Weise zugänglich zu machen." 30sek Ihre Leistungen im Rahmen meiner heutigen Ansprache auch nur in größter Abkürzung im Einzelnen aufzuführen, ist selbstverständlich unmöglich. Aber ich spreche bestimmt nur Meinung und Urteil des großen Uraniapublikums aus, wenn ich sage, dass Wert und Reichtum ihrer Darbietungen und Sendungen auf allen möglichen Gebieten keinen Vergleich zu scheuen hat"

Eine große Rolle hatten die Propagandasendungen des Deutschen Reichs während des Wahlkampfs für die Parlamentswahlen in der Tschechoslowakei 1935 gespielt. Damals hatte die Sudetendeutsche Partei von Konrad Henlein über 1,2 Millionen deutsche Stimmen erhalten und war somit weitaus stärkste Partei. Der Prager Regierung wurde der Fehler bewusst, den sie mit der Unterschätzung der Bedeutung der Rundfunksendungen begangen hatte. In einem Memorandum des Außenministeriums von 1935 hieß es u.a.:

"Einige Minuten deutschen Programms im tschechoslowakischen Rundfunk kann die Aufmerksamkeit der deutschen Hörer, denen von Nachbarstationen den ganzen Tag über ein ausgeklügeltes Programm angeboten wird, nicht fesseln."

Das Außenministerium forderte nun mehr Einfluss auf die deutschsprachigen Sendungen, die bisher völlig unabhängig und ohne jegliche Kontrolle gesendet wurden. Von nun an sollte der Leiter der Sendungen, Dr. Oskar Frankl, an den Sitzungen der Programmchefs teilnehmen und sich mit diesen über Programm und Mitwirkende einigen. 1935 beschloss die Regierung, einen neuen Sender zu bauen, zunächst dachte man an einen Standort im Sudetengebiet, schließlich wurde am 8. Mai 1936 mit dem Bau des neuen Senders in Melnik begonnen. Dieser sollte ein rein deutschsprachiges Programm ausstrahlen. Im Sommer 1937 wurde der Probebetrieb begonnen. Zugleich wurde eine Debatte darüber geführt, wie der deutschsprachige Sender aussehen sollte, dazu der Rundfunkhistoriker Dr. Frantisek Hrdlicka:

"1936 schrieb die Presse über einen neuen Sender und fragte: "Deutsch oder deutschsprachiger Sender?" Ende 1937 wurde der Melnik-Sender fertig und begann mit Probesendungen. Im November 1937 schrieb die Tageszeitung Lidove Noviny in einer Umfrage, was für Aufgaben der deutsche Sender haben soll. Wenzel Jaksch, Abgeordneter der deutschen Sozialdemokratie hat damals geantwortet, dass die Frage zu spät kommt. Ja, es war zu spät."

Konrad Henlein  (Foto: CTK)
In jener Umfrage unter Parlamentsabgeordneten waren interessante Antworten zu hören bzw. zu lesen. Der Abgeordnete der deutschen christlich-sozialen Partei Hans Lokscha wies damals auf die Bedeutung des Rundfunks hin:

"Wir Deutschen brauchen keinen Rundfunk, denn, wenn wir wollen, können wir deutsche Sendungen aus der ganzen Welt hören. Für unsere kulturellen Belange benötigen wir also keinen deutschen Rundfunk, aber für den tschechoslowakischen Staat ist ein solcher wichtiger als 1000 Flugzeuge."

Dr. Kurt Sitte, Dozent an der deutschen Universität in Prag, antwortete damals:

" Meiner Meinung nach sollte ein deutscher Sender drei Forderungen erfüllen: er sollte demokratisch, deutsch und würdevoll sein. Demokratisch - damit meine ich, dass er nicht politisch sein sollte, wenn damit die Ideen einer Partei oder Gruppe gemeint sind. Deutsch - er darf nicht nur deutschsprachig sein. Der Sudetendeutsche draußen auf dem Land soll das Gefühl haben, dass zu ihm einer der seinen spricht, Leute seines Volkes, die ihn verstehen, die seine Sorgen und Schmerzen kennen. Würdevoll - gegen die Phrasen anderer müssen wir mit Klarheit und Überzeugung kämpfen. Wo andere brüllen, da müssen wir beweisen."

Der Führer der Sudetendeutschen Partei, Konrad Henlein, antwortete damals nicht auf jene Umfrage, doch im Februar 1936 kritisierte er das bestehende Programm mit den Worten:

"Der deutsche Rundfunk in diesem Staate ist kein Sprecher der Sudetendeutschen. Das muss man betonen. Unser Bemühen ist es, dass der Rundfunk, so wie das Programm unserer Zeitungen auch, ein Organ unserer Kulturarbeit sein muss. Nur unter dieser Voraussetzung hat ein eigener deutscher Sender überhaupt Sinn."

Die Sudetendeutsche Partei versuchte nach ihrem Wahlsieg 1935, die deutschsprachigen Programme für ihre Zwecke zu nutzen. Doch weder Rundfunkleitung noch Regierung unterlagen diesem Druck und ließen die Henlein-Leute nicht ans Mikrophon. Der Prager Sender bemühte sich indessen weiter, seine Hörer für die Idee der Tschechoslowakei zu gewinnen. Im Mai 1937 war folgende Sendung zum 53. Geburtstag von Präsident Edvard Benes zu hören:

"Wir bekennen uns zum demokratischen Staate Masaryks und Benes´s und verbinden mit diesem Bekenntnisse den herzensheißen Wunsch, ein gütiges Geschick möge unseren Staatspräsidenten Dr. Benes und seiner verehrten Gattin Gesundheit bescheren und Glück, damit er in ungebrochener Schaffenskraft uns voranschreite, Richtung- und Ziel weisend auf den Wege, der zum inneren und äußeren Frieden führt unseres Staates, zum Heile unseres schönen Vaterlandes und zum Segen, zu Glück und Wohlfahrt seiner Völker."

Im selben Jahr, im September 1937, haben wahrscheinlich auch viele der deutschen Bürger der Tschechoslowakei an ihrem Rundfunkapparat geklebt und die Nachrichten über den Gesundheitszustand des ersten tschechoslowakischen Präsidenten Tomas Masaryk gelauscht:

"Die Erkrankung des Präsidentbefreiers Tomas Masaryk hat sich in der Nacht auf Montag nicht verschlechtert. Die Atmung war eher weniger gestört, die Herztätigkeit ausgiebiger. Das Bewusstsein ist ständig getrübt, die Temperatur steigt wieder an. Im Laufe des Tages werden weitere Berichte über den Gesundheitszustand herausgegeben."

Am 14. September 1937 war folgende Meldung zu hören:

"Der erste Präsident der tschechoslowakischen Republik, der Präsidentbefreier Tomas Garrigue Masaryk ist auf Schloss Lany heute Dienstag, den 14. September um 3 Uhr 29 Minuten morgens im Alter von 87 Jahren, 6 Monaten und 7 Tagen gestorben."

Rund neun Monate später, am 1. Mai 1938, meldete sich der Sender Melnik zum ersten Mal mit seiner Erkennungsmelodie, doch dazu mehr im nächsten Geschichtskapitel in zwei Wochen