Der Medienspiegel
Liebe Hörerinnen und Hörer, was bewegt die Öffentlichkeit in der Tschechischen Republik? Ein Blick in die Medien kann dabei schon einiges verraten. Ein großes Thema war im Laufe der Woche sicherlich der Bestechungsskandal um den Abgeordneten Zdenek Koristka. Außerdem verlangte der Besuch des deutschen Bundeskanzlers Gerhard Schröder in Prag die Aufmerksamkeit der Medien. Und schließlich die Entwicklungen um den EU-Beitritt der Türkei. Oliver Engelhardt lädt Sie nun zur folgenden Ausgabe unserer Rubrik "Im Spiegel der Medien" ein.
Medienstimmen zur Korruptionsaffäre um den Abgeordneten Zdenek Koristka, zu dem Besuch des deutschen Bundeskanzlers Gerhard Schröder in Prag sowie zum EU-Beitritt der Türkei
Schwere Anschuldigungen und immer wieder Versuche, die Gegenseite vorzuführen, das sind kurz gesagt die politischen Effekte der vieldiskutierten Korruptionsaffäre. Zdenek Koristka, Abgeordneter der liberalen Freiheitsunion, der kleinsten Regierungspartei hatte behauptet, zwei Lobbyisten der oppositionellen demokratischen Bürgerpartei ODS haben versucht ihn zu bestechen. Er sollte bei Vertrauensabstimmung im Parlament Ende August gegen die neue Regierung stimmen. Dafür habe man ihm immerhin zehn Millionen Kronen, das sind etwa 300 000 Euro, und einen lukrativen Posten in einer der tschechischen Auslandsvertretungen versprochen. "Alles Lüge" poltert Mirek Topolánek, der Chef der beschuldigten oppositionellen Bürgerpartei ODS, worauf Koristka seine Anschuldigung erneut wiederholt. Diesmal medienwirksam auf dem Lügendetektor. Topolánek wiederum schimpft, er werde von der Polizei abgehört und nach der vorübergehenden Festnahme der zwei verdächtigten ODS-Berater wirft er der Regierung in scharfen Worten Machtmissbrauch vor.
Bemerkenswert ist, dass weder für den Bestechungsversuch noch für einen ungesetzlichen Einsatz der Polizei bislang Beweise auf dem Tisch liegen. Dementsprechend ist wohl auch weniger der Fall selbst, als vielmehr die Art des politischen Streits von Interesse. Die renommierte Wochenzeitung Respekt versucht der Affäre etwas Gutes abzugewinnen:
"Trotz aller Unklarheiten und möglichen Fehler wäre es großartig, wenn der Fall vor Gericht landen würde. Nach all der Rede vom "Polizeistaat" und von "unerhörter politischer Korruption", sollte die Affäre nicht mehr auf der Ebene Behauptung gegen Behauptung stehen bleiben, um sich dann im Sande zu verlaufen. Ein Richter sollte die Grenze klarmachen, wo ihm zufolge Korruption beginnt. [...] Und falls der Fall nicht vor ein Gericht kommt? Als Koristka mit seiner Behauptung auftrat, reagierten die Bürgerdemokraten: Beweise es oder lass Dich in der Politik nicht mehr blicken. Koristka hatte aber mit dem Lügendetektor Erfolg. Dieser gilt zwar nicht als Beweismittel vor Gericht, sehr wohl aber in den Augen der Öffentlichkeit. Jetzt ist die ODS am Zug. Soll doch nun Mirek Topolánek beginnen, seine angeblichen Abhörversuche ernsthaft untersuchen zu lassen. Falls er nicht weiß, wie er seine Glaubwürdigkeit wiederherstellen soll, ist der Rat einfach: ob er will oder nicht - er sollte dann auf den Lügendetektor. Und falls er das nicht macht? Auf dem Dezemberkongress der ODS finden sich gewiss genügend Bewerber für den Posten des Parteichefs"Je länger der Streit in der Öffentlichkeit ausgetragen wird, umso deutlicher verschärft sich der Ton. So fiel etwa in Anlehnung an den Namen des Regierungschefs Stanislav Gross von der sozialdemokratischen Partei CSSD unter anderem die Bezeichnung Grosstapo bzw. Grosstapo-Methoden. Die Wortgeschütze fallen wohl auch deswegen so scharf aus, da im November Regional- und Senatswahlen anstehen. Zu einem so emotionalen Wahlkampfauftakt meint der Kommentator des Tschechischen Rundfunks Petr Novácek:
"Weder die CSSD noch die ODS sind in der Lage langfristig mit Emotionen zu arbeiten. Gross hat die CSSD möglicherweise mehr unter Kontrolle als Topolánek die ODS, aber im Falle einer emotionalen Kampagne von beiden Seiten, droht die Gefahr, dass Dritte daran verdienen und wir alle verlieren."Der deutsche Bundekanzler Gerhard Schröder hat vergangenen Montag die Tschechische Republik besucht. In Prag traf er sich mit dem tschechischen Premierminister Stanislav Gross sowie mit dem Staatspräsidenten Václav Klaus. Darüber hinaus nahm Schröder aber auch an einer Konferenz über die Modernisierung des Sozialstaats in Europa teil. Die großen tschechischen Tageszeitungen hatten ihre Titelseiten am Dienstag mit Bildern vom Kanzlerbesuch aufgemacht. Diskutiert wurde schon im Vorfeld über die Symbolik - schon einmal hatte der Kanzler ja einen Besuch in Prag kurzfristig abgesagt - und wieweit historische Fragen in den Gesprächen behandelt werden würden. Die Wirtschaftszeitung Hospodarske noviny schrieb in einem Kommentar am Montag:
"Die Tschechisch-deutschen Beziehungen konnten sich gewissermaßen noch nicht von der Bürde der Symbolik, die mit der Vergangenheit verbunden ist, befreien. Das ist umso erstaunlicher, da in Umfang und Entwicklung der Wirtschaftsbeziehungen keine ernsthaften Störungen zu sehen sind und der Schwerpunkt der politischen Kontakte vor allem auf der Europapolitik liegt."
Eines dieser Europathemen, das Schröder auch in Prag ansprach, war die Frage nach dem EU-Beitritt der Türkei. Am Mittwoch hatte die EU-Kommission vorgeschlagen, Beitrittsverhandlungen mit der Türkei zu beginnen. Europaweit bekanntlich ein strittiges Thema. Die auflagenstarke Tageszeitung Mladá fronta DNES bringt dazu einen Kommentar:"In den Augen vieler Europäer ist die Türkei noch viel schlimmer als der Balkan. Ängste und Vorurteile gegenüber dem fernen Land bleiben ein großes Hindernis auf dem türkischen Weg in die Europäische Union. Daran ändert auch der Vorschlag der EU-Kommission nicht viel, die Beitrittsverhandlungen mit Ankara empfiehlt. Mit den Vorurteilen gegenüber der Türkei muss Europa selbst fertig werden - ihre Befürchtungen müssen jedoch die Türken widerlegen. Beide Seiten haben noch genug Arbeit vor sich. Ängste vor dem Islam und dem schnellen Bevölkerungswachstum, das sind die am häufigsten angeführten Vorurteile gegen eine EU-Mitgliedschaft der Türkei. Die Kandidatur der Türkei, deren Regierung momentan von einem Mitglied der gemäßigten muslimischen Partei regiert wird, sollte schon heute die Europäer erinnern, dass Islam und Terrorismus zwei verschiedene Dinge sind. Wenn Regierungschefs von EU-Ländern Christdemokraten sein können gibt es keinen Grund, warum es islamische Demokraten nicht sein dürften. Wichtig ist nicht die Religion, sondern die Demokratie - in der Partei und im Staat. Nur die Demokratie in der Türkei ist eine Sache, die immer wieder Zweifel weckt. Ist die Türkei ein Demokratie oder ist die Demokratie nur die türkische Fassade? Bevor sie der Union beitritt, muss Ankara garantieren, dass Folter und andere Verbrechen des Staates gegen die Menschenrechte nicht mehr zu den Mitteln der Staatsgewalt gehört. Dazu gehört auch, dass der kurdischen Minderheit Rechte zugestanden werden, die noch vor Kurzem Repressionen ausgesetzt war, wie sie Tschechen nur in den schlimmsten Zeiten ihrer Existenz erlebt haben."