Die strafrechtliche Verfolgung kommunistischer Funktionäre nach 1989

Vor 15 Jahren wurde das kommunistische Regime in der damaligen Tschechoslowakei gestürzt. Viele kritisieren heute, dass der Wechsel zu samten war und zu wenige kommunistische Machthaber für ihre Taten bestraft wurden. Im folgenden Kapitel aus der tschechischen Geschichte fragt Katrin Bock bei der Prager Behörde zur Dokumentation und Untersuchung kommunistischer Verbrechen nach, wie die strafrechtliche Verfolgung ehemaliger kommunistischer Funktionäre 15 Jahre nach der Samtenen Revolution aussieht.

Einer Sisyphusarbeit gleicht die Aufgabe der Behörde zur Untersuchung und Dokumentation kommunistischer Verbrechen in Prag. Die knapp hundert Mitarbeiter kämpfen nicht nur gegen unzureichende Gesetze, mangelnde Beweislagen und langsame Gerichte, sondern vor allem gegen die Zeit: 15 Jahre nach dem Sturz des Kommunismus in Ostmitteleuropa ist es höchste Zeit, die für unter den Kommunisten begangenes Unrecht Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Immer mehr Prozesse müssen eingestellt werden, weil die Angeklagten verstorben sind. Während der 40jährigen kommunistischen Ära in der Tschechoslowakei zwischen 1948 und 1989 wurden über 205.000 Personen aus politischen Gründen verurteilt, 248 Personen hingerichtet, 4.500 Personen starben in Untersuchungshaft oder Gefängnis, 327 wurden an der Staatsgrenze erschossen.

Über 3.500 Fälle hat die Behörde zur Untersuchung und Dokumentation kommunistischer Verbrechen bisher bearbeitet, gegen 187 Personen wurden Strafverfahren eingeleitet, 98 wurden angeklagt, 18 wurden bisher zu Gefängnis- oder Bewährungsstrafen verurteilt. Oft wird die Behörde hierzulande dafür kritisiert, dass nicht mehr Funktionäre vor Gericht gelandet sind. Einen internationalen Vergleich braucht die Tschechische Republik allerdings nicht zu scheuen - in Ungarn, Rumänien, Bulgarien und der Slowakei gibt es weder eine Behörde zur Aufarbeitung der kommunistischen Verbrechen, noch fanden dort Prozesse statt. Man beschloss, einen dicken Strich unter die Vergangenheit zu ziehen. In Polen nahm erst im Jahre 2000 die "Behörde des nationalen Gedächtnisses" ihre Arbeit auf. Auch der Vergleich mit der ehemaligen DDR fällt nicht schlecht aus, wie Jan Srb, Sprecher der Prager Behörde, erläutert:

Pavel Bret  (Foto: CTK)
"Deutschland hatte eine bessere Ausgangsposition als wir: nach der Vereinigung mit den alten Bundesländern verfügte die ehemalige DDR über bessere personelle Bedingungen, neue Leute kamen aus dem Westen, Gesetze wurden appliziert, Gerichte funktionierten besser. Aber wenn man die Zahl der Leute, die vor Gericht gestellt und verurteilt wurden mit der Einwohnerzahl der ehemaligen DDR und Tschechoslowakei vergleicht, dann sind die Ergebnisse nicht besser als bei uns. Wenn wir also international vergleichen, dann brauchen wir uns nicht zu schämen - aber das soll keine Entschuldigung dafür sein, dass wir es nicht besser gemacht haben."

Probleme gibt es bei der Arbeit genug, darüber weiß Dr. Pavel Bret, stellvertretender Leiter der Behörde, ein Lied zu singen.

"In rund 500 Fällen, die die Behörde überprüft hat, kamen wir selbst zu dem Schluss, dass das Verfahren eingestellt werden muss, weil keine gesetzlichen Bedingungen für eine Strafverfolgung vorliegen. Das größte Problem bei unserer Arbeit liegt nämlich darin, das wir nur diejenigen strafrechtlich verfolgen können, deren Taten bereits zur Tatzeit gegen damals gültige Gesetze verstoßen haben. Hinzu kommen die insgesamt über 25 Amnestien der verschiedenen Präsidenten in den Jahren zwischen 1948 und 1990, die sich immer wieder auf gewisse Fälle beziehen können."

Das größte Problem ist jedoch die Zeit. Dazu Dr. Bret:

"Wenn Sie eine Straftat untersuchen, die vor 20,30,40 Jahren begangen wurde, dann ist die Beweislage schwierig. Oftmals leben die Personen nicht mehr, oft existieren keine schriftlichen Materialien. In vielen Fällen kommen wir um Fachgutachten nicht herum, das ist vor allem bei Fällen gegen Mitarbeiter der Staatssicherheit und Richtern so - zum einen wussten die, wie sie mögliche Beweise vernichten können und zum anderen wurden die Straftaten an Orten begangen, die der Öffentlichkeit nicht zugänglich sind - in Gefängniszellen, bei Verhören. Falls keine überzeugenden Beweise vorliegen, brauchen wir Gutachten, die erklären, wie es zu welchen Verletzungen kommen kann."

Die schwerwiegensten Straftaten, gegen deren Täter die Behörde heute ermittelt, ereigneten sich in den 1950er Jahren, als Justizmorde und Folter keine Seltenheit waren, doch auch hier spielt die Zeit eine Rolle, das Durchschnittsalter der Angeklagten beträgt inzwischen 80 Jahre:

"In der Frage der Strafverfolgung hat unsere Arbeit ein biologisches Ende: Es ist eine Frage der Zeit, wann alle Täter, Opfer und Zeugen gestorben sind. Immer öfter wird der Prozess wegen dem Tod des Angeklagten eingestellt."

Der Fall Grebenicek

Alois Grebenicek  (1998)
Alois Grebenicek war nicht nur der Vater des derzeitigen Vorsitzenden der Kommunistischen Partei in Tschechien, sondern zwischen 1949 und 1951 einer der gefürchteten und brutalsten Untersuchungsrichter der Staatssicherheit, der seine Gefangenen folterte. 1994 wurde das Strafverfahren gegen Alois Grebenicek eröffnet, drei Jahre später begann der Prozess. Doch im Juli 2003 starb Grebenicek ohne auch nur einmal vor Gericht erschienen zu sein.

Die Behörde zur Dokumentation und Untersuchung kommunistischer Verbrechen entstand zum 1. Januar 1995. In den ersten Jahren ihrer Existenz untersuchte sie vor allem Fälle, auf die Zeugen und Opfer hingewiesen haben. Daneben gehört es zu den Aufgaben der Behörde, in Archiven und Zeitungen nach möglichen Straftaten zu fahnden. Etwa die Hälfte der Fälle, die die Behörde bearbeitet, ereigneten sich in den 50er Jahren, die andere Hälfte nach dem gewaltsamen Ende des Prager Frühlings 1968:

"Während der Normalisierung zwischen 1970 und 1985, also nach der Unterdrückung des Prager Frühlings nahmen die Straftaten von Seiten kommunistischer Funktionäre wieder zu. Dabei handelte es sich vor allem um Verletzungen der eigenen Gesetze. Dissidenten wurden auch unter dem Preis physischen und psychischen Terrors zur Emigration gezwungen."

Der Fall Asanace

Die Mitarbeiter der Staatssicherheit Zbynek Dudek und Jiri Simak wurden 2002 zu drei Jahren Haft verurteilt. Die beiden waren an der Aktion "Asanace" beteiligt. Zwischen 1977 bis 1985 übten Mitarbeiter der Staatssicherheit physischen und psychischen Terror auf Unterzeichner der Charta 77 aus, um sie so zur Emigration zu zwingen. 2001 wurde gegen den Initiator der Aktion Asanace, den damaligen Innenminister Jaromir Obzina Anklage erhoben. Noch bevor Prozessbeginn starb Obzina im Januar 2003. Insgesamt neun Bewährungs- und drei Gefängnisstrafen fielen im Zusammenhang mit der Aktion Asanace gegen Mitarbeiter der Staatssicherheit.

Die Arbeit der Behörde wird in der Öffentlichkeit oftmals als zu langsam oder uneffektiv kritisiert, das allgemeine Interesse an den Fällen und Gerichtsverfahren nimmt jedoch stetig ab. Die Gründe dafür erläutert Dr. Pavel Bret:

"Das Problem besteht aus zwei Tatsachen: zum einen ist es eine Frage, wie viele Menschen direkt unter dem kommunistischen Regime gelitten haben, wie viele aus der Arbeit entlassen wurden, nicht studieren durften usw. Das waren wohl zwei Millionen von 14 Millionen Einwohnern. Zum anderen nimmt die Zahl der Betroffenen prozentual stetig ab. Die Jungen interessiert die Vergangenheit nicht mehr."

Auch wenn die Prager Behörde mit Deutschland und Polen in einigen Fällen eng zusammenarbeitet, fehlt laut Pavel Bret eine Basis der internationalen Zusammenarbeit.

"Wenn uns etwas fehlt, dann ist es eine bessere Zusammenarbeit aller postkommunistischen Staaten - alle haben die gleiche Vergangenheit und sollten sich austauschen. Es fehlt z.B. ein ähnliches Gesetz wie nach dem zweiten Weltkrieg darüber, dass kommunistische Verbrechen allgemein in allen Ländern nicht verjähren und immer verfolgt werden können."

Wie sieht also die Bilanz der 10jährigen Arbeit aus?

"Die Liste der Verurteilten ist im Vergleich dazu, was in der Tschechoslowakei alles passiert ist, absurd klein, andererseits: betrachtet man die gesetzlichen Bedingungen der Strafverfolgung dann gleicht nicht nur die Zahl der Verurteilten, sondern überhaupt die Tatsache, dass es uns gelungen ist, überhaupt jemanden vor Gericht zu stellen, einem kleinen Wunder."

Soweit Dr. Pavel Bret, stellvertretende Leiter der Prager Behörde zur Dokumentation und Untersuchung kommunistischer Verbrechen.

Wenn Sie sich über die Arbeit der Behörde informieren wollen, dann klicken Sie ihre Seite an: www.mvcr.cz/udv - es existiert auch eine deutsche Version der Seite.

Grafen zu diesem Thema können Sie hier nachsehen.