Was Grundschüler in ihren Fibeln lernen
Das erste Schulhalbjahr ist vorbei, die Zeugnisse verteilt. Katrin Bock schaute sich tschechische Lesefibeln an, mit deren Hilfe Grundschüler in den vergangenen Monaten lesen und schreiben gelernt haben. Ihre Eindrücke schildert sie im heutigen Feuilleton.
Natürlich stört es mich auch, dass in den Lesefibeln noch immer die Mutter und die Mädchen kochen, stricken, Wolle aufwickeln und bügeln und die Väter und Jungen bei diesen Tätigkeiten nicht erwähnt werden. Kein Wunder, dass tschechische Männer noch immer wenig im Haushalt mithelfen, wenn in den ersten Sätzen, die die Jungs in der Schule lesen lernen, lediglich von Hausfrauen die Rede ist und von starken Männern, die Sägen und Äxte besitzen.
Aber eines fasziniert mich doch im positiven Sinne: die Verbundenheit mit dem Landleben. Vielleicht sind die Lesefibeln entstanden, als noch jedes Stadtkind seine Schulferien bei den Großeltern auf dem Land verbrachte und dort auch Schlachtfeste miterlebte. Denn die Beispielwörter für J lauten Jaternice und Jelito - die bei Schlachtfesten gereichten Blut- und Leberwürste. Als ich meinem Sohn zu erklären versuchte, was das ist, fragte ich mich, wie viele der heutigen Erstklässler in Prag wohl schon einmal solche Blut- und Leberwürste gegessen haben.
Als Beispielswörter dienen stets Blumen und Bäume und auch ich erweitere nun meinen Wortschatz in diese Richtung. In den ersten drei Schulmonaten hat mein Sohn außerdem dank der Lesefibel gleich drei Pilzsorten kennen gelernt. Keine Frage also, die Tschechen werden auch weiterhin ein Volk der Pilzsammler bleiben, wenn so früh damit begonnen wird, ihre Namen zu lernen. Was aber das Frauen- und Männerbild in den Schulbüchern betrifft, wäre ich froh, wenn sich dieses ändert und in Zukunft auch Jungs bügeln und Mädchen stark sind.