Nordböhmen als Inspiration (Gespräch mit Radek Fridrich und Uta van Deun)

Radek Fridrich (Foto: Martina Schneibergova)

"Nordböhmen als Inspiration": So lautete das Motto des Leseabends, der am vergangenen Montag vom Sudetendeutschen Büro in Prag veranstaltet wurde. Mehr erfahren Sie in der folgenden Sendereihe "Begegnungen" von Martina Schneibergova und Menno van Riesen.

Radek Fridrich  (Foto: Martina Schneibergova)
Aus ihren Werken lasen zuerst zwei tschechische Autoren - Radek Fridrich und Martin Fibiger. Radek Fridrich wirkt am Lehrstuhl für Bohemistik der Pädagogischen Fakultät der Universität in Ústi nad Labem (Aussig). In seinem vielseitigen Werk verbindet er die bildende Kunst mit der Poesie. Als bildender Künstler widmet er sich vor allem der Technik der Frottagen. Seit einigen Jahren dokumentiert er zerstörte deutsche Friedhöfe in Nordböhmen. Durch Zeichnungen und Aufschriften auf Grabsteinen wurde er inspiriert diese künstlerisch zu verarbeiten. So entstanden seine Frottagezyklen, die er oft mit Fragmenten seiner eigenen Gedichte, mit Namen verstorbener Menschen oder mit Ortsnamen beschriftete. Hier ein Gedicht von Radek Fridrich:

Adalbert Sturm aus Haus Nummer 255, 1918 in Russland gefallen, schildert die Tat eines Werwolfs:

In einem zottigen Tier-

Fell. Verwolft.

Steht er

im Morgengrauen

vor dem Haus einer Magd.

Dämonisch lüstern.

Mit einem violetten Zweig,

den er ihr in den Mund steckt.

Für immer. In Eintracht.

Im Tierischen.

(Aus dem Tschechischen von Christa Rothmeier)

Was ist Radek Fridrich zufolge an der nordböhmischen Landschaft, an der Region einzigartig?

Most
"Es ist einerseits das ständige Paradoxon: Die Landschaft, in der ich mich bewege, ist die Landschaft der Elbsandsteine, und unweit befindet sich schon das Böhmische Mittelgebirge und etwas entfernter das Erzgebirge. Es kommt da zu einer Art Bruch in der Landschaft. Mich interessieren sowohl die schöne Landschaft in der Region von Decín/Tetschen mit dem Elbe-Strom, als auch die unbewohnbaren Teile des Erzgebirges und des Böhmischen Mittelgebirges. Die Landschaft enthält einige Ebenen, die aufeinander prallen. Einerseits herrscht in der Region von Decín viel Fremdendenverkehr, andererseits sieht man die ausgebaggerte Industrial-Landschaft von Most/Brüx und Chomutov/Komotau. Dies alles interessiert mich."

Radek Fridrich ist in Decin geboren, er wuchs in dieser Region auf.

Decin
"Die Landschaft begann ich etwa mit dreizehn Jahren zur Kenntnis zu nehmen. Aber da sah ich sie noch mit den Augen eines Kindes. Erst später, als ich ein Mountainbike kaufte und durch die Region fuhr, wurde ich mir dessen bewusst, dass meine physische Leistung nicht ausreicht und dass ich außerdem eine geistliche Dimension brauche. So fing ich an, deutsche Friedhöfe zu entdecken. Ich begann sie, zu dokumentieren, zu fotografieren, Frottagen zu machen, zu denen ich durch die Gräber inspiriert worden bin. Ich schrieb Gedichte darüber und begann Geschichten in der Landschaft zu entdecken. Bis heute inspiriert mich das. Ich meine, dass dies die Aufgabe eines solchen Zeugen ist, ein Zeuge in der Landschaft zu sein und gleichzeitig das, was hier früher war, irgendwie zu kommentieren und es in einem Zusammenhang zu sehen."

Kann man bei den Radfahrten durch die Region immer etwas Neues, Inspirierendes finden?

"Bestimmt. Ich meine, dass es eine Arbeit für das ganze Leben ist. So etwas kann man nicht auf einmal abbrechen. Bislang habe ich 25 deutsche Friedhöfe dokumentiert, und es gibt immer noch einige weitere. Außerdem verlangt diese Arbeit viel Zeit. Aus diesem Aspekt werde ich vielleicht noch fünf oder zehn Jahre viel zu tun haben. Es ist des Weiteren interessant, zu beobachten, ob und wie sich die Friedhöfe inzwischen geändert haben. Ich kenne einige der Friedhöfe schon sieben Jahre und kann beurteilen, was besser bzw. schlechter geworden ist. Es kann sein, dass es nicht nur Arbeit für mich, sondern auch für meine Kinder oder auch Enkelkinder sein wird. Das weiß ich noch nicht..."

Eine Ausstellung von Radek Fridrichs Frottagen ist in diesen Tagen im Tschechischen Zentrum in Dresden (Hauptstraße 11) zu sehen. Die Ausstellung ist bis zum 7. April geöffnet.

Immer wieder kehre ich

in das kleine Dorf zurück,

in dem ich aufwuchs.

Wenn die ersten Dächer auftauchen,

klopft mein Herz vor Freude.

Ich weiß, ich werde willkommen sein.

Ich spüre Vertrautheit,

wenn ich die alten und neuen Freunde begrüße.

Ich kenne die Toten unter dem Klee.

Sie lehrten mich,

zu lieben und dankbar zu sein.

Uta van Deun  (Foto: Martina Schneibergova)
Das Gedicht heißt Anhänglichkeit und stammt von der deutschen Schriftstellerin Uta van Deun, die in Prag ihr Büchlein mit dem Titel "...und bin doch heimatlos geblieben" vorstellte. Uta van Deun stammt aus Rybniste /Teichstatt, sie war erst drei Jahre alt, als sie mit ihrer Familie den Heimatort verlassen musste. Kann sie sich noch an etwas aus der frühen Kindheit erinnern?

;"Ich kann mich also nicht erinnern. Ich fuhr im Jahre 1995 mit einer Freundin nach Dresden und wir machten einen Abstecher in meinen Heimatort, wo ich geboren bin. Da stand ich vor diesem sterbenden Haus - dem Haus meiner Großeltern, in dem ich geboren bin und war tief berührt. Das war so mein Aha-Erlebnis, dass ich sagte, da muss ja noch irgendetwas sein. Ich bin diesem Gefühl nachgegangen und habe mich auf Spurensuche begeben."

Wie hat sich diese Spurensuche weiter entwickelt?

"Ich musste nicht dauernd hinfahren. Aber das Gefühl, das ich hatte, als ich vor dem Haus stand, brachte mich dazu, dass ich alles recherchierte, wie es in der Vergangenheit war. Wie in einer richtigen Therapie bin ich dieses durchlaufen - dass wir weggejagt wurden, da war ich zornig darüber, dann war ich traurig, dass das alles so gekommen ist. Zum Schluss habe ich mich mit all dem versöhnt und dachte: Eigentlich hast du ja noch Glück gehabt, dass du dann in der freien Bundesrepublik groß geworden bist und nicht hier. Ich weiß nicht, ob das meine Mutter anders gesehen hat. Sie ist 1991 gestorben. Die war auch irgendwie versöhnt. Sie ist zweimal noch hingefahren, dann ist sie gestorben. Es war für sie wichtig, den Heimatort noch mal zu sehen."

Besuchen Sie weiterhin diese Region?

"Es hat sich herausgestellt, dass ich nicht dahin fahren muss, wo ich geboren bin, weil es gibt ja die Menschen dort nicht mehr und so ist es uninteressant. Aber in diesen Gruppierungen, wo sich die Sudetendeutschen treffen, habe ich festgestellt: Es gibt Heimweh nach diesen Menschen. Da gibt es z. B. ein Treffen in Seifhennersdorf, wohin ich ganz gerne hinfahre. Da haben sich Freundschaften gebildet, das gefällt mir."

Sind es die gemeinsamen Wurzel, die diese Menschen verbinden?

"Wie ich in meinem Buch schreibe, ist es das Erlebnis der Vertreibung etwas, was die Menschen eint. Da wird aber nicht immer darüber geredet. Im Gegenteil - ich meide das sogar. Wenn einer in diesem Zorn so stecken geblieben ist, dann hat er ja keine Entwicklung durchgemacht."

Haben Sie auch tschechisch gelernt?

"Ja, das habe ich versucht, zu lernen, als ich auf Wurzel- und Spurensuche ging. Da dachte ich, man muss auch die früheren Nachbarn verstehen. Aber das war so schwierig, dass ich es aufgegeben habe. Aber eine Weile habe ich doch durchgehalten. Ich habe einmal sogar mit einem bekannten Rundfunkmoderator in Deutschland einen Heimatabend gemacht und bin mit einer tschechischen Freundin gemeinsam aufgetreten. Wir sangen gemeinsam das Lied ´Zadny nevi, co sou Domazlice, zadny nevi, co je to Taus´, ich habe den Text übersetzt."