Machtwille wieder stärker als die politische Vernunft

Stanislav Gross (Foto: CTK)
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Zur Regierungskrise jetzt ein Kommentar von dem in Prag arbeitenden freien Journalisten Thorsten Herdickerhoff.

Stanislav Gross  (Foto: CTK)
Die Regierung in Tschechien zerfällt rasant. Mehr als die Hälfte aller Minister könnten sich bald gegen Gross oder seine Regierungspläne stellen. Was macht Stanislav Gross in dieser Situation? Er macht weiter. Wie bisher. Auf die Fragen nach der Finanzierung seiner Eigentumswohnung wich er aus und verstrickte sich in Widersprüche. Damit begann der Skandal um ihn vor drei Monaten. Er machte weiter. Die Christdemokraten forderten seinen Rücktritt, seine Umfragewerte sanken in den Keller. Er machte weiter. Das Misstrauensvotum überstand Gross mit Hilfe der reformfeindlichen Kommunisten, auf die er auch angewiesen ist mit seiner geplanten Minderheitsregierung. Diese indirekte Zusammenarbeit widerspricht dem Sinn und Zweck eines Beschlusses seiner Partei von 1995, der vorletzte Woche noch einmal bestätigt wurde. Deshalb überlegen sogar Minister aus der eigenen Partei zurückzutreten. Doch Gross macht weiter. Warum? Woher kommt dieser Durchhalte-Wille, diese Ausdauer? Einem Sportler stände die Ausdauer gut zu Gesicht. Aber das Kabinett ist kein Sportplatz, und Premier zu sein ist keine Einzeldisziplin. Die Regierung ist ein Zusammenschluss mehrerer Menschen, die dem Auftrag der Wählerschaft nachkommen sollen. Die Regierung soll regieren.

Doch die Regierungsgeschäfte liegen brach. Die Politiker widmen sich lieber einem anderen Spiel, bei dem der Preis höher geschätzt wird. Es geht um Macht. Der eine will sie behalten, die anderen wollen sie erringen.

Die Bürgerdemokraten ODS zum Beispiel, die den Misstrauensantrag vorige Woche gestellt haben. Sie führen in den aktuellen Wahlumfragen und würden bei Neuwahlen die stärkste Fraktion im Parlament. Und natürlich die Kommunisten, deren Unterstützung für Gross entscheidend war und weiterhin sein wird. Sie sind seit der Wende 1989 abgeschnitten von der Macht und wurden von allen anderen Parteien geächtet. Nach Neuwahlen wären sie zwar die zweitstärkste Fraktion, aber ohne jeden Einfluss. Denn die Regierung würden andere bilden. Auf die Minderheitsregierung von Gross hätten sie hingegen großen Einfluss. Im jetzt laufenden Spiel schaut jeder, wie er selbst am meisten Macht bekommt.

Doch Machtgier bringt jeden zu Fall. Denjenigen, der oben sitzt und sich fest klammert genauso wie diejenigen, die unten an seinem Stuhl sägen. Denn sie leiden allesamt an Kurzsichtigkeit: Sie sehen immer nur sich selbst am besten. Ein demokratisches Trostpflaster gibt es allerdings noch: Premier Gross will sich mit einer neugestalteten Regierung der Vertrauensfrage stellen. Besser wäre es, er ließe bereits jetzt von der Macht.