Eishockey-WM: Kanada leichter Titelfavorit, aber ganz Tschechien setzt auf Jagr & Co.
Das Kriegsende vor 60 Jahren, die beginnende Debatte über die EU-Verfassung, das Regierungsprogramm des neuen Kabinetts unter Premier Paroubek - das alles sind sicher wichtige und interessante Themen dieser Tage in Tschechien. Doch sie werden derzeit von einem anderen Ereignis klar aus dem Feld geschlagen: Der 69. Eishockey-Weltmeisterschaft in Österreich, die mit den am Donnerstag stattfindenden Viertelfinalspielen in ihre entscheidende Phase geht.
"Es ist etwas schwierig, das richtig einzuordnen, denn wir hatten hier ja einige Probleme mit dem Eis und man konnte daher bei einigen Begegnungen nicht so richtig sehen, wozu die Spieler wirklich fähig sind. Aber man sieht dennoch, vor allem wenn man sich die Fähigkeiten der Spieler etwas genauer anschaut, dass man diese WM sehr hoch einstufen müsste. Und zwar nicht nur wegen der klangvollen Namen, die hier präsent sind, sondern auch wegen der großen Leistungsdichte, die man hier vorfindet. Es gibt keine ´Steinzeitresultate´ mehr, das ist nicht mehr so, selbst schwächere Mannschaften können sofort auf Tempowechsel reagieren. Nach wie vor bleibt es aber so, dass die stärkeren Mannschaften mit Tempoverschärfungen, mit sehr, sehr schnellen Tempowechseln den Unterschied ausmachen können. Das sieht man auch hier in Wien auf dem schlechteren Eis, man sieht es ganz extrem in Innsbruck, wo das Eis in Ordnung ist. Also, man kann schon sagen: Es ist eine der besseren Weltmeisterschaften, aber sie ist nicht unbedingt besser als die in Prag. Die war meines Erachtens bisher die spielerisch stärkste WM."
Das angesichts der hohen Innentemperaturen in der Wiener Stadthalle anfangs ungenügend gekühlte Eis, das sehr schnell Verletzungen heraufbeschwörende Wasserlachen bildete, machte insbesondere technisch starken Mannschaften einen Strich durch die Rechnung:
"Natürlich ist es jetzt für die Spieler der Tschechischen Republik schade, dass sie auf einem solchen Eis spielen müssen. Gerade eine Mannschaft, die auf schnellem Eis eigentlich besser agieren und schnellere Angriffsauslösungen spielen kann, ist hier etwas gehandicapt. Aber man sieht es in Innsbruck, wenn man die dortigen Spiele etwas beobachtet, wie die Kanadier sehr, sehr gut zurechtkommen und was machbar ist auf einem guten Eis."Die schlechte Eisqualität in Wien wurde auch vom Manager des slowakischen Teams Jan Filc bedauert:
"Das ist wirklich für die Spieler und alle anderen im Team ein großes Problem, denn es gibt den Spielern nicht die Möglichkeit, die beste Leistung zu zeigen."
Und Filc, der die Slowakei 2002 als Trainer zum WM-Titel geführt hatte, wusste auch gleich zu begründen, warum das so ist:
"Ja, wissen Sie, Österreich ist wirklich kein Eishockeyland. Daher kommt man hier auch nicht so schnell klar mit diesen technologischen Problemen."
Filc und Wüthrich waren jedoch überzeugt davon, dass sowohl die Qualität des Eises als auch das Niveau der WM bis hin zum Finale noch besser werden. Daher bat ich den Schweizer, mir trotz des leidigen Eis-Themas seine Eindrücke von den Topteams zu beschreiben:"Was ich sagen kann ist, dass mich bisher die Slowaken am meisten beeindruckt haben. Sie können die Tempowechsel sehr gut implizieren. Wie sie gegen die Russen gespielt haben, das war sehr beeindruckend. Sie haben nur am Schluss - auch aufgrund des Eises - etwas nachgelassen, weil die Kräfte nachließen und es schwierig war, diese richtig einzuteilen. Man hat aber auch gesehen, dass die Russen körperlich fit sind, dass sie zulegen können am Schluss. Was die tschechische Mannschaft betrifft, da muss ich sagen: sehr kompakt, sehr ausgeglichen. Dieses Team hat nicht nur Stars in seinen Reihen, sondern auch Spieler, die man bisher noch nicht so kannte. Zu den Spielern selbst muss ich sagen: Man hat im Vorfeld bei den Tschechen viel von den jüngeren Spielern geredet und dabei einige Hoffnungen in Ales Hemsky gesetzt. Ich habe ihn oft gesehen in der NHL, als dort noch gespielt wurde, und ich bin überzeugt: Dieser Mann ist sehr stark, denn er hat Drive, er hat Zug, und er kann den Puck sehr gut abdecken. Ich denke, wenn man Hemsky nicht verheizt, dann wird er ein ganz Starker. Im kanadischen Edmonton, wo er bisher unter Vertrag stand, spricht man in höchsten Tönen von ihm, und ich denke, gegen Ende des Turniers wird seine Klasse noch sichtbar werden. Es ist also nicht alles nur Jagr, es sind auch noch andere gute Cracks hier, und zwar nicht nur aus der NHL. Was ich zur tschechischen Mannschaft noch anfügen will, ist der Fakt. dass sie defensiv sehr, sehr solide ist. In diesem Bereich ist sie wirklich sehr stark, und ein Pavel Kubina zum Beispiel ist absolute Weltklasse. Da kommt kein Anderer heran bei den Gruppenspielen hier in Wien."
Joël Wüthrich, der wie ich vor allem die Begegnungen der Wiener Vor- und Zwischenrunde live verfolgte, hob mit Kanada jedoch den Titelverteidiger auf seinen Favoritenschild. Auch deshalb, weil dieser etliche Spieler in seinen Reihen hat, die im Sommer vorigen Jahres beim so genannten World Cup erfolgreich waren:
"15 Spieler vom World Cup sind auch diesmal dabei. Die meisten davon haben trotz der NHL-Absage die ganze Saison über gespielt. Ich persönlich habe diese Saison natürlich Rick Nash und Joe Thornton sehr oft gesehen in Davos, wo sie mit dem HCD Schweizer Meister geworden sind. Auch beim World Cup hat Joe Thornton hervorragend gespielt. Die Kanadier finden sich sehr gut zu Recht auf diesem großen Eisfeld, mussten sich überhaupt nicht umgewöhnen und haben auch gelernt, was es heißt, nicht nur ihre eigenen Stärken zu nutzen, sondern sich auch die Schwächen der anderen zu Nutze zu machen. Im Bereich Skating, im Bereich Skills sind sie nicht mehr diese alte ´Dump-and-chase-Mannschaft´, wo es einfach darum ging, den Gegner einzuschnüren, um dann irgendwie den Puck ins Tor zu tragen. Das ist seit Jahren nicht mehr so. Die Kanadier setzen sehr, sehr stark auf junge, technisch versierte Spieler, und diese kanadische Mannschaft ist nicht nur aufgrund von Lokalkolorit mein persönlicher Favorit, sondern sie ist nominell eigentlich die stärkste Mannschaft."
Letztlich wollte ich von Joël erfahren, wen er außer den "Ahornblättern" noch eine Chance auf den Titel einräumt. Doch der 38-Jährige ließ sich nicht aus der Reserve locken:
"Ab dem Viertelfinale ist vieles möglich, ja unter den TOP 7 ist meiner Meinung nach wirklich alles möglich. Bei den Finnen weiß man nie so recht, die Schweden sind auch stets so ein Wackelkandidat, aber andererseits immer Favorit. Man hat es ja erst im vorigen Jahr gesehen, als die Tschechen eine gute Vor- und Zwischenrunde gespielt haben, und dann kam im Viertelfinale diese Niederlage gegen die USA. Ich würde mich jetzt nicht festlegen wollen, aber ich behaupte schon, dass man auf die Kanadier eigentlich immer setzen kann. Und Außenseiterchancen haben dann alle anderen auch."
Also ist es wie immer in den letzten Jahren: Alle Viertelfinalisten haben die gleichen Chancen auf die Weltmeisterschaft. Hierzulande hofft die ganze Nation jedenfalls, dass ihre Lieblinge diesmal die Runde der letzten Acht überstehen und danach zum Angriff auf die Goldmedaille blasen. Ob dies den Schützlingen von Trainer Vladimir Ruzicka gelingt, das erfahren Sie in unserer aktuellen Berichterstattung.