Kulturerbe: Schloss Kynžvart und Europas Geschichte
Drei tschechische Sehenswürdigkeiten wurden vor kurzem mit dem Europäischen Kulturerbe-Siegel ausgezeichnet. Gewürdigt wurden zwei funktionalistische Siedlungen aus der Zwischenkriegszeit, Baba in Prag und Nový dům in Brno / Brünn, sowie das westböhmische Schloss Kynžvart / Königswart. Dort ist Ondřej Cink der Kastellan. Martina Schneibergová hat mit ihm kurz nach der Verleihung des Kulturerbe-Siegels gesprochen.
„Die Bewerber um die Auszeichnung nehmen zuerst an einer nationalen Runde in ihrem Land teil. Begutachtet wird die Nominierung hierzulande von einer vom Kulturminister ernannten Jury. Jedes EU-Mitglied kann zwei Sehenswürdigkeiten für das Kulturerbe-Siegel nominieren. Der Titel wird jedes zweite Jahr verliehen. Im vergangenen Jahr punkteten wir auf der nationalen Ebene. Die einzelnen Bewerber wurden anschließend von 13 Experten in Brüssel bewertet. Der ganze Prozess dauerte fast ein Jahr lang, aber für uns mit Erfolg.“
Bei den Stätten des europäischen Kulturerbes stehen zwei Aspekte im Fokus. Dazu gehöre jedoch nicht die ästhetische Seite, erläutert Cink.
„Eine deutlich größere Rolle spielt die symbolische Bedeutung der Stätte in der Geschichte der europäischen Integration. Dies konnten wir im Fall von Kynžvart belegen. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als die Residenz dem österreichischen Kanzler Klemens Metternich gehörte, wurde Kynžvart zu einem Treffpunkt europäischer Diplomaten und Politiker. Und mehrere Dokumente wurden hier aufgesetzt, die die Entwicklung Europas beeinflusst haben.“
Ein Beispiel: das Treffen führender Diplomaten im August 1840, die einen Ausweg aus dem drohenden kriegerischen Konflikt in Europa suchten. Damals wurde der Entwurf einer Friedensliga zusammengestellt. Die Mitgliedsstaaten sollten sich dabei verpflichten, Streitigkeiten in Zukunft friedlich zu lösen und gegebenenfalls einen angegriffenen Staat gemeinsam zu verteidigen. Der Vorschlag wurde zwar nicht akzeptiert, er hatte jedoch zweifelsohne Bedeutung für die Erhaltung des Friedens. Und der andere Aspekt, der bei der Bewerbung um das Kulturerbe-Siegel eine Rolle spielt?„Zweitens handelt es sich um die Zukunft der Sehenswürdigkeit. Wir haben darum einen Plan von Aktivitäten zusammengestellt. Darunter sind auch internationale Projekte, an denen wir uns bisher beteiligt haben. Ziel der künftigen Veranstaltungen und Ausstellungen ist, den Gedanken der europäischen Integration zu unterstützen und nach gemeinsamen Werten zu suchen. In nächster Zeit möchten wir einen neuen Lehrpfad im Schlosspark einrichten. Unser Schlosspark ist einer der größten in Tschechien. Zudem entsteht eine neue Ausstellung zu den Sammlungen von Kanzler Metternich. Das Hauptexponat wird die Daguerreotypie sein, die 2017 ins Register des Weltdokumentenerbes der Unesco eingetragen wurde, das als ,Gedächtnis der Welt‘ bezeichnet wird.“
Vor zwei Jahren initiierte die Schlossverwaltung eine Wanderausstellung über Metternich und seine Friedensvisionen. Gezeigt wurde sie unter anderem an der Universität in Wien und im Österreichischen Kulturforum in Prag. Dieses Jahr soll sie ins Centrum Bavaria Bohemia in Schönsee weiterreisen.Das Europäische Kulturerbe-Siegel ist Ondřej Cink zufolge eine Auszeichnung mit hohem Prestige.
„Einerseits wird die Öffentlichkeit auf die internationale Dimension der Sehenswürdigkeit aufmerksam gemacht, die vielleicht bei anderen Residenzen nicht in dem Maß vorhanden ist. Andrerseits ist sie für mich und mein Team eine Energiespritze und ein Ansporn für die weitere Arbeit. Denn neben den Alltagsaufgaben in der Schlossverwaltung ermöglicht uns diese Anerkennung, die Arbeit an Projekten zu genießen, die einen besonderen Sinn haben.“
Nach der Verleihung des Europäischen Kulturerbe-Siegels haben dem Kastellan zufolge bereits einige Forscher aus dem Ausland ihr Interesse bekundet an einer Zusammenarbeit mit Kynžvart.
Für das Schloss ist es aber nicht die erste Auszeichnung. Vor 19 Jahren erhielt es bereits den „Europa Nostra Award“. Dazu Kastellan Cink:„Das Schloss wurde in den Jahren 2000 und 2001 grundlegend restauriert. Für die vorbildliche Instandsetzung des Hauptgebäudes wurde das staatliche Denkmalschutzamt mit diesem prestigeträchtigen Preis bedacht.“
Derzeit sind wegen der Corona-Pandemie alle Burgen und Schlösser hierzulande geschlossen. Für den Kastellan und sein Team bedeutet dies aber keinesfalls Ferien.
„Wir kümmern uns weiterhin um die Verwaltung und die Instandhaltung der Gebäude. Zudem bereiten wir neue Projekte vor. Wir setzen den Großteil unserer Arbeit fort, die vielleicht für die Besucher nicht so zu erkennen ist. Gelähmt ist natürlich der Besucherbetrieb. Im Moment beschäftige ich mich mit den Plänen für eine Restaurierung des sogenannten Teepavillons, der sich im Schlosspark befindet.“
Der Schlosspark ist allerdings für die Öffentlichkeit zugänglich. In den letzten sonnigen Tagen nutzten dies dem Kastellan zufolge viele Menschen für Spaziergänge dort. Bereits jetzt freuen sich Ondřej Cink und seine Mitarbeiter auf die Zeit nach der Corona-Zwangspause:„Ich wäre froh, wenn wir möglichst bald das Schloss wieder öffnen dürften. Zum Schutz vor Ansteckungen entwerfen wir gerade unterschiedliche Möglichkeiten, um Führungen zu organisieren. Wir denken beispielsweise daran, die Besucher in kleineren Gruppen das Schloss besichtigen zu lassen. Oder die Besucher gehen allein auf die jeweiligen Rundgänge, und ein Kustos passt nur darauf auf, dass die Menschen die notwendigen Abstände einhalten.“
Laut den bisherigen Plänen der tschechischen Regierung sollen Schlösser und Burgen am 8. Juni wieder öffnen dürfen. Dies gilt auch für Schloss Kynžvart.